Hamburg. Strafvollzugsexperte kritisiert die „extrem verdichtete Bauweise“ des Entwurfs für den Komplex in Billwerder.

Die Ähnlichkeit ist verblüffend: In Gablingen unweit von Augsburg steht seit 2015 eine Justizvollzugsanstalt, deren v-förmige Haftgebäude mit den dahinter liegenden Werkstätten und Unterrichtsräumen wie die Vorlage für den Entwurf der neuen Jugendanstalt in Billwerder wirkt (wir berichteten). Markant ist auch das schmale und sehr lange Mittelgebäude, „Magistrale“ genannt, das Haft- und Funktionsgebäude voneinander trennt.

In einer Kleinen Anfrage will die FDP-Bürgerschaftsfraktionschefin Anna von Treuenfels-Frowein unter anderem vom Senat wissen, wie die „fast genaue Übereinstimmung“ zu erklären sei. „Die Ähnlichkeiten der Bauweise ergeben sich aus den funktionalen Prinzipien. Auch in Gablingen handelt es sich um eine moderne Anstalt in gewaltpräventiver Bauweise“, sagt Marco Lange, Sprecher der Justizbehörde.

Entwürfe von unterschiedlichen Architekten

In den v-förmigen Hafthäusern, auch „Schwalbenschwänze“ genannt, seien die Hafträume so angeordnet, dass sich die Gefangenen unterschiedlicher Wohngruppen nicht über die in der Mitte liegenden Freistundenhöfe unkontrolliert austauschen können – sei es verbal oder indem Gegenstände geworfen werden. Trotz der großen Ähnlichkeit stammen die Entwürfe von unterschiedlichen Architekten: Das bayrische Gefängnis wurde von dem Düsseldorfer Büro Schuster Architekten geplant, der Hamburger Entwurf von agn Niederberghaus & Partner, ebenfalls aus Düsseldorf.

Der renommierte Strafvollzugsexperte Prof. Bernd Maelicke aus Lüneburg weist darauf hin, dass die bayrische Haftanstalt für den Erwachsenenvollzug konzipiert wurde und daher eine andere Funktion als eine Jugendanstalt hat, in der erzieherische Aspekte Priorität haben müssen. „Die extrem verdichtete Bauweise mit der absolut prioritären Zielsetzung auf dem Grundsatz der Gewaltfreiheit will eine Einsehbarkeit und Übersichtlichkeit aller Bereiche erreichen“, sagt Maelicke. Der Anspruch der „totalen Kontrolle“ sei in der Praxis nicht einlösbar und würde die ebenso prioritären Ziele des „Erziehungsvollzugs“ mit Jugendlichen und Heranwachsenden gefährden.

Kosten von 164 Millionen Euro

Maelicke favorisiert das „Dorf-Modell“ für die Jugendanstalt, bei dem die Hafthäuser verstreut auf dem Gelände sind und der Anteil der Freiflächen deutlich größer ist. Aus Sicht der Justizbehörde würde dieses Konzept zulasten der gewaltarmen Atmosphäre gehen und unkontrollierbare Gefangenenkontakte ermöglichen. „Der Dorfcharakter ist daher aus Sicht der Justizbehörde nicht geeignet, um den Bedürfnissen der jungen Hamburger Gefangenen gerecht zu werden“, sagt Lange. Im Übrigen enthielte der Hamburger Entwurf eine 11.000 Quadratmeter große Freifläche für Sport und Freizeit, die noch nicht verplant sei.

Nach Abendblatt-Informationen soll die neue Jugendanstalt 164 Millionen Euro kosten und damit deutlich teurer werden als die rund 40 Millionen Euro, die für Sanierung und Modernisierung der Jugendhaftanstalt Hahnöfersand erforderlich wären, die nun geschlossen werden soll. „Justizsenator Till Steffen wäre gut beraten, die Kritik der namhaften Experten ernst zu nehmen. Offene Fragen zur extremen Verdichtung der Bauplanung müssen zeitnah geklärt werden“, sagt Treuenfels-Frowein.