Hamburg. Hamburg hat sich noch nicht für ein Modell entschieden, weil es eine finanzielle „Bestrafung“ und aufwendige Doppelarbeit fürchtet.

Als Bund und Länder sich Mitte Juni nach monatelangem Ringen doch noch auf eine Reform der Grundsteuer geeinigt hatten, war das Aufatmen landauf, landab groß: Einerseits weil die Reform, wie vom Bundesverfassungsgericht gefordert, bis Ende des Jahres beschlossen und so eine der wichtigsten Einnahmequellen der Kommunen gesichert werden kann. Rund 14 Milliarden Euro pro Jahr fließen aus der Grundsteuer in die Kassen der Kämmerer. Hamburg etwa kalkuliert für 2019 mit einem Aufkommen von 480 Millionen Euro – das sind knapp vier Prozent der städtischen Steuereinnahmen.

Freude gab es andererseits aber auch, weil den Ländern per Öffnungsklausel gestattet wird, statt des äußerst komplizierten, aufwendigen und vor allem für angesagte Großstädte problematischen Gesetzes aus dem Haus von Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) eigene Grundsteuermodelle einzuführen. Vor allem Bayern und Hamburg hatten stets für ein einfaches Flächenmodell plädiert, bei dem die Steuer allein nach der Fläche von Grundstücken und Immobilien berechnet wird und nicht nach dem Wert, wie der Scholz-Entwurf es vorsieht. Denn das würde in Städten wie Hamburg, in denen die Immobilienwerte in den vergangenen Jahren extrem angestiegen sind, halt auch zu massiv steigenden Steuerbelastungen führen.

Es geht um das Einnahmepotenzial

Das gilt es aus Hamburger Sicht unbedingt zu vermeiden, insofern war die Öffnungsklausel ein Riesenerfolg. Indes: Auch knapp drei Monate später hat sich der rot-grüne Hamburger Senat noch nicht festgelegt, welchen Weg er gehen wird. Auf den regelmäßigen Druck aus Wohnungswirtschaft, Steuerzahlerbund und Oppositionsparteien wie CDU und FDP, auf eine „Hamburger Lösung“ zu setzen, antwortete Finanzsenator An­dreas Dressel (SPD) stets, dafür gebe es noch zu viele Unklarheiten.

Doch worin bestehen die eigentlich? Wer das genauer hinterfragt, stößt vor allem auf zwei Punkte – und beide betreffen den Länderfinanzausgleich. Für den ist nämlich auch jetzt schon nicht maßgeblich, wie viel Grundsteuer ein Land tatsächlich einnimmt, sondern wie viel es einnehmen würde, wenn es die Hebesätze nicht gäbe, die jede Kommune individuell festlegt – es geht also um das Einnahmepotenzial. Auch der Scholz-Entwurf sieht vor, dass jedes Land, das von seinem, quasi bundeseinheitlichen Modell abweicht und dadurch weniger Steuern einnimmt, im Länderfinanzausgleich so behandelt wird, als würde es sein Grundsteuerpotenzial ausschöpfen. Anders ausgedrückt: Wer seinen Bürgern weniger abknöpft, wird dafür an anderer Stelle bestraft.

Hohe Verwaltungskosten

Viele Länder, vor allem SPD-regierte, begrüßen das sogar, weil sie nicht bereit sind, auf Geld aus dem Finanzausgleich zu verzichten, nur weil extrem finanzstarke Länder wie Bayern oder eben Hamburg weniger Steuern einnehmen als sie könnten. Auch Scholz’ Experten sind an der Stelle glasklar: „Es soll für die Länder (insb. die finanzschwachen) kein Nachteil dadurch entstehen, wenn andere Länder einen Sonderweg gehen“, schreibt das Ministerium. Und weiter: „Kein Land soll sich zulasten anderer Länder arm rechnen können.“

Die Sorge vor Einnahmeverlusten oder einer finanziellen „Bestrafung“ im Länderfinanzausgleich ist also der eine Grund, warum Hamburg eine Festlegung bislang scheut. Der andere klingt absurd und geht verkürzt gesagt so: Länder, die vom Scholz-Modell abweichen, müssten dieses für interne Zwecke trotzdem anwenden. Auch dahinter steckt der Länderfinanzausgleich: Für den muss ja ermittelt werden, wie viel ein Land theoretisch einnehmen könnte. Scholz’ Staatssekretär Rolf Bösinger, ehemals Staatsrat in der Hamburger Wirtschaftsbehörde, stellte kürzlich auf Anfrage der FDP im Bundestag klar, dass die Länder zu dieser Berechnung „verpflichtet“ sind – unabhängig davon, welches Modell sie in der Realität anwenden. Mit anderen Worten: Auch wer sich für ein einfaches, günstiges Flächenmodell entscheidet, hat den ganzen bürokratischen Aufwand des Scholz-Modells inklusive hoher Verwaltungskosten dennoch.

