Rellingen. Joerg Vieweg über neue Formen des Abschiednehmens, “naturverträgliche“ Verfahren und Beisetzung im Garten oder im All.
Die schrecklichste Art, verstorbene Menschen zu entfernen, ist in den Augen von Joerg Vieweg eine Discount-Bestattung, gebucht übers Internet: „Entsorgen, weil es billig ist“, nennt er das. Schaudernd. Seit 15 Jahren ist der 53-Jährige in Rellingen Bestatter aus Leidenschaft. Er tut genau das Gegenteil so einer unpersönlichen Beerdigung. Kehrt zurück zu den Wurzeln – und geht zugleich gedanklich weiter über alles hinaus, was hierzulande an Bestattungsformen erlaubt ist. Setzt sich für die Zulassung alternativer, ökologisch nachhaltiger Formen der Körperzersetzung ein, die in anderen Ländern bereits praktiziert werden. Wie geht das zusammen?
Ein Besuch bei dem Mann, der vor 15 Jahren als Bestatter bei Null anfing und heute gut zu tun hat, zeigt, dass das kein Widerspruch ist. Einerseits weiß er aus seinem gesamten Berufsleben, wie Menschen am besten voneinander Abschied nehmen. Andererseits hinterfragt er gern kulturell bedingte Tabus. Fast 70 Prozent der Deutschen lassen sich mittlerweile einäschern, nur noch etwa 30 Prozent wollen im Sarg beerdigt werden.
Baumbestattung oder Asche im All – alles möglich
Seine eigene Firma macht nur das, was in Deutschland erlaubt ist: Erd- oder Feuerbestattung. Allerdings finden sich auf seiner Website Angebote wie „Tree of Life“, eine Art der Baumbestattung, die „stark zugenommen hat“, sagt Vieweg. Hierfür wird der persönliche Wunschbaum ausgewählt, der dann in einem Substratgemisch aus der Asche der Verstorbenen und spezieller Erde gepflanzt wird. In Anschluss kann der Baum dann im eigenen Garten stehen. Auch eine Weltraumbestattung vermittelt Vieweg dem, der im All verglühen möchte. Er kennt russische und amerikanische Firmen, die so etwas anbieten.
Sein Herz schlägt aber immer dann höher, wenn er die Gelegenheit bekommt, mit Menschen tabufrei über nachhaltige Alternativen zu reden. Im Mai hat Vieweg auf der Bremer Messe „Leben und Tod“ einen Vortrag dazu gehalten. Provokanter Titel: „Tu die Mutti auf den Kompost“. Ja, Joerg Vieweg möchte die deutsche Begräbniskultur verändern.
Bei anderen Bestattungsformen ist man in Deutschland besonders zurückhaltend, vielleicht auch aufgrund der NS-Geschichte. Andere Länder hingegen, zum Beispiel die USA, Australien, die Schweiz oder die Benelux-Länder, seien da offener. In einem Krematorium etwa entstünden toxische Gase, Kohlenmonoxid, Dioxin und Quecksilber, sagt Vieweg. Die Gifte würden ausgefiltert, aber dann als Sondermüll in Salzstöcken gelagert. „Das ist doch seltsam“, meint er, der überzeugt ist, dass naturverträglichere Formen irgendwann auch hier praktiziert werden.
Die Resomation zum Beispiel, die nur zehn Prozent der Energie verbraucht, die eine Verbrennung schluckt, ist bereits in den USA und Australien zugelassen und wird derzeit in den Benelux-Ländern geprüft. Bei diesem Verfahren wird ein Körper umweltfreundlich in einer Lauge zerstört. „Ob ein Körper sich chemisch, physikalisch oder biologisch auflöst, ist doch egal“, meint Vieweg.
Die Leichen werden "kompostiert"
Daher spricht er sich auch vehement für das Kompostieren aus: Beim „Recomposting“, das die Amerikanerin Katrina Spade entwickelt hat und in Seattle bereits umsetzt, werden Verstorbene in eine Wabe geschoben, in deren Innerem Rindenmulch, Pflanzen und Holzspäne ringsum leicht erwärmt und durchlüftet werden. Innerhalb von sechs Wochen sei der Körper komplett kompostiert und würde dann den Angehörigen übergeben. „Was ist schlimm an diesem schönen, ästhetischen Verfahren?“ fragt Vieweg, der weiß, dass die Grenzen zwischen dem, was gesellschaftlich akzeptabel ist und was Empörung hervorruft, fließend sind. In Berlin, erzählt er, werden auf ehemaligen Friedhofsgräbern Gemüsebeete angelegt.
