Hamburg. Das Quartier bewahrte Hamburgs Zentrum und die Viertel rund um die Alster womöglich vor einer Abrisswelle.

Die Zukunft von vorgestern sieht heute ziemlich alt aus. Wer durch die City Nord streift, wird die Elogen aus dem letzten Jahrhundert kaum verstehen. „Hier kann eine mustergültige neue Stadt entstehen. Alle Großstädte Europas werden uns um diese Chance, eine zweite City errichten zu können, gewiss beneiden“, lobte 1959 Oberbaudirektor Werner Hebebrand das Projekt. Gernegroß war man im Hamburg also auch schon früher. Das Abendblatt freute sich über den Senatsbeschluss, der den „Ausweg aus dem bisherigen Dilemma“ weist und ein „Viertel mit einem imponierenden Gesicht“ schafft. Die Idee eines Entlastungszentrums hatte Hebebrand von einer USA-Reise mitgebracht und persönlich in einem kleinen Kreis vorangetrieben. Im Spätsommer 1959 präsentierte Hebebrand sein Konzept, zeigte einen Grobentwurf im Maßstab 1:20.000 – und rannte offene Türen ein. Der Senat nickte das Vorhaben ab – ohne große Diskussion, ohne Gegenstimme.

Die City Nord, damals als Geschäftsstadt Nord sprachlich noch nicht internationalisiert, ist ein Kind ihrer Zeit. Und war die Lösung vieler Probleme: Ende der 50er-Jahre war das Wirtschaftswunder in Hamburg ungebrochen – die Stadt wuchs, die magische Marke von zwei Millionen Einwohnern zu erreichen schien nur eine Frage der Zeit zu sein. Zugleich drängten große Konzerne nach Neubauten, um einerseits dem Wachstum ihrer Belegschaften gerecht zu werden, andererseits um der eigenen Eitelkeit ein Denkmal zu setzen.

Grundstücke waren begrenzt

Grundstücke im Zentrum waren begrenzt – oder wie an der neuen Ost-West-Straße schon vergeben. Das Abendblatt formulierte am 15. August 1959 besorgt: „Seit Jahren drohen in Hamburg ansässige Konzerne, die ihre Betriebsgebäude erweitern wollen, mit Wegzug. Weil sie kein geeignetes Gelände für ihre Bauvorhaben finden können … Das kann sich die Hansestadt in ihrer Randlage, in ihrer scharfen Konkurrenz mit anderen Häfen nicht leisten.“

Werner Hebebrand und Rudolf Büch, mit Bausenator Paul Nevermann, vor einem Modell der City Nord 1959.
Werner Hebebrand und Rudolf Büch, mit Bausenator Paul Nevermann, vor einem Modell der City Nord 1959. © Keystone

Oberbaudirektor Hebebrand und Bausenator Paul Nevermann trieb aber noch eine andere Sorge um: Sie wollten die Innenstadt von Verkehr und Büroflächen entlasten und die Wohngebiete an der Alster wie Harvestehude/Rotherbaum oder die Uhlenhorst schützen. Denn auch die gerieten in den Blick der Spekulanten. Ohne die City Nord mit ihren 120 Hektar wäre die Silhouette der Stadt, die noch immer die Hauptkirchen dominieren, vermutlich unwiederbringlich zerstört worden.

Die strikte Trennung nach Funktionen war Gesetz und noch Jahre später kaum umstritten. So vermerkt das Standardwerk „Hamburg und seine Bauten“ 1969 zu den Forderungen, auch Wohnungsbau zu realisieren: „Heute wird diese frühere Konzeption gelegentlich den Planern als kritischer Verbesserungsvorschlag empfohlen – zur Belebung der Geschäftsstadt Nord! Keiner käme auf den Gedanken, etwa vergleichbare Arbeitsflächen – wie Hafen oder Billbrook – mit Wohnungen zu beleben.“

1850 Kleingärten mussten weichen

Diese Geschäftsstadt im Grünen war für die Firmen da. Eine Ansiedelung in der City Nord klang verlockend – eine homogene wie moderne Umgebung für den neuen Firmensitz entsprach dem Zeitgeist. „Der Wunsch der Verwaltungen nach schöner Lage, schönem Ausblick, nach Erholungsmöglichkeiten für die Beschäftigten sowie nach Repräsentation wird durch den Stadtpark und durch die zentrale Grünfläche inmitten der Geschäftsstadt erfüllt“, lobt „Hamburg und seine Bauten“. Die City Nord sollte perfekt an den Verkehr angebunden werden: Die Osttangente des damals geplanten Stadtautobahnnetzes sollte unmittelbar am Ostrand der Bürostadt verlaufen und zum Flughafen Fuhlsbüttel führen – und sie an die A 7 und den geplanten Flughafen Kaltenkirchen anschließen. Zudem sollte eine U-Bahn die City Nord von der Innenstadt über Winterhude erschließen. Wie wir wissen, kam es anders.

