Hamburg. Journalisten von „Amal, Hamburg!“ schreiben über die Gefühle von Zuwanderern – und was die Deutschen dazu beitragen können.
Am Sonntag ist „Tag der Heimat“, ein Gedenktag, der nach dem Zweiten Weltkrieg für deutsche Heimatvertriebene initiiert wurde. Im Abendblatt schreiben heute drei Journalisten von „Amal, Hamburg!“, darüber, was Heimat für sie als Flüchtlinge bedeutet. Sie berichten seit April auf Arabisch und Persisch über das Leben in Hamburg.
Nilab Langar schreibt: „Das Mutterland, der Geburtsort des Menschen ist moralisch und emotional wertvoll. Es verdient Respekt. Es ist der Boden, aus dem wir erwachsen. Es ist die Luft, die wir atmen. Manchmal ist sie voll Sauerstoff und gesund und wirkt belebend; manchmal ist sie von Rauch und Schießpulver verdreckt. In diesem Mutterland sind wir zur Welt gekommen. Das bedeutet aber nicht, dass wir uns bis zum letzten Atemzug dort aufhalten müssen, wenn der Preis dafür wäre, unsere Fähigkeiten und unsere Kreativität zu begraben, weil die Bedingungen widrig sind.
Menschen sind immer schon zu Abenteuern aufgebrochen und haben dabei große Entdeckungen gemacht und so den Lauf der Welt verändert. Die Grundfesten der modernen Welt beruhen auf solchen Abenteuern. Wenn ein Mensch innovative und kreative Ideen hat, wird er ziemlich wahrscheinlich aufbrechen, nahe und ferne Länder besuchen und deren natürliche und industrielle Möglichkeiten nutzen. Deswegen ergibt es Sinn, kosmopolitisch zu denken und die ganze Welt als Heimat der Menschen zu bezeichnen.
Menschen nicht zur Treue zwingen
Ich glaube, dass man die Menschen nicht zur Treue zwingen kann, wenn sie ihr körperliches und geistiges Potenzial ausschöpfen sollen – nicht zur Treue zu einem Land, einer Sprache oder einem Volk. Jede Ecke in dieser Welt, wo der Mensch seinen Frieden und sein Wohl findet und wo es ihm oder ihr möglich ist, Entdeckungen zu machen und Lösungen zu finden, kann man Heimat nennen.
Um dies zu belegen, könnte ich Tausende von besonderen und konstruktiven Entwicklungen anführen, die von Menschen auf den Weg gebracht wurden, die außerhalb ihres Mutterlands lebten – von Menschen, die ausgewandert sind, und die neue Prozesse und Mechanismen entdeckt haben, um Krisen zu bewältigen und Lösungen zu finden. Wenn man genauer hinschaut, wird jeder Ort, an dem der Mensch seine Ideale erreicht, zur Heimat – und nicht nur der Ort, an dem man geboren ist.
Omid Rezaee schreibt: Der Begriff Heimat hat für mich zwei Seiten. Die eine hat mit dem Iran zu tun. Die andere mit Deutschland.
Zum einen ist Heimat für mich verbunden mit dem Ort, wo ich geboren und aufgewachsen bin. Manchmal sehe ich ein Bild von dort und bin sofort in einer anderen Welt, bei den Menschen, mit denen ich dort gelebt habe, und den Dingen, die dich dort erlebt habe. Ich vermisse diese Heimat. Ich wurde gezwungen, sie zu verlassen. Ich bin nicht freiwillig gegangen.
Ich werde nostalgisch, wenn ich in diesem Kontext an diese Heimat denke. Aber ich denke dann nicht politisch. Dass ich mich für den Iran engagiere, für die Menschen, die dort leben, ist unabhängig von diesen Gefühlen. Ich tue es nicht, weil ich die Iraner mehr liebe als die Norweger. Sondern schlicht, weil ich mich in Bezug auf den Iran besser auskenne. Ich engagiere mich, weil ich es kann – und weil ich möchte, dass der Iran ein besseres Land wird.
Begriff Heimat mit einer anderen Bedeutung
Hier in Deutschland hat der Begriff Heimat für mich eine andere Bedeutung. Hier ist er verbunden mit der Debatte, die hier derzeit geführt wird. Dazu mache ich mir politische Gedanken und auch Sorgen. Diese Debatte hat mit Ausgrenzung zu tun. Sie hat mit uns zu tun.
In dieser Debatte geht es um den Konflikt zwischen den sogenannten Einheimischen, die dieses Land als Heimat definieren, und denjenigen, die irgendwann und irgendwie eingewandert sind. Dabei ist unwichtig, ob diese Einwanderer das Land für sich als Heimat definieren. Viele fühlen sich hier zu Hause, viele sind hier geboren und kennen gar kein anderes Land. Manche sind schon in der dritten Generation hier. Aber auch das zählt nicht. In diesem Konflikt verläuft die Linie zwischen den Weißen – man könnte auch sagen den Biodeutschen – und den Nicht-Weißen. Die Einheimischen, die ihre Vorfahren hier haben, grenzen die anderen aus – und dafür benutzen sie den Begriff Heimat.
