Steinwerder. Das Programm der VTG richtet sich an Jugendliche mit schwierigen Startbedingungen – und zeigt beeindruckende Ergebnisse.
Manchmal erinnert die deutsche Wirtschaft an die Moritat von Mackie Messer. „Denn die einen sind im Dunkeln/Und die andern sind im Licht/Und man sieht die im Lichte/Die im Dunkeln sieht man nicht“, dichtete einst Bert Brecht in der „Dreigroschenoper“. Während von Monat zu Monat sich die Republik an fabelhaften Arbeitsmarktdaten erfreut, geraten andere Zahlen in Vergessenheit: Allein 2017 fanden einer Studie des Bundesbildungsministeriums zufolge bundesweit rund 24.500 Schulabgänger keinen Ausbildungsplatz.
Seit Jahren wächst die Gruppe der jungen Erwachsenen ohne Berufsausbildung: Im Jahr 2016 lag ihr Anteil bei 14,3 Prozent – ein ganzes Prozentpunkt mehr als im Vorjahr. Insgesamt sind 2,13 Millionen der jungen Erwachsenen ohne Berufsabschluss.
Ein Vorzeigeprojekt, das dies ändern will ist das Programm Rail Train der VTG. Vor zwei Jahren startete der Waggonvermieter und Schienenlogistiker ein ganz besonderes Ausbildungsprogramm für Jugendliche mit schwierigen Startbedingungen. Nun hat der dritte Lehrgang seine Arbeit aufgenommen.
Wie das Ausbildungsprogramm Rail Train entstanden ist
Die Initiative geht zurück auf den Vorstandsvorsitzenden der VTG, Heiko Fischer. „Das Programm ist mein Herzensanliegen. Fünf Jahre haben wir daran gearbeitet, bis das Konzept stand“, sagt Fischer dem Abendblatt. Immer mehr Ausbilder verlangten inzwischen höhere Schulabschlüsse, so dass Jugendliche mit schlechten Noten oder ohne Abschluss oft chancenlos sind.
Nur 0,1 Prozent der ausgeschriebenen Lehrstellen richten sich laut Berufsbildungsbericht auch an junge Menschen, die keinen Hauptschulabschluss haben. „Das wollten wir ändern. Als Unternehmen hat man eine soziale Verantwortung: Was machen wir denn mit denen, die schon in der Schule scheitern?“, fragt Fischer. Lange Zeit habe sein Unternehmen mit dem Scheckbuch soziale Zwecke unterstützt, das Programm Rail Train aber wirke nun direkt: „Wir wollten der Gesellschaft etwas von unserem Erfolg zurückgeben.“
Vor zwei Jahren begann das Programm, damals unter Schirmherrschaft des damaligen Bürgermeisters Olaf Scholz, der dieses Amt an Peter Tschentscher weitergereicht hat. 27 junge Menschen haben für die VTG im Ausbildungszentrum von Blohm und Voss auf Steinwerder eine duale Ausbildung zum Konstruktionsmechaniker oder zur Fachkraft Metalltechniker begonnen – nur zwei sind ausgestiegen, angesichts einer bundesweiten Abbrecherquote von rund 25 Prozent ein beeindruckender Wert.
Manchmal müssen sie die Azubis morgens anrufen
„Mehr Erfolg kann man kaum haben“, sagt Florian Steinbock, der Manager des Programms Rail Train. Der Erfolg ist hart erkämpft – gleich zwei Ausbilder und ein Sozialpädagoge kümmern sich um die Jungs. Manchmal müssen sie die Azubis morgens um fünf Uhr anrufen, um sie an den Arbeitsbeginn zu erinnern. Zusätzlich zur theoretischen Ausbildung in der Berufsschule gehören regelmäßige Trainings zum Programm. Finanziert wird Rail Train zu 100 Prozent durch die VTG.
Seit Beginn ist Abdulai Jallah dabei. Der 22-jährige aus Liberia hatte in seiner Heimat nur vier Jahre die Grundschule besucht. Nun wird er im Februar seine Prüfung zum Konstruktionsmechaniker ablegen – ein halbes Jahr früher als ursprünglich geplant. „Er verkürzt wegen seiner guten schulischen Leistungen“, sagt Steinbock. Vor fünf Jahren kam Jallah nach einer zweijährigen Odyssee durch Afrika und Europa nach Seevetal, ohne ein Wort deutsch zu sprechen.
Abdulai Jallah lernte fließend Deutsch zu sprechen
Hier begann dann seine ganz persönliche Erfolgsgeschichte. Eine Flüchtlingshelferin nahm sich seiner an, binnen fünf Jahren lernte Jallah, fließend Deutsch zu sprechen. „Sie hat so gekämpft, dass ich dableiben kann“, sagt Jallah. Inzwischen ist er als Flüchtling anerkannt und längst in Deutschland integriert. Er lebt mit seiner deutschen Freundin und dem gemeinsamen zweijährigen Sohn bei seinen Schwiegereltern.
„Am Anfang hatte ich Probleme mit der Pünktlichkeit – das kannte ich so aus Liberia nicht“, erzählt Jallah, der vor seiner Flucht als Fischer arbeitete. Er spricht über seine neue Heimat sehr positiv. „Die Menschen, die ich getroffen habe, sind nett gewesen“, sagt er – und wenn nicht, gilt für ihn: Man kann doch nicht 82 Millionen Deutsche über einen Kamm scheren. Anderen Flüchtlingen empfiehlt Jallah zwei Dinge: „Verfolgt ein klares Ziel. Und lernt die Sprache.“
„Er kann stolz auf sich sein. Und wir sind stolz auf ihn“, sagt Programmleiter Steinbock. „Die Chancen stehen mehr als gut, dass wir ihn übernehmen, wenn er die Prüfung besteht“. Die Kollegen arbeiteten sehr gern mit ihm, inzwischen wurde Jallah auch schon in der Produktion der Zweigstelle in Wittenberg eingesetzt.
Auch Heiko Fischer ist stolz auf das Projekt. „Genau dafür haben wir das Programm gemacht“, sagt der Vorstandschef von VTG. „Ich würde mich freuen, wenn wir Nachahmer fänden.“ Auch mit dem neuen Eigner des Unternehmens, dem Infrastrukturfonds der US-Bank Morgan Stanley, werde das Programm weiterlaufen.