Hamburg. Heime und Krankenhäuser suchen dringend Personal. Beim Gesundheitstreff in Hamburg wurden auch Hightech-Lösungen diskutiert.
Als Thea in den Saal im Hotel Hafen Hamburg geschoben wird, richten sich alle Blicke auf sie. Kein Wunder: Thea, 1,20 Meter groß, 30 Kilogramm schwer, besitzt Kulleraugen und Ohren, die leuchten, wenn sie eine Stimme vernimmt. Sie dreht dann ihren kugelrunden weißen Schädel zu ihrem Gesprächspartner und fragt piepsend: „Wie geht es dir?“ Sie kann auf Befehl ihre Arme heben und auf ihrem Tabletcomputer vor ihrer Brust Videos zeigen.
Thea, ein menschenähnlicher Roboter des Modells „Pepper“, war der Star des zehnten Hamburger Gesundheitstreffs des Hamburger Verbands der Ersatzkassen (VDEK) im Hotel Hafen Hamburg. Die Experten diskutierten am Donnerstagabend über die Frage: „Wie wird Pflege zukunftsfähig? Strategien gegen den Personalmangel“.
In der Altenpflege ist der Pflegenotstand längst angekommen: Viele Mitarbeiter erhalten von ihren Arbeitgebern Prämien, wenn sie eine Pflegekraft von der Konkurrenz abwerben. In den kommenden Jahren wird sich das Problem durch die Demografie – wir werden immer älter, damit steigt unweigerlich die Zahl der Pflegebedürftigen weiter – verschärfen. Laut Pflegereport der Bertelsmann Stiftung werden 2030 fast 500.000 Vollzeitkräfte in der Pflege fehlen. Schon jetzt dauert es in Hamburg im Schnitt sechs Monate, um eine freie Stelle in Heimen wieder zu besetzen. Aber auch in den Hamburger Krankenhäusern fehlen nach Berechnungen der Gewerkschaft Ver.di 4200 Pflegekräfte.
Japan setzt Tausende Pflege-Roboter ein
Welchen Beitrag kann Thea zur Lösung dieses Problems beitragen?
Darüber forscht der Tübinger Pflegewissenschaftler Patrick Jahn. Für die Veranstaltung fuhr er eigens zum Uni-Klinikum Halle, um Thea abzuholen. Dort hatte Jahn mit Informatikern, Ärzten und Pflegekräften den in Japan gebauten Roboter weiterentwickelt. Ihren Namen erhielt die 20.000-Euro teure Roboter-Dame durch das in Halle beheimatete Dorothea-Erxleben-Lernzentrum. Dass Thea in Japan gebaut wurde, ist wenig überraschend. Japan zählt zu den am stärksten alternden Nationen in der Welt, zudem gilt die Gesellschaft als technikaffin – zwei Faktoren, die die Suche nach Hightech-Lösungen aus dem Pflegenotstand beschleunigen. In japanischen Pflegeheimen sind bereits Tausende Roboter im Pflegeeinsatz, etwa als Geh- und Aufstehassistenten. Und doch erkennt man auch in Japan ihre Grenzen – etwa beim Heben von bettlägerigen Pflegebedürftigen. „Wenn die Körperspannung fehlt, können Roboter kaum etwas ausrichten“, sagt Jahn.
Der Wissenschaftler sieht auch Thea keinesfalls als Ersatz für eine menschliche Pflegekraft, sondern eher als technische Assistentin für bestimmte Aufgaben, etwa beim Bereitstellen von Medikamenten oder beim Nachfüllen von Schränken. In Halle übernimmt Thea bei einem Versuch einen Teil der Aufklärungsarbeit vor Eingriffen. Sie zeigt Videos und Schaubilder, beantwortet Fragen der Patienten. „Aber natürlich kann dies nicht das Aufklärungsgespräch des Arztes ersetzen“, sagt Jahn. Aber dank Thea gehen die Patienten informierter in dieses Gespräch, die Standardfragen sind bereits abgehandelt.
Roboter-Dame nimmt Kindern Ängste
Mit Erfolg begleitet Thea auch Kinder zu Computertomografie-Untersuchungen (CT). Die knuddelige Roboter-Dame kann gerade kleinen Patienten Ängste nehmen. Im CT-Raum selbst spielt sie zudem eine ihrer Stärken aus: Strahlungen machen ihr nichts aus.
Andere Modelle der Baureihe „Pepper“ sind in Pflegeheimen zu Testzwecken im Einsatz. In einer Einrichtung in Siegen zeigt der Roboter den Bewohnern Übungen zur Prävention von Stürzen, gibt sogar Tanzeinlagen. „Senioren werden schnell neugierig, wenn sie merken, dass sie Spaß mit einem solchen Roboter haben können“, sagen Forscher. Dann steige auch die Akzeptanz.
„Die neue Technik kann die menschliche Zuwendung nicht ersetzen“, schränkt Kathrin Herbst, Leiterin der VDEK-Landesvertretung Hamburg allerdings ein. „Sie wird sich vielmehr daran messen lassen müssen, ob sie mehr Lebensqualität für Patienten und Pflegebedürftige schafft, die Pflegekräfte entlastet und die Versorgung verbessert.“
Bei vielen Menschen bleibt Thea stehen
Wie weit dieser Weg noch ist, zeigte auch Theas Besuch in Hamburg. Jahn musste sie im Saal hin- und herschieben, obwohl sie dank drei sogenannter omnidirektionaler Räder in jede Richtung fahren kann. „Sie kennt diesen Raum nicht“, erklärte Jahn. Und auch bei der ihr einprogrammierten Station in der Klinik Halle gebe es Probleme, sobald sich dort viele Menschen aufhalten. Thea bleibt dann stehen, getreu dem ersten Roboter-Gesetz („Ich darf kein menschliches Wesen verletzen“) des russisch-amerikanischen Biochemikers und Science-Fiction-Schriftstellers Isaac Asimov. Dessen Regeln kann Thea problemlos aufsagen.
Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD) warnte bei ihrem Vortrag noch vor einer weiteren Illusion – dass Deutschland allein mit dem Anwerben von ausländischen Pflegekräften das Personalproblem lösen könne. Dies sei schon aus ethischen Gründen fragwürdig. Denn auch andere Nationen wären dringend auf Pflegekräfte angewiesen.