Hamburg. Für 300 Millionen Euro baut ABG Büros, Läden und Wohnungen – mit 50 Zentimeter langen, hochkant vermauerten Klinkern.

Stahlbetonpfeiler ragen in die Luft, zerbröselte Geschossdecken hängen den Baggerzangen entgegen. Drei große Bagger mit langen Teleskoparmen quetschen in bis zu 34 Meter Höhe die historische Bausubstanz am Gänsemarkt kaputt. Das 1928/29 erbaute Deutschlandhaus fällt. Es weicht einem 300 Millionen Euro teuren Neubau zwischen Dammtorstraße, Valentinskamp und Drehbahn, den der Hamburger Projektentwickler und Investor ABG Mitte 2022 fertiggestellt haben will. Seit April laufen die Abrissarbeiten auf der mit 5600 Quadratmetern größten Abrissbaustelle in der City.

Zuerst buchstäblich im Stillen hinter intakten und lärmdämmenden Fassaden. Das Haus wurde zur Straße weitestgehend verhängt und teilentkernt. Die Wertstoffe wurden sortiert und Leichtmetall, Stahl und Edelmetall, Holz und Leuchtmittel abgefahren. Der klassische Bauschutt aus Steinen, Beton und Mörtelresten blieb erst einmal liegen. Vor zwei Wochen dann der „Durchbruch“ zum Valentinskamp: Die Außenhaut des Gebäudes wurde an dieser Stelle so weit abgerissen, dass schweres Gerät in den Innenhof fahren konnte. Jetzt arbeiten bis zu fünf Bagger an den Geschossdecken; drei reißen ab, zwei räumen ihnen nach. Zur Straße hin bleiben die Fassaden so lange wie möglich stehen, um den Lärm und den Staub von den Nachbarn fernzuhalten. Die Nachbarn – Staatsoper, Finanzbehörde, Einzelhändler und ein Hotel – seien „alle im Boot“, sagt ABG-Projektleiter Torben Schneuer. „Wir haben ihnen das Projekt im Vorfeld vorgestellt und geklärt, wie wir die Belastungen für alle möglichst gering halten können.“

Nachbarn haben Verständnis

Die Kooperationsbereitschaft und das Verständnis der Nachbarn seien „ außerordentlich hoch“. Die Tiefgarage wird zum Zwischenlager für Bauschutt Gut 20 Mann sind im Abriss-Einsatz. Die alte Tiefgarage dient als Zwischenlager für den Bauschutt. Der wird verdichtet, damit er den Baggern bis zuletzt als „Fundament“ festen Stand bietet. Die Teleskopgreifarme arbeiten sich vom Innenhof in Richtung Treppenhäuser vor, dem statischen Kern des Gebäudes. Ab dem Treppenhaus wird dann Schicht um Schicht im Wechsel abgetragen, um unkontrollierte Einstürze zu vermeiden. Bis Oktober soll das Gebäude dem Erdboden gleichgemacht sein. Allein der Abriss kostet zwei Millionen Euro.

Der Neubau wird bis zu 9 Geschosse hoch sein. Ein Clou ist die Klinkerfassade mit den lotrecht stehenden, knapp 50 Zentimeter langen Klinkern, die in Dänemark eigens für das Gebäude gebrannt werden. Sie sollen gestalterisch auf die Nachbargebäude wie die denkmalgeschützte Finanzbehörde eingehen, sich aber doch von ihnen absetzen. Rötlich braun soll der Klinker sein, leicht gesprenkelt und von lebendiger Struktur, sagt ABG-Geschäftsführer Guido Wiese. In Dänemark habe es mehrere Abstimmungsrunden zur Gestaltung des Klinkers gegeben. Entscheidend aber wird die letzte Runde vor Ort, mit Oberbaudirektor und Bezirkspolitikern. „Da werden letzte Farbnuancen festgelegt und der Klinker auf das Fugenmaterial abgestimmt, das einen schwer beschreibbaren Grauton hat“, sagt Wiese. In die letzte Feinabstimmung solle auch das farbliche Zusammenspiel mit den Klinkern der Nachbarn einfließen.

Atrium in der Mitte

Das neue Gebäude wird um ein Atri­um herum gebaut. Und mit den Fassaden zum Innenhof wird das Gebäude des Hamburger Stararchitekten Hadi Tehe­rani dann futuristisch. Im Kontrast zum Klinker der Außenfassade sind Glas, Stahl und Naturstein die prägenden Materialien zum Atrium hin, das als Eingangsbereich für die Büros dient und auch von der Gastronomie aus zugänglich sein wird. Der Innenhof ist gut 30 Meter hoch, mit Wasserspiel versehen und üppig begrünt sowie elegant wettergeschützt von einer Glaskuppel. Letztere ist, wie das zurückversetzte Staffelgeschoss, von der Straße aus nicht sichtbar. Insgesamt entstehen 40.000 Quadratmeter Bruttogeschossfläche mit bis zu 35.000 Quadratmetern Mietfläche. Zum Valentinskamp hin werden 30 Mietwohnungen mit ein bis drei Zimmern gebaut. Die Tiefgarage wird 164 Plätze haben. Für den Einzelhandel und die Gastronomie in Erdgeschoss und erstem Obergeschoss sind 3000 Quadratmeter Fläche vorgesehen, 29.600 Qua­dratmeter für Büros. Am Dienstag hat ABG-Projektleiter Schneuer die Baugenehmigung im Bezirksamt Mitte persönlich abgeholt. Die Vermietung hat noch nicht begonnen. Die Gewerbeflächen sind flexibel aufteilbar, die kleinste Fläche liegt bei 250 Quadratmetern.

Die alte Bausubstanz schien nicht schutzwürdig

Die Denkmalschützer konnten das Deutschlandhaus nicht retten. Es war im Krieg stark zerstört worden und ohne historische Rücksichten auf den Ursprungsbau der Architekten Fritz Block und Ernst Hochfeld wieder aufgebaut worden. In den 1970er-Jahren und zuletzt 1983 wurden mit Umbauten die schützenswerten Reste zerstört. Deshalb wollte die Kulturbehörde das Haus nicht unter Schutz stellen, obwohl es unstrittig ein prägendes Gebäude ist bzw. war. Nicht nur hiesige Freunde historischer Bausubstanz, sondern auch überregionale Medien wie die „Süddeutsche Zeitung“ und die „Frankfurter Allgemeine“ hatten mit Unverständnis reagiert und der Stadt bescheinigt, Stadtplanung per Taschenrechner zu betreiben. Wann immer ein Investor in einer deutschen Innenstadt bauen wolle, würden ihn weder Vernunft noch Kulturverständnis oder örtliche Politiker aufhalten.