Hamburg. Der junge Pastor Jonas Goebel geht ungewöhnliche Wege, um Mitglieder für seine Gemeinde in Lohbrügge zu begeistern.
Wenn Jonas Goebel von seinem Schreibtisch aufschaut, sieht er auf der gegenüberliegenden Wand ein Bild mit Schriftzug „unmöglich“. Die erste Silbe scheint fast ausradiert, der Bleistift mit dem Radiergummi ist gerade noch am unteren Rahmen zu erkennen.
„Dieses Bild ist für mich eine Art Motto meiner Arbeit“, sagt Goebel (30), Pastor der evangelischen Auferstehungsgemeinde in Lohbrügge. Seit Jahren wächst die Zahl derer, die aus der Kirche austreten, die Bilanz von 2018 hat Goebel auf seine Facebook-Seite mit den Worten „Zur Lage der Nation, äh, Kirche“ gestellt. In Deutschland verlor die evangelische Kirche im vergangenen Jahr 220.000 Mitglieder – entsprechend groß ist auch unter den Hamburger Gemeinden der Fusionsdruck inklusive Schließungen mancher Gotteshäuser.
Seine Predigten produziert er als Podcast
Goebel fürchtet, dass dieser Weg dazu führen kann, dass noch mehr Menschen der Kirche den Rücken kehren: „Fusionen können die Symptome lindern, aber wir müssen an die Wurzel des Problems ran.“ Und die sieht Goebel darin, dass Kirche für immer mehr Menschen an Bedeutung verliert. Und dagegen, findet der junge Pastor, müssen Gemeinden dringend etwas tun.
Für genau diese Mission ist Goebel seit seinem Amtsantritt in Lohbrügge unterwegs. Er postet auf Facebook, schreibt auf Instagram und Twitter, seine Predigten produziert er als Podcast, damit ihn auch die hören können, die keine Zeit oder keine Lust haben, zu den Gottesdiensten in die 1970 eingeweihte Kirche zu kommen.
Gebote übersprangen ruckzuck die 100-Euro-Grenze
Mit seiner neuen Idee, das Wort Jesu zu verbreiten, hat es Jonas Goebel nun sogar in überregionale Medien geschafft. Über die Auktionsplattform Ebay versteigerte er das Recht, das Thema seiner Predigt, die er am 29. September halten wird, zu bestimmen. Beinahe wäre sein Projekt an den Ebay-Regeln gescheitert. Es gibt kein virtuelles Auktionsregal für ein Predigtthema. Also stellte er sein Angebot in das Fach „Verschiedenes“, Unterpunkt „Sonstiges“. „Ich hatte bis zuletzt Sorge, dass Ebay mein Angebot wieder entfernt“, sagt Goebel.
Passierte aber nicht, stattdessen übersprangen die Gebote ruckzuck die 100-Euro-Grenze. Goebel beobachtete dies auch mit Sorge: „Ein Gebot von über 1000 Euro hätte mich sehr unter Druck gesetzt. Wie hätte ich diesen Erwartungen gerecht werden sollen?“ So war er gar nicht unglücklich, dass seit Sonntagabend 18.01 Uhr ein Ebay-Kunde für 205 Euro bestimmen darf, worüber gepredigt wird. Das Geld geht in die Kollekte. Das gewünschte Thema wird Goebel indes erst am Wochenende erfahren, der Höchstbieter schrieb nur, dass er bei einer „Freizeit“ unterwegs sei. „Das klingt nach einem Bieter aus einem christlichen Umfeld“, findet Goebel.
Die aktuelle Predigtserie heißt „sundaysforfuture“
Leben könnte er auch mit einem eher weltlichen Thema. Seine aktuelle Predigtserie heißt „sundaysforfuture“. Es geht um „Gottes Klimaschutz-Programm“, um „Jesus als Feministen“, um „ein göttliches Finanzsystem“ und um „Gottes Plan A für diesen Planeten“. Entschieden haben dies die Gemeindemitglieder. Denn Goebel lässt abstimmen: „Sundaysforfuture“ gewann mit 41,8 Prozent gegen „Jetzt mal ehrlich!“ (29,9), „Lohnt es sich an Gott zu glauben?“ (16,4) und „Du gehörst immer noch zur Kirche?“ (11,9).
