Hamburg. Hamburgs Waggonvermieter VTG bietet eigentlich chancenlosen Jugendlichen eine Ausbildung an. Zwei Beispiele.

Leroy ist 24 Jahre alt und fängt dennoch bei null an. Er hatte Drogenprobleme und blickt auf eine gescheiterte Beziehung zurück. Jetzt ist es Zeit, eine berufliche Karriere zu starten, findet er. Seit Stunden steht der schmächtige junge Mann an einer Werkbank und feilt ein Stück Stahl Millimeter um Millimeter ab, als ginge es darum, die Vergangenheit wegzuhobeln. Die Hosen seines Blaumanns schlottern über den schlanken Beinen, jedes Mal, wenn er die Feile über das Metallstück zieht. Leroy hat am 1. September eine Ausbildung zum Konstruktionsmechaniker begonnen.

Alles, was vor diesem Datum in seinem Leben passiert ist, zählt nicht mehr. Mit elf das erste Mal von zu Hause ausgerissen, mit 13 längerfristig abgehauen. Abgebrochene Berufsausbildung, Besuche von Integrationseinrichtungen, jahrelang nur von Hartz IV gelebt. Der Tagesablauf war einfach. „Ich bin irgendwann mittags aufgewacht, habe mich vor die Glotze gesetzt und bin nachts irgendwann wieder ins Bett gefallen“, sagt er. Wie soll so jemand eine Ausbildungsstelle finden, wenn das Bewerbungsgespräch mit der Frage beginnt: „Was haben Sie bisher gemacht?“

Leroys Vergangenheit spielt keine Rolle

Beim Einstellungsgespräch zum Ausbildungsprogramm „RailTrain“ des Hamburger Unternehmens VTG spielte Leroys Vergangenheit keine Rolle. RailTrain heißt so viel wie „Schienenzug“ und wird seit einem Jahr von Europas größtem privaten Waggonvermieter und Schienenlogistiker angeboten. Dazu gehört eine einjährige Grundausbildung in den Werkstatthallen der Werft Blohm + Voss im Hafen, mit der eine Kooperation besteht. Im Anschluss folgen neben Berufsschule zwei Jahre Ausbildung mit mehrwöchigen Praxisphasen im VTG-Waggonwerk in Brühl. Mit dem Programm erhalten Jugendliche mit Startschwierigkeiten und besonderem Förderbedarf eine vollwertige Berufsausbildung zum Konstruktions­mechaniker, dem ehemaligen Schlosserberuf. Kurz gesagt: Hier erhalten alle diejenigen eine Chance, die den Sprung in die duale Ausbildung bisher nicht geschafft haben – aus welchen Gründen auch immer.

Ismael ist so einer. Seine Eltern kamen vor 17 Jahren aus der Türkei, sein Vater ist Gemüsehändler in Hamburg. Ismael ist 16 Jahre alt, hatte mit einem Schnitt von 2,4 einen ansehnlichen Hauptschulabschluss, aber eine Ausbildungsstelle fand er bisher nicht. „Ich habe 60 Bewerbungen geschrieben. Die meisten haben mir gleich abgesagt.“ Bei einigen wurde er zum Vorstellungs­gespräch eingeladen und scheiterte dann am Einstellungstest.

Ismael hatte schon aufgegeben

Bei VTG RailTrain gibt es keine schriftlichen Einstellungstests. „Stattdessen wurde ich gefragt, wie ich lebe und was ich in meiner Freizeit so mache.“ Und dann kam irgendwann die Nachricht, dass es geklappt hat. „Das war super, ich hatte schon nicht mehr daran geglaubt.“ Eigentlich hatte Ismael nach der Stafette von Absagen aufgegeben, sah sich schon im Gemüseladen seines Vaters stehen. „Aber meine Schwester sagte: Los, bewirb dich weiter, es wird schon irgendwann klappen.“

Jetzt ist er einer von zehn neuen Lehrlingen bei VTG RailTrain. Beworben hatten sich 40. „Da waren aber auch Bewerbungen dabei, denen man ansah, dass sie nur geschrieben wurden, um bei den Behörden etwas vorzeigen zu können“, sagt Ausbildungsleiter Tim Möller. Er hat zwei Berufe gelernt, ist Handwerker und Pädagoge und muss auch beides einsetzen. Denn die Biografien seiner Schützlinge sind höchst unterschiedlich: „Wir haben Flüchtlinge, die eine ganz andere Ansprache benötigt als Deutsche, deren Familie in zweiter Generation in der Hartz-IV-Falle steckt.“ Die Ausbildungsvergütung reicht von 800 Euro im ersten bis zu 1100 Euro im dritten Lehrjahr.

Nachhilfe in Mathe und Deutsch

Ein Hauptschulabschluss sei zwar Voraussetzung, um in das Programm aufgenommen zu werden. Akzeptiert würden aber auch Abschlüsse von sogenannten Produktionsschulen, wo benachteiligte Jugendliche unterrichtet werden, die an der Hauptschule nicht zurechtkamen. Um deren Defizite aufzuarbeiten, kommen montags und freitags jeweils für zwei Stunden Lehrkräfte in die Ausbildungswerkstatt, um mit den Jugendlichen Mathematik und Deutsch zu vertiefen.

„Denn am Ende soll für alle ein in dreijähriger Ausbildung erworbener Beruf des Konstruktionsmechanikers stehen“, sagt Möller. Aber auch das ist bei VTG RailTrain etwas anders als bei anderen Handwerksbetrieben: „Azubis, bei denen wir erkennen, dass sie das Lernziel nicht erreichen, fliegen nicht raus, sondern erhalten von uns die niedrigschwelligere Ausbildung zur Fachkraft Metallbranche“, sagt Möller.

Das alles ist sehr personalintensiv und auch teurer als in normalen Betrieben. VTG zahlt dafür. „Als hanseatisch geprägtes Unternehmen mit Sitz in Hamburg wollen wir mit VTG RailTrain junge Menschen beim Start in ein sicheres Berufsleben unterstützen“, sagt Vorstandschef Heiko Fischer zur Intention.

Leroy ist mit seinem Stahlstück fast fertig. Er feilt noch etwas, dann misst er die Dicke. Noch mal feilen, noch mal messen, dann nickt er zufrieden und reicht das Ergebnis zur Kontrolle. Ein perfektes Stück Stahl, glatt, mit klaren Strukturen und rechten Winkeln. Anders als das, was er bisher im Leben gemacht hat. Besser.