Hamburg. Bekamen Innen- und Ex-Wirtschaftssenator sowie der Polizeipräsident teure VIP-Karten? Staatsanwalt ermittelt wegen Ungereimtheiten.

Nach dem Bezirksamt Nord gibt es nun auch beim FC St. Pauli eine mögliche Affäre um die Vergabe von Freikarten: Wegen Unregelmäßigkeiten bei der Abrechnung von VIP-Tickets für Heimspiele am Millerntor ist der Fußball-Zweitligist in das Visier von Finanzbehörde und Staatsanwaltschaft geraten. Wie nun bekannt wurde, fand bereits am vergangenen Donnerstag eine Razzia bei dem Verein statt. Das NDR-Magazin „Panorama 3“ spricht zudem von einer fragwürdigen Ticketvergabe an Spitzenpolitiker – die Staatsanwaltschaft sieht hierbei aber keinen Grund für Ermittlungen.

Zuerst waren Finanzbeamten vergangenen Herbst bei einer üblichen Betriebsprüfung der Jahre 2013 bis 2016 einige Unregelmäßigkeiten in den Büchern des FC St. Pauli aufgefallen. Dem NDR-Bericht zufolge sollen auch insgesamt acht Freikarten für VIP-Plätze in der höchsten Preiskategorie an den damaligen Bezirksamtsleiter Mitte und heutigen Innensenator Andy Grote (SPD) verschenkt worden sein. Zudem seien vier Tickets an Polizeipräsident Ralf Martin Meyer und zwei Tickets an den damaligen Wirtschaftssenator Frank Horch (parteilos) gegangen.

Allein die Karten für Innensenator Grote sollen 1700 Euro wert gewesen sein. Dabei gelten im öffentlichen Dienst strenge Maßstäbe für die Annahme von Vorteilen – bereits ein geldwertes Geschenk zu fordern oder sich versprechen zu lassen, wird im Falle einer Verurteilung mit bis zu drei Jahren Gefängnis bestraft.

Wie die Verdächtigten sich rechtfertigen

Auf Nachfrage des Abendblattes rechtfertigten die Betroffenen die Besuche im Stadion mit unterschiedlichen Anlässen. Andy Grote ließ mitteilen, dass sein Besuch von Heimspielen „jeweils in dienstlicher Funktion und auf Einladung der Vereinsführung“ erfolgt sei. Er habe repräsentative Aufgaben wie „Wertschätzung und Unterstützung“, „Präsenz und Ansprechbarkeit“ und „allgemeine Kontaktpflege“ wahrgenommen, vor allem aber einen Austausch zu den damals „relevanten Themen“ gepflegt. Dazu zählten Grote zufolge etwa die bauliche Entwicklung und Nutzung des Stadions, die Realisierung der externen Stadionwache und die Gründung eines FC-St.-Pauli-Museums.

Zwischen 2013 und 2015 haben Grote zufolge „mit Sicherheit mehrere solcher Termine stattgefunden“. Ein Treffen pro Saison sei „realistisch“, sagt er. „Im Regelfall habe ich die Heimspiele des FC St. Pauli im privaten Kreis auf der Gegengerade verfolgt. Offizielle Besuche auf Einladung des Vorstandes waren demgegenüber die deutliche Ausnahme.“

Eine Ehrenkarte, die nicht verkäuflich sei, hatte nach Grotes Darstellung „die Funktion einer Zugangsberechtigung, um in den Teil des Stadions zu gelangen, in dem sich die Räumlichkeiten befanden, die vom Vereinsvorstand an den Spieltagen genutzt wurden“.

Horch dementiert, im Stadion gewesen zu sein

Polizeisprecher Timo Zill sagte, es habe im Jahr 2016 für drei Spiele des FC St. Pauli jeweils zwei Tickets für den Polizeipräsidenten gegeben – die Besuche hätten aber ausschließlich und klar aus dienstlichen Zweck gedient. „Ein Fußballspiel bedeutet auch einen Polizeieinsatz. Es ging konkret um Gespräche mit der Leitungsebene des Vereins über die Sicherheitskonzeption, die Fanszene und die neue Domwache“, sagte Zill. „Das entspricht zu 100 Prozent der Gesetzeslage und den Aufgaben des Präsidenten“.

