Hamburg. Der Badeplatz Schwanenwik wurde später größte „Schwimmanstalt“ der Alster. Traum vom Schwimmen in der Alster ist geblieben.
Die Alster, blaue Lebensader mitten in der pulsierenden Stadt, lockt die Hamburger schon seit Jahrhunderten zu Sport und Spaß. An heißen Sommertagen dort mit Genehmigung zu schwimmen und zu tauchen – das ist mittlerweile nichts weiter als ein schöner Traum. Vor 150 Jahren sah die Sache noch anders aus: Am 15. Juni 1869 wurde am Schwanenwik Hamburgs offizieller Alster-Badeplatz eingerichtet.
Die erste städtische Anlage, wie oft zu lesen, war das allerdings nicht. Schon 1850 gab es auf dem Grasbrook einen solchen Platz, sogar mit Umkleidekabinen, den man später auf die Veddel verlegte. Und auch in der Binnenalster durfte schon viel früher gebadet werden: 1793 war hier auf Betreiben der Patriotischen Gesellschaft ein Floß mit zwölf Kabinen eingerichtet worden. Dieses „Badeschiff“ galt als eine der ersten Flussbadeanstalten Deutschlands.
Improvisierte Badeplätze
Zurück zur Außenalster. Dort hatte es über Jahrzehnte jede Menge kleine Schwimmschulen und Mini-„Badeanstalten“ gegeben, die – mal mehr, mal weniger offiziell – privat betrieben wurden. Mancher improvisierte Badeplatz war im Laufe der Zeit zusätzlich entstanden und stillschweigend toleriert worden. Unzählige Hamburger Kinder lernten dort das Schwimmen, doch im Laufe der Zeit wurde klar, dass es angesichts steigender Bevölkerungszahlen und immer stärkerer Bebauung auf Dauer so lax nicht weitergehen konnte.
Wie Wilhelm Melhop in seinem Klassiker „Die Alster“ schreibt, war das Baden in der Außenalster schon im frühen 19. Jahrhundert offiziell nur an einer Stelle erlaubt: südlich des sogenannten Schlachterlandes bei der Uhlenhorst, ungefähr dort, wo heute die Straße Schwanenwik verläuft. Die Uferlinie war damals noch viel zerfaserter als in unserer Zeit, befestigte Wege gab es nicht. Der Badeplatz selbst lag weit im Wasser auf einer Sandbank, sodass man mit Ruderbooten dorthin übersetzen musste.
Umständliche Anfahrt
„Die Notwendigkeit, im Boote sich aus- und wieder anzuziehen, machte das Baden daselbst nur bei gutem Wetter angenehm“, schreibt Melhop. Trotz der umständlichen Anfahrt und des eher flachen Wassers war der Badeplatz, der ausschließlich von halbwüchsigen Jungs und Männern genutzt wurde, beliebt und an warmen Sommertagen sehr belebt.
„Das freie Bad hatte für die auf der Alster spazieren fahrenden, ja selbst für die Anwohner des jenseitigen Ufers manches Unangenehme im Gefolge“, deutet Melhop an. „Überfahrten mit größeren Töchtern“, so der Autor, „waren eine heikle Sache.“ Gebadet wurde nämlich nackt, und immer wieder gab es Beschwerden über angeblich unsittliches Gebaren vor Ort. Wie Quellen belegen, sollen die vorbeischippernden höheren Töchter (und ihre Mütter) aber durchaus immer mal ein Auge riskiert haben.
Zusätzliches Trinkgeld als Anreiz
Gerüchten zufolge wurden die Bootsführer nicht selten durch zusätzliches Trinkgeld davon überzeugt, möglichst dicht am Geschehen vorbeizufahren. Andere fanden das Ganze weniger spaßig. Im Sommer 1861 beschwerten sich die „Vaterstädtischen Blätter“ der „Hamburger Nachrichten“ darüber, dass viele Badende „die in Booten fahrenden Frauen und Kinder durch unschickliches Benehmen erschreckten“.
Als sich die Stadt weiter ausdehnte und das nordöstliche Alsterufer erschlossen wurde, kam die Zeit für den neuen Badeplatz. Größer, sicherer und besser kontrollierbar sollte er sein. Die Behörden ließen eine künstliche Insel aufschütten und mehrere barackenartige Gebäude errichten – ungefähr dort, wo heute die „Grillwiese“ unterhalb der Sechslingspforte liegt. Die Anlage wurde – das war vielen besonders wichtig – mit Büschen und Bäumen vor neugierigen Blicken aus Richtung Landseite geschützt.
Umfangreiche Gastronomie
Der „Strandbadeplatz für Männer und Knaben“ verfügte zunächst über ein rund 3000 Quadratmeter großes, relativ flaches Uferbecken, vor das 1883 ein großes Schwimmbecken gebaut wurde, das auch noch einmal 3500 Quadratmeter groß war. Erst von 1900 bis 1901 ließ die Stadt an der südlichen Seite eine Frauen-Badeanstalt (mit besonderem Zugang) bauen, die laut Melhop bereits im ersten Betriebsjahr von mehr als einer halben Million Frauen und Mädchen besucht wurde. Wegen der starken Nachfrage folgte bis 1906 noch ein weiteres Frauenbad auf der Nordseite.
1888 war nahe der Lombardsbrücke die schicke „Alsterlust“ fertiggestellt, streng genommen Nachfolgerin des alten Badeschiffs, das im Laufe der Jahre von der Binnen- in die Außenalster verlegt worden war und vorübergehend als Donnersche Badeanstalt bekannt wurde. Die Alsterlust hatte zwei je 900 Quadratmeter große Becken und eine umfangreiche Gastronomie mit Weitblick über das Wasser. Die gesamte Anlage war aufwendig gebaut und wirkte mit Fachwerk, Türmchen und Erkern wie ein frühes Disneyland. Sehen und Gesehenwerden waren hier deutlich wichtiger als das Bad im kühlen Nass.
Alster-Badeanstalten überstanden Krieg nicht
Die Reste der schon länger nicht mehr genutzten Badeanstalt Schwanenwik wurden im Zweiten Weltkrieg zerstört. Der Zahn der Zeit hatte an ihr genagt, und die schlechter werdende Wasserqualität war ein häufiges Thema. Ein Liedchen über Hamburgs Badefreuden begann mit der Zeile „Am Schwanenwik / schwimm’ die Ködel mit Musik“, und an anderer Stelle hieß es vielsagend: „In der Alster schwimmt ’n Qualster.“ Hinzu kam, dass im Laufe der Zeit in vielen Stadtteilen Hallen- und Freibäder entstanden waren, die Kunden abzogen.
Auch die Alsterlust hatte schon vor dem Krieg ihre besten Jahre hinter sich. Ihre Umgestaltung in ein Bootshaus war bereits beschlossen, konnte dann aber nicht mehr umgesetzt werden. Man kann nur darüber spekulieren, ob und wie die beiden riesigen Anlagen heute genutzt werden könnten. Deutlich gestiegene Anforderungen an die Sicherheit und viele Hygiene- und Umweltauflagen müssten berücksichtigt werden. Möglicherweise wären sie längst unrentabel geworden, der Abrissbirne zum Opfer gefallen und – wenn überhaupt – völlig neu gebaut worden.
Doch mögen die Badeanstalten auch verschwunden sein – den Traum vom Schwimmen in der Alster haben die Hamburger nie aufgegeben. Und wie das mit Träumen so ist: Manchmal werden sie gerade dann wahr, wenn niemand mehr damit rechnet.