Hamburg. In Eimsbüttel soll Katja Husen neue Rathaus-Chefin werden, in Altona Stefanie von Berg – offen ist jeweils nur der Zeitpunkt.
Der Mann ist eigentlich ein Schöngeist. Aber diese Personalie brachte ihn mächtig in Brass. „Diese Gier nach neuen Posten ist unerträglich, stillos und wird die parteiübergreifende Zusammenarbeit in der Zukunft schädigen.“ Absender dieser Schimpftirade war Dietrich Wersich, seinerzeit CDU-Fraktionschef in der Bürgerschaft.
Was ihn so aufgeregt hat, damals im Herbst 2011? Nun, nachdem die SPD bei den Wahlen zur Bürgerschaft und den sieben Bezirksversammlungen (die 2011 letztmals parallel durchgeführt wurden) mit absoluten Mehrheiten ausgestattet worden war, hatte sie es doch tatsächlich gewagt, diverse strategisch wichtige Posten mit ihren Leuten zu besetzen – unter anderem hatte sie die CDU-Bezirksamtsleiter in Wandsbek und Harburg durch Sozialdemokraten ersetzt.
Das müsse doch nicht sein, meinte Wersich seinerzeit und verwies darauf, dass die CDU in ihrer Regierungszeit SPD-Bezirksamtsleiter im Amt belassen habe. Prominentestes Beispiel: Der spätere Chef der Senatskanzlei, Christoph Krupp (SPD), wurde in Bergedorf trotz absoluter Mehrheit der CDU sogar im Amt wiedergewählt.
Letzte Verhandlungsrunde
Dass es in solchen Fragen auch bei den Christdemokraten unterschiedliche Haltungen gibt, zeigt sich dieser Tage in Eimsbüttel. In der Bezirksversammlung wird es aller Voraussicht nach zu einem grün-schwarzen Bündnis kommen: Am 15. September treffen sich beide Seiten zu einer letzten Verhandlungsrunde, schon in der Woche darauf sollen beide Parteien die Vereinbarung billigen. Und sobald das der Fall ist, soll eine neue Bezirksamtsleiterin gewählt werden: Die frühere Grünen-Bürgerschaftsabgeordnete Katja Husen soll neue Chefin im „Rathaus“ Eimsbüttel werden.
Mit der Wahl der 43 Jahre alten Biologin, die als Geschäftsführerin des Zentrums für Molekulare Neurobiologie Hamburg sowie des Zentrums für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde am Universitätsklinikum Eppendorf (UKE) arbeitet, wird der bisherige Amtsinhaber Kay Gätgens (SPD) abgewählt – das Verfahren entspricht dem konstruktiven Misstrauensvotum auf Bundesebene.
Jetzt, wo ein Sozialdemokrat betroffen ist, reagiert die SPD ähnlich wütend wie seinerzeit die CDU: „Es geschieht nun genau das, wovor wir von Anfang an gewarnt haben: Der künftigen Koalition geht es einzig um den Austausch der Bezirksamtsleitung und nicht um die allseits anerkannte fachliche Kompetenz, die Kay Gätgens mitbringt“, sagte der SPD-Fraktionschef im Bezirk, Gabor Gottlieb. Er warf Grün-Schwarz zudem vor, den Konsens aufzukündigen, dass Bezirksamtsleitungen öffentlich auszuschreiben sind: Das zeige „einen neuen politischen Stil“.
Neue Mehrheitsverhältnisse finden ihren Niederschlag
Ob das mit dem Stil wirklich so neu ist, sei dahingestellt. Tatsache ist: Seit den Bezirkswahlen im Mai, bei denen die Grünen hamburgweit sowie in vier von sieben Bezirken klar stärkste Kraft geworden waren, gibt es neue Mehrheitsverhältnisse, und die finden jetzt ihren Niederschlag. So wäre Grün-Schwarz in Eimsbüttel ein Novum für Hamburg. Zwar gab es bereits Koalitionen dieser beiden Parteien in den Bezirken Altona und Harburg sowie 2008 bis 2010 auf Landesebene – aber in denen hatte jeweils die CDU den Ton angegeben. Doch wer in Eimsbüttel mit 16,3 Prozent nicht einmal halb so viele Stimmen wie die Ökopartei holt (37,2 Prozent, SPD: 23,1), kann froh sein, überhaupt als Juniorpartner auserkoren zu werden.
Schon das hatte zu schweren Verwerfungen zwischen SPD und Grünen geführt, die immerhin noch gemeinsam den Senat stellen. Die Sozialdemokraten hatten den Grünen vorgeworfen, von Anfang an nur an der Bezirksamtsleitung interessiert gewesen zu sein. An inhaltlichen Gründen sei eine Neuauflage des Bündnisses jedenfalls nicht gescheitert. Die Grünen hingegen hatten das stets zurückgewiesen: Gescheitert sei ein grün-rotes Bündnis am Unvermögen der SPD, die neuen Mehrheiten zu akzeptieren und eine andere Politik mitzutragen – vor allem im Verkehrsbereich.
