Hamburg. 2019 bereits dreimal so viele Fälle wie im gesamten Vorjahr. Die Stones-Kartenaffäre kommt Hamburg teuer zu stehen.

Korruption, Körperverletzung, sexuelle Belästigung – die Zahl der strafrechtlichen Ermittlungsverfahren gegen Beamte und Angestellte der Stadt ist deutlich gestiegen. Während die Staatsanwaltschaft im gesamten Jahr 2018 nur 14 Verfahren gegen städtische Mitarbeiter wegen mutmaßlicher strafrechtlicher Vergehen eingeleitet hat, sind es dieses Jahr bisher schon 44.

Das geht aus der Senatsantwort auf eine Kleine Anfrage des CDU-Bürgerschaftsabgeordneten Richard Seelmaecker hervor. Der justizpolitische Sprecher betont indes, dass in der Statistik nur die von den Behörden weitergemeldeten Fälle enthalten sind. Es sei daher von einer „Dunkelziffer“ auszugehen.

Viele Verfahren wegen Rolling-Stones-Kartenaffäre

Hauptursache für den höchsten Anstieg seit mindestens sechs Jahren sind Vorwürfe im Zusammenhang mit der Vergabe von Hunderten Freikarten und vergünstigten Kaufkarten für das Rolling-Stones-Konzert im Stadtpark vor fast zwei Jahren. Im Mittelpunkt der Affäre steht der frühere Bezirksamtsleiter Nord, Harald Rösler (SPD), gegen den wegen Verdachts der Bestechlichkeit ermittelt wird, weil er vom Konzertveranstalter ein Kontingent von 300 Kauf- und 100 Freikarten verlangt haben soll, um sie „Freunden des Hauses“ anzubieten. Gegen 26 Beschäftigte des Bezirksamts Nord hat die Staatsanwaltschaft bis zum Stichtag 24. Juni Ermittlungen wegen des Verdachts der Vorteilsannahme eingeleitet. Zwei Abteilungsleiter, die Freikarten angenommen haben sollen, sind nach Abendblatt-Informationen vorläufig freigestellt worden. Gegen sie hat die Staatsanwaltschaft bereits Anklage erhoben wegen „Vorteilsannahme und Verleitung eines Untergebenen zu einer Straftat“. Ein Amtssprecher wollte lediglich bestätigen, dass es „laufende arbeits- bzw. dienstrechtliche Verfahren“ gibt. Eine Antwort auf die Frage, wer die mutmaßlich vakanten Dezernatsposten übernommen hat, blieb er schuldig.

Im Zusammenhang mit der Affäre sind insgesamt sieben Amtsmitarbeiter angeklagt worden, darunter die frühere designierte Amtsleiterin Yvonne Nische (SPD). „Aktuell gibt es 51 Ermittlungsverfahren, die sich gegen 54 Beschuldigte richten“, sagt Nana Frombach, Sprecherin der Hamburger Staatsanwaltschaft. 22 mit dem Stones-Tatkomplex verbundene Verfahren seien bereits eingestellt worden – „teils wegen Geringfügigkeit mit oder ohne Auflagen, teils mangels hinreichenden Tatverdachts“. Daher zahlten etwa die Staatsräte Andreas Rieckhof (SPD) und Matthias Kock (SPD) jeweils 3000 Euro. Sie hatten Vorzugskarten für das Konzert erworben.

Körperverletzung, sexuelle Belästigung, Bestechlichkeit

Wie aus der Senatsantwort weiter hervorgeht, hat die Staatsanwaltschaft neun Verfahren gegen Beschäftigte der Schulbehörde eingeleitet, unter anderem wegen Körperverletzung im Amt und sexueller Belästigung. Allein sechs Behördenmitarbeiter stehen unter dem Verdacht der Bestechlichkeit, in zwei Fällen geht es um die mutmaßlich illegale Vergabe von Bauaufträgen. Im gesamten Jahr 2018 gab es lediglich drei Ermittlungsverfahren gegen Mitarbeiter der Behörde. Hinzu kommen fünf Verfahren gegen Beschäftigte der Justizbehörde (inklusive Vollzug), eines gegen einen Universitätsbediensteten (Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes) sowie drei gegen Mitarbeiter der Finanzbehörde (Verfolgung Unschuldiger).

Strafrechtlichen Ermittlungen folgten zudem mitunter empfindliche dienstrechtliche Sanktionen. Während 2018 kein Beamter vorläufig seines Dienstes enthoben wurde, sind dieses Jahr bereits zwei suspendiert worden – ein Polizist und ein Mitarbeiter aus dem Bereich der Bezirksverwaltung. Hinzu kommen 13 weitere Beamte aus Verwaltung, Justiz und Polizei, denen die „Führung der Dienstgeschäfte“ meist bis zu einer Dauer von sechs Monaten untersagt worden ist. Außerdem erhielten seit Anfang 2018 neun Angestellte der Stadt eine „außerordentliche Kündigung“.

Während Angestellte, die unter Missbrauch ihrer Befugnisse mutmaßliche Straftaten begangen haben, nicht selten sofort entlassen werden, können sich Beamte auf die staatliche Fürsorgepflicht berufen. Sie erhalten bis zum Abschluss ihres Straf- oder Disziplinarverfahrens zumeist ihre komplette Besoldung von der Stadt – lediglich die Ansprüche auf Aufwandsentschädigung erlöschen. Zudem dürfen sie sich durch einen Nebenjob ein Zubrot verdienen – laut Senat sei den ihres Dienstes enthobenen Beamten die Aufnahme einer Nebentätigkeit nicht versagt worden.

Fünf Jahre freigestellt, fünf Jahre volles Gehalt

Je länger es dauert, bis die dienst- oder strafrechtlichen Ermittlungen abgeschlossen sind, desto dicker kommt es für die Staatskasse. So müssen ein Vollzugsbeamter, der Handys gegen Entgelt in ein Hamburger Gefängnis geschmuggelt haben soll, und ein Hamburger Polizist seit nunmehr fünf Jahren nicht mehr zum Dienst erscheinen – und trotzdem erhalten sie ihre vollen Bezüge. In drei weiteren Fällen sind die Untersuchungen auch nach zwei oder drei Jahren noch nicht abgeschlossen.

„Auch wenn Staatsanwaltschaft und Gerichte überlastet sind, müssen wir dringend dafür sorgen, dass die Fälle jetzt schnell abgearbeitet werden“, sagt CDU-Politiker Seelmaecker. „Noch immer gibt es Beamte, die seit Jahren wegen des Verdachts von Straftaten unter Fortzahlung ihrer Bezüge vom Dienst freigestellt sind. Sowohl für die redlichen Kollegen als auch für den Steuerzahler ist es absolut inakzeptabel, dass sich solche Verfahren ewig hinziehen.“

Seit 2018 verloren drei Staatsdiener ihre Beamtenrechte, weil sie wegen gravierender Straftaten zu einer Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr verurteilt worden waren, darunter: ein spielsüchtiger Polizist, der sich einer Bande angeschlossen und Hausdurchsuchungen fingiert hatte, sowie ein diebischer Feuerwehrmann. Seelmaecker: „Es darf nicht sein, dass es Beamte bei der Feuerwehr, der Polizei und in der Justizbehörde gibt, die mittlerweile seit mehr als fünf Jahren nicht mehr zum Dienst erscheinen, aber ihr volles Gehalt weiter beziehen. Das ist ungerecht und niemandem mehr vermittelbar.“