Hamburg. Strafvollzugsexperten sehen Konzept als Beitrag zur Gewaltprävention, monieren aber die sehr verdichtete Bauweise.
Im Grundsatz sind sich die sechs Fraktionen der Bürgerschaft jedenfalls einig, was selten der Fall ist: Auf dem Gelände der Justizvollzugsanstalt Billwerder soll eine neue Jugendanstalt entstehen, die die 1930 in Betrieb genommene Gefängnisanlage auf Hahnöfersand (Landkreis Stade) ersetzt. Doch als die Pläne von Justizsenator Till Steffen (Grüne) für den 164 Millionen Euro teuren Neubau bekannt wurden, gab es auch Kritik: ein zu massiver Baukörper, zu wenig Grünflächen und schließlich: Der Entwurf ist eine Kopie der Justizvollzugsanstalt Gablingen bei Augsburg, die nicht für Jugendliche, sondern für Untersuchungshäftlinge und erwachsene Strafgefangene gebaut wurde.
In einer Anhörung befragten die Abgeordneten des Justizausschusses der Bürgerschaft am Dienstagabend fünf Strafvollzugsexperten. Insgesamt verteilten die Fachleute mehr Lob als Tadel. Gewürdigt wurde vor allem, dass das Konzept für die neue Haftanstalt dem Aspekt der Gewaltprävention Rechnung trage. „Das Realisierungskonzept für den Neubau am Standort Billwerder schafft zur Erreichung der Ziele des Jugendstrafrechts aus richterlicher, aber auch vollzugspraktischer Sicht einen nicht nur geeigneten, sondern auch Erfolg versprechenden Rahmen“, sagte Birte Meyerhoff, Leiterin des Jugendgerichts am Amtsgericht und frühere Leiterin der Jugendarrestanstalt Hahnöfersand.
Gewaltbereite Klientel hat zugenommen
„Der Baukörper erscheint übersichtlich, ermöglicht kurze Wege und ein schnelles Einschreiten“, sagte Meyerhoff mit Blick auf das Thema Gewalt. Die Richterin betonte, dass die „extrem gewaltbereite Klientel unter den Straftätern“ deutlich zugenommen habe. „Deswegen ist die Gewaltprävention immer wichtiger geworden.“ Ähnlich äußerten sich auch Christiane Jesse, Leiterin der Vollzugsabteilung im niedersächsischen Justizministerium, und Anne Damberg, Leiterin der Jugendanstalt Schleswig. Der Entwurf sieht einen einheitlichen Bau mit einer langen, sogenannten Magistrale vor, von der aus die Gefangenentrakte erreichbar sind, die in V-Form angeordnet sind.
Die deutlichste Kritik an der Jugendanstalt kam vom Strafvollzugsexperten Prof. Bernd Maelicke von der Leuphana Universität Lüneburg. „Es handelt sich um eine extrem verdichtete Bauweise. Die lange Magistrale wird zu sehr langen Wegen für die Gefangenen führen, immer in Begleitung eines Vollzugsbeamten“, sagte Maelicke. „Wie kann es sein, dass ein Wettbewerb für eine Jugendanstalt ausgeschrieben wird und ein Entwurf gewinnt, der identisch ist mit einer Vollzugsanstalt für Erwachsene?“, fragte der Vollzugsexperte. Laut Maelicke habe die Leiterin des Gablinger Gefängnisses gesagt, dessen bauliche Konstruktion sei ungeeignet für eine Jugendanstalt.
Moderner Justizanstaltsbau
Ähnlich äußerte sich die Architektin und Kriminologin Andrea Seelich aus Prag, deren schriftliche Stellungnahme vorgelesen wurde. „Auf den ersten Blick erkennt man einen relativ modernen Justizanstaltsbau, der viele Fehler der vergangenen Jahre nicht zu wiederholen scheint“, schreibt Seelich. „Aber es ist eine Kopie einer Untersuchungshaftanstalt. Genau da liegt das Problem: Die Untersuchungshaftanstalt sowie der Erwachsenenvollzug unterliegen einer ganz anderen Dynamik im Vollzugsalltag als der Jugendvollzug“, so Seelich, die wie Maelicke für eine Jugendanstalt im Dorf- oder Campuscharakter plädiert.
René Müller von der Gewerkschaft der Vollzugsbeamten lobte die zentrale Magistrale wegen der guten Übersicht als Beitrag zur Gewaltprävention, befürchtete aber, dass das Projekt letztlich zu Personaleinsparungen führen solle. Die Abgeordneten des Justizausschusses stimmten dem Konzept für den Bau der neuen Jugendanstalt in Billwerder nach mehrstündiger Diskussion mit Ausnahme der Linken zu.