Dagegen polarisiert Katja Husen eher weniger. Die Mutter einer Tochter ist seit mehr als 20 Jahren Mitglied bei den Grünen und saß von 2004 bis 2008 in der Bürgerschaft. Schmankerl am Rande: Als Gesundheitsexpertin soll die junge Oppositionspolitikerin dem damaligen UKE-Chef Jörg Debatin so positiv aufgefallen sein, dass er die Biologin nach ihrem Ausscheiden aus der Bürgerschaft prompt an die Klinik holte. Debatin wiederum ist CDU-Mitglied und war immer mal wieder für höhere Aufgaben in der Partei im Gespräch.
Hohe Erwartungen bei den Grünen
Daraus wurde zwar nichts, doch die Anekdote erklärt ein wenig, warum auch der Vorsitzende der Eimsbüttler CDU, der Bundestagsabgeordnete Rüdiger Kruse, „sehr einverstanden“ mit dem Personalvorschlag der Grünen ist: „Ich schätze Frau Husen sehr“, sagte Kruse. „Sie ist pragmatisch an der Sache orientiert und hat Erfahrung im Management. Ich glaube, sie ist genau die richtige Person, um für diese Koalition zu stehen.“
Die Grünen legen die Messlatte für ihre womöglich erste Bezirksamtsleiterin ebenfalls hoch an. „Das Wahlergebnis von mehr als 37 Prozent hat hohe Erwartungen an uns geweckt. Wir müssen jetzt liefern“, sagte ihr Fraktionschef in der Bezirksversammlung, Ali Mir Agha. „Daher war es uns wichtig, dass wir eine erfahrene Person mit klarem grünen Profil an der Spitze des Bezirksamts haben. Sie muss zudem eine Verwaltung führen und Personalverantwortung tragen können – beides hat Katja Husen bewiesen.“
Grüne setzen auf wechselnde Mehrheiten
Unklar ist nur noch, wann Husen gewählt wird und wann sie dann ihr Amt antritt. Fest steht: Der Wechsel soll möglichst noch im Herbst stattfinden. Den Titel „erste grüne Bezirksamtsleiterin Hamburgs“ kann ihr daher nur noch Stefanie von Berg streitig machen. Wie berichtet, soll die frühere Bürgerschaftsabgeordnete der Grünen künftig das Bezirksamt Altona leiten, dessen Chefposten vakant ist, seit Liane Melzer (SPD) vor einigen Tagen in den Ruhestand ging. Doch auch bei ihr ist der Zeitpunkt des Wechsels unklar.
Denn während in den anderen Bezirken derzeit Koalitionen ausgelotet werden, haben sich die Altonaer Grünen mit den anderen Fraktionen darauf verständigt, auch künftig auf wechselnde Mehrheiten zu setzen. Das habe gut funktioniert und zudem zu einem angenehmen Klima in der Bezirksversammlung beigetragen, sagte die Grünen-Fraktionsvorsitzende Gesche Boehlich. Für von Berg bedeutet das allerdings, dass sie keine feste Mehrheit hinter sich hat: Sie wird daher jetzt durch die Fraktionen tingeln und um Unterstützung bitten.
Auswirkungen auf Bürgerschaftswahl sind offen
Offen ist noch, welche Auswirkungen die neuen Machtverhältnisse in den Bezirken auf die Bürgerschaftswahl im Februar haben werden. Klar scheint bislang nur, dass für die CDU Grün-Schwarz in Eimsbüttel eine willkommene Chance ist, sich als Machtoption für die Landesebene ins Spiel zu bringen – etwa in einem Jamaika-Bündnis mit Grünen und FDP. Ob aber die Grünen offensiv mit so einer Konstellation kokettieren und das ohnehin angespannte Klima im Senat weiter belasten werden, ist aus drei Gründen fraglich: Erstens kommt Streit innerhalb von Regierungen bei den Wählern nicht gut an. Zweitens ist Rot-Grün bei den Hamburgern das mit Abstand beliebteste Bündnis. Und drittens verbindet die Grünen mit der SPD unterm Stich dann doch mehr als mit der CDU und vor allem mit der FDP.
Auch Katja Husen wird in Eimsbüttel eine Tradition ihrer SPD-Vorgänger Kay Gätgens und Torsten Sevecke fortsetzen – und meistens mit dem Fahrrad zur Arbeit kommen. Einen Führerschein hat die künftige Bezirksamtsleiterin gar nicht erst gemacht.