Griffig und pointiert zu titeln, hat Goebel auch beim Abendblatt gelernt. In unserer Redaktion absolvierte er ein Praktikum, schrieb 2009 etwa über Nachwuchspolitiker. „Ich wollte unbedingt Journalist werden“, sagt Goebel. Doch dann entschied er sich doch für das Theologiestudium. Seine Freunde reagierten wenig überrascht. Schließlich kannten sie Jonas vor allem in seiner Rolle als sehr aktives Mitglied der Kirchengemeinde Eidelstedt.
Dass es ihn nun auf seiner ersten Pastoren-Stelle in den Osten der Hansestadt verschlug, entschied der Kirchenkreis. Der Generationswechsel hätte radikaler kaum sein können, Goebels Vorgänger amtierte 38 Jahre.
Online-Verweise irritieren betagte Mitglieder
Binnen weniger Wochen installierte Goebel eine professionelle Internetseite, führte seine 2500 Mitglieder große Gemeinde in die Jetzt-Zeit der sozialen Netzwerke. Dies stößt nicht überall auf Begeisterung. Wenn im Gemeindebrief nur ein Online-Verweis für das Programm des Seniorentreffs zu lesen ist, irritiert das betagte Mitglieder: „Aus unserer Gruppe haben doch nur zwei Internetzugang.“
Goebel weiß, dass er bei allem Willen zum digitalen Aufbruch die analoge Welt nicht vernachlässigen darf. Einmal im Monat bekocht er mit seiner Freundin, die als Gemeindereferentin in Nettelnburg arbeitet, vier zufällig ausgewählte Gemeindemitglieder, die noch eine Begleitung mitbringen dürfen. Zu zehnt diskutieren sie dann im Wohnzimmer über Gott und die Welt. In einer benachbarten Gaststätte bittet Goebel zum „Predigtbier“. Jeder, der mag, kann kommen. Der Pastor zahlt das Bier, der Gast kann mit ihm über ein mögliches Predigtthema reden.
Am Anfang habe jede Woche 80 bis 90 Stunden gearbeitet
Goebel liebt solche Gespräche. Und erst recht das Schreiben. Er feilt lange an Formulierungen, da blitzt die Passion für den Journalismus auf. Allerdings macht er auch etwas, was Reporter strikt ablehnen würden. Er verschickt vorab seine Predigten an Mitglieder, die sich online als „Predigttester“ eingetragen haben. „Ich bin für Verbesserungen immer offen“, sagt er. Mit seiner härtesten Kritikerin wohnt er sogar zusammen. Seine Freundin streicht mitunter ganze Absätze mit dem Hinweis, dass der Text wieder einmal zu lang geraten sei.
Da Goebel in der Tat selten unter 20 Minuten spricht, hat der Pastor die Reihe „Predigth@ppchen“ erfunden, ein schnelles Video, in dem er das Thema kurz zusammenfasst.
Bleibt beim Abschied nur noch eine Frage: Wie schafft er das nur alles? Neben den Beerdigungen, den Taufen, den Konfirmationen. Goebel sagt, dass er in der Tat bei allem Elan lernen müsse, auf sich selbst achtzugeben: „Am Anfang habe ich hier jede Woche 80 bis 90 Stunden gearbeitet.“ Wer so brennt, brennt eben auch schnell aus. Goebel weiß das, er versucht mehr und mehr, in den Terminkalender Zeit für sich und seine Freundin zu pressen. Aber auf die Taufe am kommenden Sonntag freut er sich richtig: „Die Taufeltern kochen für alle Gottesdienstbesucher Jollof Rice. Habe ich auch noch nie gegessen, soll aber sehr lecker sein.“