Fassungslosigkeit in vielen Ländern

Vor allem dieser Punkt sorgt für Fassungslosigkeit in vielen Ländern. Bei einem Treffen der Finanzminister am Donnerstag in Berlin kam man zwar einige Schritte voran, so wurde Hamburgs Antrag auf eine finanzielle Beteiligung des Bundes an den zusätzlichen Verwaltungskosten angenommen. Aber der Dissens beim Länderfinanzausgleich ließ sich nicht lösen. Die Forderung des Bundes nach einer „Parallelrechnung“ führe die Öffnungsklausel ad absurdum und setze sie faktisch außer Kraft, schimpfte ein Unions-Minister.

Auch Hamburgs Finanzsenator war nicht amüsiert: „Wir sind zwar heute einer rechtzeitigen Umsetzung der Grundsteuerreform zum Jahresende wieder einen Schritt nähergekommen – das ist gut“, sagte Andreas Dressel. „Nicht gut ist dagegen, dass wir nach wie vor keine definitive Klarheit darüber haben, wie die Länder im Länderfinanzausgleich behandelt werden, die die geplante Öffnungsklausel nutzen wollen. Wir prüfen diesen Schritt, müssen aber vorher wissen, ob wir dafür im Finanzausgleich bestraft werden oder ob wir hier eine gerechte Lösung finden, die niemanden bevorteilt oder benachteiligt.“

Unterstützung von der Opposition

Unterstützung erhielt er auch von der Opposition: „Die Regelung im Gesetzentwurf, dass bei Nutzung der Öffnungsklausel eine bürokratisch völlig irrsinnige doppelte Berechnung der Grundsteuer nach zwei Modellen erforderlich wäre, ist eine klare Giftpille des Bundesfinanzministers“, kritisierte CDU-Finanzexperte Thilo Kleibauer. „Damit darf sich der Hamburger Senat nicht abfinden, hier besteht dringender Handlungsbedarf.“

Ähnlich äußerte sich Jennyfer Dutschke (FDP): „Das Gebaren um die Ausgestaltung der künftigen Grundsteuerberechnung wird immer grotesker. Wenn der Bund einerseits den Ländern – völlig zu Recht – Öffnungsklauseln ermöglicht, damit sie die Grundsteuer ihren spezifischen Besonderheiten anpassen können, muss er andererseits auf komplexe Doppelberechnungen für den Länderfinanzausgleich verzichten oder hierfür auch die Kosten tragen.“

Vorschlag aus Niedersachsen

Unterdessen hat Niedersachsen eine mögliche Lösung des Problems präsentiert. Die Große Koalition in Hannover hat sich zwar noch nicht auf eine Grundsteuer-Variante festgelegt, doch Finanzminister Reinhold Hilbers (CDU) wirbt unter seinen Kollegen bereits für ein Flächen-Lage-Modell. In dem würde außer der Fläche auch die Lage einer Immobilie einbezogen. Das würde die Schwäche des reinen Flächenmodells ausmerzen, in dem zum Beispiel für eine 100-Qua­dratmeter-Wohnung in Blankenese die gleiche Grundsteuer fällig würde wie eine ebenso große Wohnung in Billstedt.

„Das ist ein einfaches, gut nachvollziehbares Modell, das erheblich mit weniger Verwaltungsaufwand einhergeht als das Modell des Bundes“, sagte Hilbers dem Abendblatt. Es differenziere nach guten und weniger gute Lagen innerhalb einer Kommune und habe den Vorteil, dass die Bürger nicht – wie im Scholz-Modell – alle sieben Jahre umfangreiche Daten für eine Neubewertung ihrer Immobilien abgeben müssen.

Zwar haben sich bereits einige Länder intern festgelegt, das Scholz-Modell anzuwenden. Doch unter denjenigen, die die Öffnungsklausel für eine eigene Lösung nutzen wollen, soll es durchaus Sympathie für den Vorschlag aus Hannover geben – auch in Hamburg.