Keinen Städtebauer störte damals, dass die Flächen nördlich des Stadtparks nicht brach und leer waren. Für sie war der Raum spätestens ab dem Moment überplanbar, als das große Stadion im Bahrenfelder Volkspark gebaut wurde – und eben nicht in Alsterdorf. Ende der 50er-Jahre lebten aber rund 4300 Menschen auf 1850 Kleingartenparzellen und in 1250 Behelfsheimen auf der Fläche der Geschäftsstadt Nord. Für sie errichtete die Stadt 591 neue Wohnungen an der Hindenburgstraße.

Längst ein Denkmal: das HEW-Gebäude von Arne Jacobsen.
Längst ein Denkmal: das HEW-Gebäude von Arne Jacobsen. © Vattenfall | Vattenfall

Dann ging alles schnell. Drei Bauabschnitte waren geplant. Schon 1960 begannen die Verkaufsverhandlungen, die sich über vier Jahre hinzogen. 1964 drehten sich die ersten Kräne, 1966 wurden die ersten drei Gebäude bezogen. Man rühmte sich eines „Minimums an nachbarlichen Bindungen“, eines Maximums an Abständen; Baulinien wurden nicht festgelegt, jeder durfte nach seiner eigenen Fasson selig werden. Wegen des nahen Flughafens wurde nur die Höhe der Hochhäuser auf 50 Meter begrenzt.

Dafür musste je 50 Quadratmeter Geschossfläche ein Parkplatz entstehen, 60 Prozent der Stellplätze sollten in Garagen verschwinden und ein Drittel der Grünflächen gärtnerisch gestaltet werden. Aus „hygienischen Gründen“ wurde das gesamte Gebiet an das Fernheizungssystem der HEW angeschlossen.

Futuristischer Bau

Der Hamburger Energieversorger ließ sich selbst in der Geschäftsstadt nieder – in einem futuristischen Bau des dänischen Stararchitekten Arne Jacobsen. Weitere Pioniere der Bürostadt waren die Hamburgische Landesbank, die Farbwerke Hoechst, die Deutsche BP, Esso, die Landesversicherungsanstalt und die Nova Versicherungen. Es ist eine Ironie der Geschichte, dass viele dieser Unternehmen längst selbst Geschichte sind oder übernommen wurden.

Zur Moderne gehörte das Großraumbüro wie hier in der BP-Zentrale.
Zur Moderne gehörte das Großraumbüro wie hier in der BP-Zentrale. © Hamburgisches Architekturarchiv | Hamburgisches Architekturarchiv

Die spektakulären Bürobauten der 60er- und 70er-Jahre hingegen tun sich schwer, neue Eigner zu finden. Ihr Maßstab und ihre Großraumbüros sind von vorgestern. Vor allem aber schrecken viele die laufenden Kosten durch Betrieb und Energie ab, mitunter auch der Denkmalschutz, der wie bei Vattenfall bis zum Geschirr in der Kantine reicht.

Stilprägende Bauten wie die frühere Oberpostdirektion in der Form des Brutalismus von 1977 wurden 2018 abgerissen, das Bürohaus der Claudius Peters AG komplett entkernt und zum Apartmenthotel umgebaut. Die Hauptverwaltung der Benzin und Petroleum AG wurde 2014 geschleift, dort ist das Holiday Inn in die Höhe gewachsen.

Inzwischen ist auch Wohnungsbau in der City Nord geplant, Kultureinrichtungen und Kitas vitalisieren das Viertel. „Der Entwurf für die Geschäftsstadt Nord soll zugleich ein Beitrag zum Städtebau unserer Zeit sein“, hieß es vor 60 Jahren. Bald könnte es so weit sein.