„Es ist biologisch sinnvoll, den Körper der Natur zurückzugeben“, sagt der Bestatter: „Kinder haben dieses Konzept noch im Kopf“. Sie würden nicht auf die Idee kommen, ihr Meerschweinchen zu verbrennen, bevor sie es beerdigen.
Dass Joerg Vieweg es ernst meint mit seinem Beruf, zeigen seine Bürowände voller Zertifikate. Zum Beispiel hat er die internationale Prüfung für das Einbalsamieren von Toten abgelegt. Mehr lernen, mehr erfahren: So ist Vieweg, dessen Frau und Tochter zeitweilig in der Firma mitarbeiten, vorgegangen, seit er vor 15 Jahren seinen Job als Leiter einer Berufsfachschule für Rettungsassistenten an den Nagel hing. Nachdem die Beerdigung der eigenen Mutter seinem Gefühl nach schiefgegangen war.
Am offenen Sarg Abschied zu nehmen soll möglich sein
Zuvor hatte er jahrelang im Rettungsdienst einer Krankenhaus-Notaufnahme gearbeitet. Vieweg hat also Zeit seines Lebens existenzielle Grenzsituationen erfahren: „Das war schon sehr speziell, damals mit Anfang 20“, erinnert er sich. Sehr speziell ist es immer noch, was er tut. Zum Beispiel hat er sich auf die Thanatopraxie spezialisiert: Er richtet die Toten so her, dass eine Abschiednahme am offenen Sarg möglich wird. Auch rekonstruiert er Gestorbene, die durch Unfälle oder Gewalt zu Tode gekommen sind. Viel Kluges kann er dazu sagen, als das Gespräch darauf kommt. Fest steht, dass ein Sarg oder eine Urne bereits einen Abstraktionsgrad darstellen: Der Mensch, den die Trauernden kannten, ist nicht mehr zu sehen.
Aber Joerg Vieweg hat es schon oft erlebt, dass Angehörige zu ihm kamen, weil sie den Toten ein letztes Mal sehen wollten. „Je jünger jemand stirbt, desto wichtiger ist es, aktiv Abschied zu nehmen“, das sei trauerpsychologisch belegt, sagt er. „Der Tod muss im Kopf ankommen, bevor er im Herzen ankommt.“ Vieweg hat erlebt, dass die Schwester eines ermordeten jungen Mädchens zu ihm kam und darum bat, ein letztes Mal Abschied von ihr zu nehmen. Sie sei sehr dankbar dafür gewesen, die tote Schwester noch mal gesehen zu haben. „Es ist eine Frage der persönlichen Integrität, jemanden wieder so herzurichten, dass die sinnliche Abschiednahme möglich ist. Das ist das, was man noch geben kann.“
Von Anfang an hat sich der Bestatter für ein „offenes Konzept“ entschieden, was so viel heißt, dass er sich ständig fortbildet und die Trauernden ermutigt, Vorbereitungen und Feier aktiv mitzugestalten. Natürlich erfüllt er alle Wünsche seiner Kunden. Aber „alles, was wir brauchen, um Menschen richtig bestatten zu können, tragen wir in uns. Wir tun das aber meistens nicht, sondern geben es an Experten ab und befreien uns so von der Verantwortung“, sagt er.
Bevor es also darum geht, wie es mit den Gestorbenen weitergeht, muss etwas noch Wichtigeres von den Lebenden entschieden werden: Wie wollen wir Abschied nehmen? Dazu sagt Vieweg Dinge, die tief in den alten Traditionen wurzeln: „Man stirbt dann gut, wenn die Gemeinschaft bereit ist, etwas für den Sterbenden zu tun.“ Das kann er mittlerweile sogar als Trend ausmachen: „Die Menschen besinnen sich, dass der eigene Abschied in der Gemeinschaft sinnstiftend und befreiend sein kann“, stellt er fest.
Er hat es oft erlebt, wie gut es sich auswirkt, wenn ein Mensch im Kreis seiner Lieben stirbt, erinnert dann an den Brauch, ein Gedenklicht anzuzünden oder Totenwache zu halten. Bei all dem gehe es um die menschliche Begegnung. „Das, was am wertvollsten ist.“