Ottensen. Ärger mit Anlieferungen und zunehmendem Verkehr in Nebenstraßen. Kritik an Beschilderung. Polizei behält sich Reaktion vor.

Bedächtigen Schrittes wagen sich erste Passanten auf das Kopfsteinpflaster der Ottenser Hauptstraße – herunter von den Fußwegen, hinauf auf die Fahrbahn. In der Mittagszeit ist es im Kerngebiet des Hamburger Stadtteils mit seinen vielen Restaurants und kleinen Boutiquen dennoch verhältnismäßig ruhig. Weit und breit ist gerade kein Auto zu sehen – bis auf eine Ausnahme: Mit verdutzter Miene steht Andre Woschemowsi vor seinem geöffneten Lieferwagen: „Ich wusste noch gar nicht, dass das hier jetzt eine autofreie Zone ist.“

Er habe auf dem Weg aber auch keine explizite Beschilderung gesehen: „Wir beliefern alleine hier an der Straße vier Läden, wenn wir hier nicht mehr fahren dürfen, ist das alles andere als optimal.“

Lieferverkehr nur bis 11 Uhr morgens

Immer wieder befahren Transporter auch außerhalb der Lieferzeit die Ottenser Hauptstraße. Vielen ist das Fahrverbot offenbar noch nicht bewusst.
Immer wieder befahren Transporter auch außerhalb der Lieferzeit die Ottenser Hauptstraße. Vielen ist das Fahrverbot offenbar noch nicht bewusst. © HA | Lucas Bayer

Tatsächlich ist die Regelung allerdings schon seit Sonntag verbindlich. Auf einigen Straßen westlich des Altonaer Bahnhofs ist im Zuge des Modellversuchs „Ottensen macht Platz“ für die kommenden sechs Monate Lieferverkehr nur noch von 23 bis 11 Uhr erlaubt. Entladezonen sind an den Rändern der Zone eingerichtet und auf dem Boden markiert – den Rest des Weges müssen die Waren mit Sackkarren transportiert werden. Ausnahmegenehmigungen gibt es für Autofahrer mit einem Stellplatz in der Zone sowie für Menschen mit einer entsprechenden Gehbehinderung. Auch Taxis dürfen in das Viertel.

Initiative lobt Disziplin der Autofahrer

Heiko Weidemann von der Initiative „Ottensen gestalten“ zeigt sich zufrieden: „Die Disziplin bei den Autofahrern ist hoch. Es verirren sich zwar noch die einen oder anderen auf die Straßen, aber die fahren dann meistens sehr langsam.“ Während der Befürworter des Projekts auf der Ottenser Hauptstraße mit dem Abendblatt spricht, fahren im Hintergrund zwei Autos im Schritttempo vorbei. Erste Fußgänger wagen schon den Gang auf der Straße, lassen die Autos ohne große Regung vorbeiziehen. Weidemann sagt: „Es muss aber noch einiges verfeinert werden.“

Als einen Punkt nennt er die Beschilderung. An dieser müsse tatsächlich noch gearbeitet werden: „Die Erzbergerstraße war vorher eine Einbahnstraße und kann jetzt von beiden Seiten befahren werden, an solche Dinge müssen sich die Autofahrer erst gewöhnen.“

Polizei behält sich größere Präsenz vor

Dieser Eindruck bestätigt sich ein paar Meter weiter auf der Bahrenfelder Straße. Dort hat Matthias Velders sein Auto abgestellt und ist völlig erstaunt, dass an seiner Windschutzscheibe ein Knöllchen steckt: „Ich habe auf dem Weg hierhin kein Schild wahrgenommen, das mir klargemacht hat, dass ich hier nicht hineinfahren darf.“ Er sei nicht ortskundig und überrascht, dass es nur wenig ersichtlich sei, dass dieser Bereich eine Fußgängerzone ist.

„Das Ganze muss sich noch einpendeln“, sagt Polizeisprecherin Nina Kaluza. Jeden Tag fahren Beamte routinemäßig durch das Gebiet. „Sollten wir feststellen, dass sich viele Personen nicht an die Verbote halten, werden wir natürlich mehr Präsenz zeigen“, so Kaluza. Auch die Ladenbesitzer müssen sich noch an die neue Situation gewöhnen, einige begrüßen die autofreie Zone, andere nicht. „Ehrlich gesagt waren wir am Anfang ein wenig skeptisch. Aber ohne die vielen Autos und den Lärm auf der Straße ist es schon entspannter“, sagt Marcus Krützfeldt vom Einrichtungsgeschäft Der Schaukelstuhl.

Mittlerweile habe das Team des Ladens die Hoffnung, dass der Trubel von der seit Langem bestehenden Fußgängerzone auf der Ottenser Hauptstraße auf den neuen autofreien Bereich überschwappt. „Da die Lieferanten unseres Geschäfts sehr flexibel sind, können wir die Ware in der erlaubten Zeit abwickeln“, sagt Krützfeldt.

Apotheker über Sackkarren: "Nicht optimal"

Ein größeres Problem hat die Elefanten-Apotheke ein paar Meter weiter. „Wir werden insgesamt achtmal am Tag mit neuen Medikamenten beliefert. Ein Transport mit einer Sackkarre über einen längeren Weg ist da natürlich nicht die optimale Lösung“, sagt Inhaber Ralf Mensing. An den ersten Tagen des Projekts sei ihm aufgefallen, dass sich einige Kunden nicht gerade über die neue autofreie Zone freuen: „Gerade für ältere Menschen, die nicht mehr so mobil sind, ist das ein großes Problem“, so Mensing.

Auch an vielen Ständen des angrenzenden Wochenmarkts befürchten die Verkäufer, dass einige ältere Kunden wegbleiben. Diesen Trend beobachtete Annette Kaiser-Villnow von der Kaiser-Apotheke schon an den ersten Tagen: „Obwohl Monatsanfang ist, kaufen hier auf den Straßen nur wenige Kunden ein.“

Apothekerin Annette Kaiser-Villnow sieht Kunden schwinden.
Apothekerin Annette Kaiser-Villnow sieht Kunden schwinden. © HA | Michael Rauhe

Unverständnis zeigt Ralf Mensing darüber, dass für seinen Hauptlieferanten der Apotheke – Stand: Mittwochmittag – noch keine Sondergenehmigungen zum Befahren vorliegen.

Mehr Verkehr in den Nebenstraßen

„Da müssen wir natürlich von Antrag zu Antrag überprüfen, ob eine Genehmigung erteilt werden kann“, sagt Martin Roehl, Sprecher des Bezirksamts Altona. Anwohner berichten, dass der Verkehr in den Nebenstraßen in den ersten Tagen deutlich zugenommen habe. „Das betrifft unter anderem die Mottenburger- und Nöltingstraße“, sagt Helmut Thomas von „Ottensen Gestalten“.

Für diesen Umstand müssten noch bessere Lösungen gefunden werden. Aber schließlich sei „Ottensen macht Platz“ ein Modellversuch, bei dem nicht alles sofort perfekt laufen könne. Das Bezirksamt Altona wird in den nächsten sechs Monaten in regelmäßigen Abständen analysieren und bewerten, wie das Projekt läuft.