Hamburg. Tausche Sonne gegen Schreibtisch: Reporter übernehmen einen Tag klassische Sommerjobs. Teil 3: Auf als Bademeister im Freibad.
Es wird bald ernst, sagt Ivo, „folge mir“. Noch 20 Minuten. Ein letzter Bissen ins Croissant, das Freibad Marienhöhe liegt still da, die Sonne brennt schon. Heute werden es wohl 4000 Gäste, sagt Ivo, und über 30 Grad. „Ein Power-Tag“. Also keine Zeit für Spirenzchen. Keine großen Kontrollgänge über die sanft geschwungene Wiese. „Augen auf’s Becken. Damit hier heute keiner sein Leben verliert.“
Ich werfe mir ein blaues Bäderland-Poloshirt über, das mich zu einem anderen Menschen macht. Es wischt die vertrauten Freibad-Erinnerungen beiseite. Den Sonnencreme-Duft, dieses wohlige Platschen und Lachen im Ohr, das halbnasse Pommes-mit-Mayo-Futtern. An ihre Stelle tritt: Verantwortung. Heute bin ich kein Gast, sondern Bademeister(helfer) für einen Tag. Ivo führt mich in einen dunklen Kellerraum unter der Wiese, kippt hochätzende Lauge in einen Schacht, für den richtigen pH-Wert im Becken. Hier unten ist das Freibad eine große Maschine, die zum Leben erwacht.
Am Tor warten rund 50 Gäste schon seit einer Stunde. Und auch das Team ist bereit. Etwa Alex, genannt Offizier, der rät: „Lass die Gäste chillen. Aber lieber gleich etwas lauter werden, als dass man zur Rettung reinspringen muss.“ Abdullah, ein Syrer, mit Spitznamen „König Abdullah“. Oder Christel, die noch genau sagen kann, wann sie im Jahr 1978 bei Bäderland begann und sich zur Fachkraft im Badewesen hocharbeitete. Ivo Iliev, der Chef hier und offiziell „Schwimmmeister“, ein Mann mit bulgarischer Härte und liebväterlicher Wärme.
Innerhalb von 15 Minuten ist das Freibad voll
Ich räume noch ein paar Äste vom Spielplatzgelände und gehe am Becken in Stellung. „Jetzt arbeiten wir mal wie vor 40 Jahren!“ ruft Ivo, schnappt sich einen alten Registrierkasten mit Papierzetteln und eröffnet eine zweite Kasse. Da kommen sie.
Nach 15 Minuten ist das Freibad ein Tollhaus. Im flachen Teil des Beckens fliegen die Wasserbälle, Kinder stürzen sich vom Ein-Meter-Brett, schon längst knuspriggebratene ältere Semester fläzen auf den Liegen, die sie sich mit einem kurzen Sprint gesichert haben. Bei Bäderland haben sie eine Faustregel: Wenn es an drei Tagen hintereinander mehr als 25 Grad heiß wird, wollen plötzlich so gut wie alle Hamburger ins Freibad. Und dann braucht es auch alle Mitarbeiter an Bord.
Zum Einstieg hüte ich die abgetrennte Schwimmbahn. Ein paar Frauen halten da so gelassen Klönschnack, dass für die anderen kaum noch ein Durchkommen ist. Ich ermahne freundlich, sie nicken wie Teenager, die bloß ohne Hausarrest davonkommen wollen. Schon das Polo-Shirt wirkt. Dann scanne ich wieder die Lage. Hält sich der wild paddelnde Jungen hier vorn noch über Wasser? Treibt die Frau dort hinten freiwillig mit dem Gesicht nach unten?
Auch erfahrenen Rettern bleibt bisweilen das Herz kurz stehen
Die Kollegen sagen, es gehört dazu, dass einem selbst manchmal kurz das Herz stehen bleibt. Wirklich zur Rettung hineinspringen müssen sie aber sehr selten. „Wenn etwas passiert, ist nicht nur hier drinnen Alarm“, sagt Ivo. Meist verstopfen die Autos die kleine Zubringerstraße in Blankenese völlig. Bei einem schweren Unfall im Jahr habe man erst 15 Minuten lang das Chaos mit Rangieranweisungen auflösen müssen, bis der Rettungswagen endlich durchkam.
Dass es auch heute zumindest eine Schrecksekunde geben wird, sehe ich nicht kommen. Ich klebe Pflaster auf kleine Schnittwunden an Kinderfüßen, berate einen Elfjährigen bei den Schwimmabzeichen. Er will das Freischwimmer-Abzeichen, eine Kollegin testet ihn. Zwölf Bahnen schwimmen, Tauchen, eine andere Person durch das Wasser ziehen. Ob er nicht üben will? „Brauche ich nicht“, sagt er, „Ehre.“ Ein paar Jugendliche wollen Kohle auf einem kleinen Elektrogrill durchglühen. Für ihre Shisha-Pfeife. Auch der Alltag in Freibädern wandelt sich über Jahrzehnte, zumindest etwas.