Polizeipräsident Ralf-Martin Meyer.
Polizeipräsident Ralf-Martin Meyer. © André Zand-Vakili

Ralf Martin Meyer werde auch weiter bei Fußballspielen vor Ort sein – etwa dem nächsten Stadtderby zwischen dem FC St. Pauli und dem HSV im September. „In der Regel wird der Polizeipräsident dabei von Bediensteten der Polizei begleitet“, sagte Zill.

Der ehemalige Wirtschaftsenator Horch sagte, er habe weder Freikarten erhalten, noch welche genutzt. „Ich bin in meiner Amtszeit als Senator nie bei St. Pauli- und bei HSV-Spielen gewesen“, sagte Horch. Er könne allerdings nicht ausschließen, dass Freikarten in seiner Behörde hinterlegt worden seien.

Behörde sieht Verdacht der Vorteilsnahme

Die Finanzbehörde sah in der mutmaßlichen Vergabe von VIP-Tickets dagegen einen möglichen Fall unerlaubter Vorteilsnahme. Ein entsprechender Hinweis der Steuerfahnder wurde ab Ende April geprüft und bei einem Treffen am 9. Juli zwischen Generalstaatsanwalt Jörg Fröhlich, der Dezernentin für Korruptionsfälle und weiteren Staatsanwälten beraten. Sie entschieden sich gegen ein förmliches Ermittlungsverfahren wegen Vorteilsnahme, da kein belastbarer Anfangsverdacht bestehe.

Der ehemalige Wirtschaftssenator Frank Horch (parteilos).
Der ehemalige Wirtschaftssenator Frank Horch (parteilos). © HA | Marcelo Hernandez

Am Mittwoch hieß es in Justizkreisen, dass anders als bei der Rolling-Stones-Affäre um Freikarten im Bezirk Nord in diesem Fall weniger eindeutig gewesen sei, welche Personen wie viele Freikarten tatsächlich bekommen hätten. Eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft betonte, dass nur vorläufig kein förmliches Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde.

Nach Abendblatt-Informationen soll es auch zum Kalkül von Generalstaatsanwalt Jörg Fröhlich gehört haben, erst die Ergebnisse der ohnehin geplanten Razzia beim Verein abzuwarten. Die dabei gesicherten Dokumente würden zur Zeit noch ausgewertet, heißt es.

FC St. Pauli weist Vorwürfe von Straftaten von sich

Um welche Vorwürfe und Unregelmäßigkeiten es in dem allgemeinen Verfahren geht, wollte die Sprecherin der Staatsanwaltschaft mit Blick auf das Steuergeheimnis nicht sagen. Die nun bekannt gewordene Durchsuchung war nicht für die Augen der Öffentlichkeit gedacht.

„Das zuständige Finanzamt hat bereits vor Ausstrahlung der gestrigen NDR-Sendung unter anderem im Hinblick auf eine Verletzung des Steuergeheimnisses und Offenbarung von Inhalten eines Steuerstrafverfahrens Anzeige gegen Unbekannt erstattet“, sagte ein Sprecher der Finanzbehörde.

Was St. Pauli und der HSV sagen

Der FC St. Pauli teilte auf Anfrage mit, dass man „von der Rechtmäßigkeit seines Umgangs mit Freikarten überzeugt“ sei. „Selbstverständlich unterstützen wir die weitere Prüfung des Sachverhalts nach Kräften und gehen davon aus, dass diese bald abgeschlossen sein wird.“

Der HSV teilte auf Anfrage allgemein mit, auch im Volksparkstadion könnten „entsprechend der internen Vorgaben“ Einladungen an Amtsträger ausgesprochen werden, „wenn die Spiele für die Stadt Hamburg und den HSV eine besondere Bedeutung haben“.