Hamburg. Der kleine Jonte ist einer der ersten Patienten auf der neuen Neonatologie-Station der AK Heidberg. Das Abendblatt hat ihn begleitet.
Susanne Schmidtke hatte am Morgen den für sie vielleicht wichtigsten Termin des Tages. Ganz früh, lange bevor die ersten Mitarbeiter die Flure entlangeilten, war sie noch einmal drüben im leeren Neubau. Hat sich an die Eingangstür gestellt. Und ist Stück für Stück den Weg abgelaufen, den wenige Stunden später die Babys nehmen sollen. Ein letzter Check, ob alles an seinem Platz ist. Ein letzter Blick ins Aufenthaltszimmer der Eltern, das Schwesternzimmer, die Anmeldung. Ist alles bereit, funktionieren alle Geräte? Schmidtke wollte nichts dem Zufall überlassen. Nicht nur das, irgendwie wollte sie auch nach den Monaten und Jahren der Bauphase ihre neue Station ganz alleine anschauen und auf sich wirken lassen, bevor sie mit Leben gefüllt wird. Und vielleicht half es auch ein wenig gegen die Anspannung, denn bei diesem Umzug musste schließlich wirklich alles reibungslos funktionieren.
Schmidtke ist Chefärztin der Neonatologie in der Asklepios Klinik Nord, der Station, auf der Frühchen, kranke und schwerkranke Neugeborene und solche mit Fehlbildungen behandelt werden. Zusammen mit ihrem Kollegen Prof. Markus Kemper leitet sie die Kinderklinik im Norden der Stadt. Und zusammen mit ihm und vielen Kollegen hat sie auch die neue Frühchenstation erdacht, geplant und umgesetzt. Nun endlich, mit fast einem Jahr Verzögerung, dürfen die kleinen Jungen und Mädchen zusammen mit ihren Eltern in die neuen hellen Räume einziehen. Sechs Babys sind es an diesem Morgen, die einige Flure weiter ein Zuhause auf Zeit finden.
Jonte zeigte früh, dass er Leben will
Einer von ihnen ist Jonte Lukas Peter. Der Kleine wurde am 9. September geboren – und ist streng genommen in vielerlei Hinsicht ein echtes Wunder. Wie es dazu gekommen ist, erzählen seine Eltern an seinem Bettchen, kurz bevor sie ihn über den Flur schieben sollen. „Schon in den ersten Wochen der Schwangerschaft gab es immer wieder Schwierigkeiten“, sagt Vater Daniel Peter. „Immer wieder traten Blutungen auf. Immer wieder wurde uns von den Ärzten signalisiert, dass es sein kann, dass wir die kritische 12. Woche nicht schaffen werden.“
Doch der kleine Kerl belehrte alle eines Besseren und kämpfte sich durch die ersten harten Wochen im Bauch seiner Mutter. Damit nicht genug. „In der 23. Woche mussten wir mit dem Verdacht auf Blasensprung, also einem Riss in der Fruchtblase, ins Krankenhaus“, sagt Mama Isabell Figiel und streichelt die winzige Hand ihres Sohnes. „Da musste Jonte allen zeigen, dass er wirklich leben will, denn es war genau die Phase, in der er außerhalb meines Bauches noch nicht überlebensfähig gewesen wäre.“ Jonte zeigte seinen starken Willen und blieb im Bauch seiner Mama.
Umzug der Neonatologie
Nur drei Wochen später mussten die besorgten Eltern erneut ins Krankenhaus. Starke Blutungen hatten eingesetzt, der lebenswichtige Mutterkuchen hatte sich an einer Stelle gelöst. „Jonte bekam sofort eine Spritze, die die Lungenreife fördern sollte. Und uns wurde gesagt, wir sollten damit rechnen, dass er in den nächsten 48 Stunden auf die Welt geholt werden muss“, so sein Vater. Wieder einmal verrechneten sich die Ärzte, wieder blieb das Baby im Bauch seiner Mama. Die musste allerdings, nachdem die Blutung gestillt war, in der Klinik bleiben. „Der Kleine und ich wurden jetzt permanent überwacht.“
„Jeder Tag kann viel bringen in der Entwicklung der Kleinsten“, sagt Schmidtke, die neben den dreien steht. Die Eltern setzten sich ein Ziel: „Den August wollten wir unbedingt schaffen.“ Das nächste war der Umzug der Neonatologie. „Wir wollten gleich auf die neue Station ziehen“, sagt Figiel und lacht. Und fast hätte das sogar geklappt.
