Hamburg. Morgan Stanley will Kleinaktionäre auszahlen und das Unternehmen von der Börse nehmen. Was wird aus Vorstandschef Fischer?

Heiko Fischer ist in einer schwierigen Lage. Der seit 2004 amtierende Vorstandschef des Hamburger Waggonvermieters und Schienenlogistikers VTG führte das Unternehmen vor knapp zwölf Jahren an die Börse, baute das Geschäft durch geschickte Zukäufe und Übernahmen aus und machte es mit einem Fuhrpark von 94.000 Waggons zum größten privaten Vermieter in Europa. Nun aber muss der gebürtige Franke, dessen Herz für Hamburg schlägt, den Börsenrückzug planen. Der neue Eigentümer des im SDAX notierten Unternehmens, die US-Investment-Bank Morgan Stanley, will es so. Auch zum Leidwesen der anderen Aktionäre. Ihnen bescherte Fischer über die Jahre steigende Kurse und ordentliche Dividendenzahlungen. Damit ist es absehbar bald vorbei.

Die zu Morgan Stanley gehörende Warwick Holding, die nach eigenen Angaben nach Auslaufen eines freiwilligen Übernahmeangebots an die anderen Aktionäre im Dezember 2018 derzeit 71,17 Prozent der VTG-Anteile hält, hat am Montag ein sogenanntes Delisting-Erwerbsangebot für die restlichen Anteile veröffentlicht. Deren Eigentümer haben nun genau einen Monat – bis zum 8. April – Zeit, ihre VTG-Aktien an Warwick zu verkaufen. Für 53,00 Euro pro Stück. Diesen Preis hatten die Amerikaner bereits im Zuge des freiwilligen Übernahmeangebots angeboten.

Reihe von Rückschlägen

Erklärtes Ziel von Warwick ist das sogenannte Delisting von VTG, der Rückzug von der Börse. Kleineren Aktionären, die auch jetzt noch nicht verkaufen wollen, zeigt das aktuelle Delisting-Übernahmeangebot mögliche Folgen unmissverständlich auf. Sie könnten ihre Aktien zwar behalten, heißt es da, die Anteile „werden aber nicht mehr im regulierten Markt einer Wertpapierbörse handelbar sein“. Der zweitgrößte VTG-Aktionär, die Hamburger Joachim Herz Stiftung, die etwa 15 Prozent der Anteile hält, will diese gleichwohl auch nach einem Delisting behalten.

Doch was wird aus VTG, und was wird aus Fischer? Mit früheren Großaktionären wie dem Investor und jetzigen US-Handelsminister Wilbur Ross oder dem Logistikunternehmer Klaus-Michael Kühne hatte er erfolgreich zusammengearbeitet. Doch seit Morgan Stanley die Mehrheit übernommen hat, musste der promovierte Wirtschaftswissenschaftler eine Reihe von Rückschlägen hinnehmen.

Aufgeben kommt nicht infrage

Der erste Rückschlag war, dass die Aktionäre, die jahrelang von VTG profitiert hatten, dem Unternehmen schnell den Rücken kehrten. Sie akzeptierten scharenweise das freiwillige Übernahmeangebot von Warwick, obgleich der Vorstand unter Fischer die angebotenen 53 Euro für zu niedrig hielt und den Aktionären öffentlich vom Verkauf abriet. Der zweite Rückschlag für Fischer: Der neue Mehrheitseigner aus den USA machte seine Zustimmung zu einer notwendigen Kapitalerhöhung von einem Rückzug von der Börse abhängig. Es wäre also keine ganz große Überraschung, wenn der neue VTG-Eigentümer und Fischer künftig getrennte Wege gingen.

Für ihn kommt ein Aufgeben aber nicht infrage. Dem Abendblatt sagte Fischer: „Mein aktueller Vertrag läuft bis Februar 2021, und ich habe keinen Grund, davon auszugehen, dass ich diesen Vertrag nicht erfüllen werde. Die VTG hat großes Potenzial, und ich habe nach wie vor große Freude daran, die Zukunft des Unternehmens zu gestalten und mit meinen Vorstandskollegen und allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die vor uns liegenden Aufgaben anzugehen.“

Vorstand hat weitgehend freie Hand

Auch der Hauptaktionär versichert, am Vorstand festhalten zu wollen: „Es gibt derzeit keine Überlegungen, daran etwas zu ändern“, sagte ein Sprecher von Morgan Stanley International. Auch am Vorsitz des Aufsichtsrats, den seit 2017 der frühere Stahlmanager Jost Massenberg innehat, seien keine Änderungen geplant. Allerdings hat der US-Investor nur für die kommenden drei Jahre zugesichert, auf den Abschluss eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags zu verzichten. Mit ihm könnte VTG dem Weisungsrecht von Morgan Stanley unterstellt werden und die finanzielle Unabhängigkeit verlieren.

Fischer erwartet allerdings nicht, dass Morgan Stanley stark in die operative Tätigkeit des Waggonvermieters eingreift: „Ich rechne nicht mit spürbaren Auswirkungen auf das Tagesgeschäft.“ Der neue Hauptaktionär hat auch bereits deutlich gemacht, dass er dem Vorstand weitgehend freie Hand lassen will. „Wir unterstützen die Fortsetzung der Strategie des Vorstands. Eine strategische Neuausrichtung ist nicht geplant“, sagte der Investment-Chef von Morgan Stanley Infrastructure und Mitglied des VTG-Aufsichtsrats, Markus Hottenrott, der „Börsenzeitung“ im November.

Joachim Herz Stiftung will Anteile behalten

Erwartungen an den Vorstand hat er aber schon. Hottenrott sprach auch über „Maßnahmen zur Effizienzsteigerung“. Fischer zufolge ist das das tägliche Geschäft: „Wir arbeiten kontinuierlich daran, uns zu verbessern. Dazu gehört – unabhängig vom Delisting – immer auch die Frage, wie wir unsere Strukturen und Prozesse effizienter gestalten können.“ Das bedeute nicht zwingend Einsparungen, so der Vorstandschef: „Im Gegenteil: Um die VTG zukunftsfähig aufzustellen, investieren wir weiter, zum Beispiel in neue Technologien und die Digitalisierung unserer Flotte.“

Die Gefahr einer Abwanderung von VTG aus Hamburg ist vorerst auch gebannt: Morgan Stanley hat zugesichert den Unternehmens- und Verwaltungssitz mindestens bis 2029 in der Hansestadt zu belassen. Die Joachim Herz Stiftung dürfte in dieser Frage ein stabilisierender Faktor sein. „Wir verstehen unser Engagement bei der VTG AG auch als Bekenntnis zum Wirtschaftsstandort Hamburg“, sagte ein Stiftungssprecher dem Abendblatt.

Und auch Unternehmensbeobachter gehen davon aus, dass sich bei VTG auf die Schnelle nichts ändert. „Warum auch? VTG ist ein gesundes Unternehmen mit sehr viel Potenzial“, sagte Wolfgang Donie, Analyst der NordLB, dem Abendblatt. „Schade ist das Delisting nur für die Anleger, denen geht eine wirklich gute Aktie verloren.“ So sieht es auch Warburg-Analyst Christian Cohrs: „VTG war für viele Aktionäre in den letzten Jahren eine Erfolgsgeschichte.“