Ich erinnere mich noch gut an meine erste Demonstration in Deutschland. Es war Anfang 2015, ich war gerade angekommen. Ein Freund nahm mich mit zu einer Anti-Pegida-Demo. Da waren vielleicht 60 Pegida-Anhänger und 1000 Gegendemonstranten. Ich verstand wenig von ihren Forderungen. Aber einer ihrer Slogans hieß „Nationalismus raus aus den Köpfen!“ „Wow!“, dachte ich.
Ein echter Schlüsselmoment
Das war ein echter Schlüsselmoment. Ich hatte, bevor ich nach Deutschland kam, im Irak gelebt. Ich hatte erlebt, wie die Kurden dort ihre Nation und ihre Heimat verteidigen – gegen den IS und auch gegen Bagdad. In jener Zeit ging es dort zum ersten Mal um ein Referendum für einen unabhängigen kurdischen Staat. Ich hatte darüber berichtet und mit etlichen kurdischen Intellektuellen gesprochen. Es ging darum, die Heimat vom IS zu befreien. Der Begriff Heimat war positiv besetzt, Nationalismus wurde von den progressiven Kräften propagiert.
So ähnlich kannte ich es auch aus dem Iran. Dort sagen viele Oppositionelle: Das islamische Regime hat das Land besetzt, wir wollen unser Land befreien. Das ist ein richtig beliebter Gedanke gegen das Regime. Die erste politische Bewegung im Iran, die dazu führte, dass das Land 1906 sein erstes Parlament bekam, nannte sich die Nationalisten oder die Patrioten, und das war progressiv besetzt. Viel später, in der grünen Revolution, an der ich dann selber beteiligt war, gab es die Parole: „Wir holen uns die Flagge des Iran zurück!“ Auch da war der Nationalismus positiv besetzt. Und nun erlebte ich, wie in Deutschland die progressiven Kräfte riefen: „Nationalismus raus aus den Köpfen.“ Wow.
Was ich sagen will: Der Begriff Heimat ist immer in dem Kontext zu sehen, in dem er gebraucht wird. Und so, wie er in Deutschland derzeit gebraucht wird – nämlich zur Ausgrenzung – ist er gefährlich. Dabei könnte man den Begriff auch anders verwenden. Die Heimatler – also jene, die sich für ihre Heimat starkmachen und sie verbessern wollen – könnten sich darum bemühen, dieses Land auch für die anderen zur Heimat zu machen, also zu einem Ort, an dem sie sich zu Hause fühlen. Sie könnten sagen: Wir wollen nicht, dass die anderen sich hier fremd fühlen. Ja, das könnten sie tun.
Ahmad Alrifaee schreibt über das Gespräch von Rita und Ahmed. Ahmed und Rita sitzen am Ufer der Außenalster in Hamburg. Es ist der fünfte Sommer, in dem Ahmed in Hamburg lebt. Rita lebt in Berlin. Sie reden über die Heimat.
Ahmed: „Die Heimat ist ein weiter Begriff mit vielen Aspekten. Sie ist etwas Persönliches mit einer relativen Bedeutung, die sich von Mensch zu Mensch unterscheidet.“
Rita: „Meine schwarzen Haare und meine braunen Augen deuten auf ferne Länder. Ich komme nicht aus einer Heimat, sondern aus einer Reihe von Heimaten. Ich kann nicht sagen, dass ich nur aus Syrien komme oder dass ich aus Deutschland bin. Für mich ist es etwas komplizierter. Ich habe das Gefühl, meine Heimat ist ein Koffer, den ich bei mir trage, ein Koffer, der aus Straßen, Bildern und Gerüchen besteht, und den ich aufmache, wenn mich die Sehnsucht erfasst.“
Ahmed: „Weißt du, Rita, manchmal habe ich das Gefühl, dass wir unserer Heimaten beraubt wurden. Selbst diesen Koffer, von dem du sprichst, mussten viele von uns zurücklassen, bevor sie auf der Suche nach einer anderen Heimat das Schlauchboot bestiegen. Wir stehen jetzt eigentlich vor der Wahl, ohne Heimat zu leben oder eine andere Heimat zu suchen. Ich kann nicht mit Überzeugung sagen, dass ich überhaupt keine Heimat brauche, die mir das Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit geben würde. (...) In Hamburg fand ich die politische und soziale Freiheit, die ich vermisst hatte, und die mir ermöglichte, ohne Angst oder Terror ich selbst zu sein. Was fehlt nun, damit mir Hamburg eine Heimat ist? Ich sagte, ich habe in Hamburg eine Heimat, nicht, dass Hamburg meine Heimat ist.“
Rita: „Obwohl ich fern von meiner Familie bin und es nicht viele Freunde gibt, kann ich sagen, dass ich in Berlin das Leben gefunden habe, das ich vorher immer vermisst habe: ein freies Leben ohne Sitten, Traditionen und Beschuss. Manchmal überlege ich mir, wie es wäre, wenn ich erneut auswandern müsste. Würde ich eine andere Heimat finden? Die Antwort darauf habe ich immer parat. Meine Heimat ist ein Koffer, den ich aufmache, wann immer die Grenzen mich einschränken. Ich bin eine Reihe von mobilen Heimaten, die sich mit der Ausdehnung meines Herzens erweitern.“
Die Texte entstanden als Kooperation zwischen Amal, Hamburg!, der Körber-Stiftung und dem Hamburger Abendblatt.