Hamburg. Mediziner warnen vor staatlichen Eingriffen in die Praxen. Neue Erkenntnisse über Hamburger Ärzte in der NS-Zeit.

Die Hamburger Kassenärzte gehen bei ihren Internetangeboten völlig neue Wege und wehren sich mit neuer Schärfe gegen eine Einflussnahme der Politik. Bei der 100-Jahr-Feier der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) stellte Vorstandschef Walter Plassmann nicht nur die Pläne für eine Internetplattform zur Terminvergabe an Patienten vor. Plassmann stemmte sich im Namen der 5200 Praxisärzte gegen eine mutmaßliche Tendenz zur „Verstaatlichung“. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) habe in 17 Amtsmonaten 17 Gesetze vorgelegt. Die Politik knebele die Ärzte und regiere in die Praxen hinein.

Plassmann hatte auch Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD) angegriffen, weil sie ankündigt hatte, in die Praxisplanung einzugreifen. Die Senatorin widersprach und war bemüht, die Wogen zu glätten. Behörde, Krankenkassen und Ärzte sollten das gute Klima des Austausches aufrechterhalten.

"Ich werde da keinen Notdienst machen"

Ärztevertreter Dr. Dirk Heinrich goss aber Öl ins Feuer: Wenn Spahn sein neues Gesetz über die Notaufnahmen umsetze, müssten Krankenhäuser und niedergelassene Ärzte im Prinzip neue GmbHs gründen, was allein schon schwierig sei. „Ich als Arzt werde da sicher keinen Notdienst machen“, drohte Heinrich. Für Hamburg würden Spahns Pläne bedeuten: „Keine Sprechstunde mehr nach 18 Uhr, keine Sonnabendsprechstunden, kein fahrender Bereitschaftsdienst mehr, keine Notfallpraxen.“ Außerdem kündigte Heinrich neue Ärzteproteste an, sollte die Einflussnahme der Politik noch größer werden.

Plassmann berichtete erstmals, dass die auf „massiven Druck“ der Politik in Harburg eingerichtete Notfallpraxis am AK Harburg ein „Millionengrab“ sei. Zwar sei die Notaufnahme des Krankenhauses entlastet worden. Aber durch die schlechte Lage kämen viel zu wenige Patienten. Anders sei das bei der neuen Notfallpraxis am Adolf-Stift in Reinbek, die mit der KV Schleswig-Holstein gemeinsam betrieben werde. Dort hätten Politiker vorher gedrängt, sie in Bergedorf am Bethesda anzusiedeln. Wegen der schlechten Erreichbarkeit hatte sich die KV aber für Reinbek entschieden.

Wie Hamburg Ärzte die Nazis willfährig unterstützten

Für die 100-Jahr-Feier der KV Hamburg wurde eigens eine zweibändige Geschichte bei den Historikern Anna von Villiez (Hamburg) und Hans-Walter Schmuhl (Bielefeld) in Auftrag gegeben, deren erster Teil am Sonnabend vorgestellt wurde. In dem aufwendig recherchierten Buch ist erstmals zu lesen, dass zwar Juden maßgeblich an der Gründung der ersten KV in Deutschland maßgeblich beteiligt waren. Doch schon vor Hitlers Machtergreifung 1933 hätten organisierte nationalsozialistische Hamburger Ärzte „schwarze Listen“ geführt. Dort waren vornehmlich jüdische Ärzte notiert, die man aus dem Verkehr ziehen wolle.

Dass viele NS-Täter unter Hamburgs Ärzten die Entnazifizierung nach dem Zweiten Weltkrieg mehr oder minder schadlos überstanden, hatte auch mit dem Ärztemangel damals zu tun. HNO-Arzt Heinrich sagte, es sei „entsetzlich und beschämend“, wie sich diese Hamburger Ärzte im Nationalsozialismus verhalten hätten. KV-Gründer Julius Adam kam 1942 im KZ Theresienstadt um.

Heinrich sagte: „Sein Schicksal berührt zutiefst und mahnt uns alle – wie die Ermordung unzähliger anderer Menschen durch Nationalsozialisten auch –, immerwährend gegen Rassenwahn, Hass, Faschismus und Menschenfeindlichkeit einzutreten.“ Angesichts derzeitiger Entwicklungen in Deutschland und der Welt erscheine ihm nichts wichtiger zu sein.