Der Junge muss sich bei seiner Prüfung kurz auf dem Rücken treiben lassen, aber beißt sich am Ende durch. Seinen Vater gibt ihn mit einer Pranke einen mächtig stolzen Klaps, meine Kollegin macht eine Urkunde fertig. „An so vollen Tagen ist das immer eine Gratwanderung“, sagt Christel. „Die Beckenaufsicht geht vor. Aber wir nehmen die Prüfung ab, weil es den Gästen viel bedeutet.“
Syrer kann nicht schwimmen
Ivo schaltet derweil in einem Häuschen den großen Lautsprecher an einem Mast ein. „Jetzt hören mal alle kurz auf zu reden!“, bellt er hinein. Dann wärmer: „Willkommen im Freibad Marienhöhe.“ Eltern sollten bei der Hitze besonders gut aufpassen – ich sehe im Augenwinkel einige von ihnen hektisch überlegen, ob sie doch noch eine Schirmmütze für ihre Liebsten dabei haben. Später erzählt Ivo, bei den Durchsagen täusche er absichtlich einen russischen Akzent vor. „Der wirkt noch besser als der bulgarische“, sagt er und lacht laut. Seine Mitarbeiter sagen, Ivo liege das Wohl der Gäste ehrlich am Herzen.
Die Luft flimmert nun bei 36 Grad fast, aber die Besucher stehen noch aufrecht. Ich denke gerade daran, wie schön eine Abkühlung wäre, als Hektik am Becken ausbricht. Eine Gruppe von Syrern ist ins Becken gerutscht, aber einer von ihnen kann nicht schwimmen. Er rudert mit den Armen, gerät in Panik, geht fast unter. Meine Kollegin wirft blitzschnell einen Rettungsring. „König“ Abdullah, der selbst erst vor zwei Jahren aus Syrien nach Deutschland kam, nimmt seine Landsleute danach ins Gebet und schickt sie in den Nichtschwimmerbereich.
Es ist 13.40 Uhr, bald steht nach der Erfahrung der Kollegen erst der richtig große Ansturm der Gäste bevor. Auch immer mehr Jugendliche haben jetzt ausgeschlafen, es diggeraldert am Beckenrand, Halbstarke liefern sich kleinere Rangeleien. Diesmal gehe ich resolut dazwischen. Sie fahren sich etwas herunter, die Lage bleibt beherrschbar. Ivo sagt, es war ein jahrelanger Prozess, allen die eindeutigen Spielregeln in seinem Bad zu vermitteln. „Ich kann sehen, wer Stress machen will, und das sage ich denen sofort. Das hat man irgendwann im Gefühl.“
Nutella-Brot für ein Mädchen, das kollabiert
Immer wieder gibt es trotzdem Kiffer auf den Wiesen oder einzelne Diebstähle. Mit jeder Stunde am Beckenrand sehe ich mehr, was es im Gegenzug auch an großen Momenten in diesem alten Freibad gibt. Die Fünfjährige, die ganz langsam trippelt und sich unter Applaus vom Drei-Meter-Brett stürzt. Der Schwarzhaarige aus der Halbstarken-gruppe, der mit einem Mädchen von gegenüber zum ersten Mal Händchen hält.
Wir werden kurz abgelöst und legen Kaffeepause ein, aber sie dauert nicht lange. Die Schlange vor dem Kiosk wurde in der Sonne geröstet. Ein Mädchen ist kollabiert. Wir setzten es auf eine Liege, geben ihr Wasser, schmieren ein Brot mit Nutella. Kaum ist es von den Eltern abgeholt worden, geht es dem nächsten Mädchen ähnlich. Zum Glück war auch ein Rettungssanitäter unter den Wartenden. Er schleckt an seinem Eis, während er der Verletzten nebenbei ruhig erklärt, dass sie vielleicht noch zum Arzt müsse.
Der Nachmittag geht dennoch ohne schwerere Verletzungen vorbei. Ich darf noch selbst eine Schwimmprüfung abnehmen, verhelfe der fünfjährigen Mary-Ann zum Seepferdchen, klatsche ab, bereite die Daten für ihre Urkunde vor. Dann streife ich das Polo-Shirt ab, verwandele mich zurück, kann eine Runde schwimmen gehen – was die Bademeister selbst nie während des Dienstes dürfen, auch nicht bei 36 Grad. Ich blicke hoch zu Ivo, der auf dem Bademeisterturm über das Becken guckt, in dem es vogelwild, aber friedlich zugeht. Er sieht aus, als finge er an, diesen heißen Tag etwas zu genießen.