Sohn kam am Tag der geplanten Hochzeit zur Welt
Als sich abzeichnete, dass Jonte sich im Bauch seiner Mutter weiter gut entwickelte, wagten die werdenden Eltern sogar in Absprache mit den Ärzten noch etwas ganz Besonderes. „Wir wollten schnell heiraten, damit alles geregelt ist, wenn Jonte da ist“, sagen sie und fassen sich an den Händen. Diesen Plan hat ihr Sohn ihnen allerdings vereitelt. Der Tag der geplanten Hochzeit, der 9. September, wurde Jontes Geburtstag. Um kurz nach 11 Uhr am Vormittag holten die Ärzte der Klinik den kleinen gesunden Jungen mit 1068 Gramm in der 30. Schwangerschaftswoche auf die Welt.
„Es war trotz allem eine wunderschöne Geburt“, sagen beide. „Unser ganzer Dank gilt der Klinik. Alle haben uns von der Wochenbettstation zum Kreißsaal und bis zur Neonatologie super betreut. Bei all den noch so tragischen Hiobsbotschaften, die uns immer wieder erreichten in den vergangenen Monaten, fühlten wir uns zu jedem Moment gut aufgehoben.“ Die neue Station ist nach den neuesten Erkenntnissen der Neonatologie gebaut. Zur Verfügung stehen elf geräumige Einzelzimmer für Mutter und Baby. Dazu drei Mehrbettzimmer. „Wir haben versucht, hier nicht nur die absolute Hightechmedizin unterzubringen, sondern auch die Bedürfnisse der Neugeborenen und der Eltern zu bedenken“, sagt Schmidtke.
Die Eltern sollen sich wohl fühlen
Dazu gehört ein besonderes Schallschutzkonzept für die Räume, „weil Lärm für die ganz Kleinen gar nicht gut ist“. Eine besondere Beleuchtung, bei der die Lampen tagsüber ein anderes Licht geben als nachts. Wärmeschubladen halten angenehm temperierte Tücher für die Kleinen vor. Und ein Kühlschrank ermöglicht es jeder Mutter, ihre Muttermilch direkt im Zimmer aufzubewahren. „Damit wollen wir den Aufenthalt für alle hier so angenehm wie möglich gestalten“, so Schmidtke. Und je wohler sich die Eltern fühlen, desto mehr würden sie auch Zeit mit ihrem Kind verbringen wollen. „Denn wir glauben fest daran, dass für die körperliche und die geistige Entwicklung der enge Kontakt zwischen Eltern und Kind ganz wichtig ist.“ Außerdem sollen sie so Stück für Stück lernen, die Pflege ihres Kleinen zu übernehmen. „In dem Moment, in dem sie nach Hause kommen, müssen sie das ja sowieso“, so die Ärztin.
Jontes Eltern wirken bereits recht eingespielt. Die beiden wollen sich künftig die Betreuung im Krankenhaus teilen. Bis zum späten Nachmittag übernimmt Isabell Figiel die Betreuung. Dann wollen sich die Eltern zu Hause um die beiden Mädchen Laura-Jane (12) und Felicia (7) aus einer früheren Beziehung von Peter kümmern. Bevor Daniel Peter dann am Abend zurück in die Klinik fährt, um die Nacht bei Jonte zu verbringen:. „So können wir allen gerecht werden. Uns, unseren großen Mädchen und dem kleinen Kerl.“