Hamburg. Mitarbeiter im Konsortium der Baufirmen soll Geld abgezweigt haben – die Staatsanwaltschaft ermittelt.

Es ist eines der bedeutendsten Infrastrukturprojekte der vergangenen Jahre im Hafen: die 104 Meter lange Rethebrücke, die für mehr als 170 Millionen Euro gebaut wurde. Jetzt gibt es den Verdacht, dass dabei mehrere Millionen Euro unterschlagen wurden. Staatsanwaltschaft und Polizei ermitteln bereits. Hauptbeschuldigter ist ein Mitarbeiter der „Arbeitsgemeinschaft Re­thebrücke“. Bei ihm und mehreren Helfern wurde bereits durchsucht. „Im Kern geht es um den Vorwurf, dass Gelder missbräuchlich für private Zwecke verwendet wurden“, so Polizeisprecher Timo Zill. Geschädigte sind die Bau-Unternehmen – allerdings könnte sich der Betrug auch auf die mehrfach gestiegenen Baukosten der Brücke ausgewirkt haben. Dann wären auch die Stadt und damit die Steuerzahler Leidtragende.

Bereits Anfang Juni standen Ermittler bei dem 47-jährigen leitenden Mitarbeiter der Arbeitsgemeinschaft in Ottensen vor der Tür, in ihren Händen ein Durchsuchungsbefehl. Gleichzeitig wurde bei drei weiteren Beschuldigten durchsucht. Darunter eine Wohnanschrift und Firmenanschrift in Sachsen und in Wohnung in Hemmoor.

Fingierte Rechnungen für nie erbrachte Leistungen?

Der Vorwurf: Der leitende Mitarbeiter, der zeichnungsberechtigt war, soll fingierte Rechnungen für nie erbrachte Dienstleistungen eingereicht haben. Die zweite Unterschrift eines zeichnungsberechtigten Mitarbeiters, die nötig ist, damit eine Überweisung durchgeführt wird, soll der 47-Jährige nach Erkenntnissen der Ermittler gefälscht haben. „Das komplexe Verfahren wird von Spezialisten der Fachdienststelle für Wirtschaftsdelikte bearbeitet. Es geht um den Verdacht des gewerbsmäßigen Betrugs, der Untreue und der Urkundenfälschung.“

Die Höhe des Schadens ist nicht absehbar. Über acht Jahre, von 2010 bis Mitte 2018 sollen fingierte Rechnungen eingereicht worden sein. Bislang hat man einen Zeitraum von Januar bis April 2018 überprüft. Allein in der Zeit sollen so eine halbe Million Euro unterschlagen worden sein. „Es gibt bislang weitere 2,5 Millionen Euro, die auffällig sind und bei denen man davon ausgehen muss, dass auch sie für Rechnungen überwiesen worden sind, die nicht berechtigt waren“, so ein Beamter. Bei der Durchsuchung im Juni hatte die Polizei zahlreiche Unterlagen, schriftlich und auf Datenträgern, sichergestellt, die noch längst nicht alle ausgewertet sind.

Netzwerk für krumme Geschäfte aufgebaut

„Die Ermittlungen und die Auswertung der bei den Durchsuchungen sichergestellten Beweismittel dauern an“, bestätigt Polizeisprecher Zill. Intern schließt man nicht aus, dass die Schadenssumme noch höher ausfällt. Helfen könnten dabei auch die Beschuldigten. Zumindest einer von ihnen, so hieß es aus Polizeikreisen, haben in seiner Vernehmung eine inhaltliche Aussage gemacht.

Für die krummen Geschäfte, so die bisherigen Erkenntnisse des Landeskriminalamtes, hatte der gebürtige Sachse ein Netzwerk aufgebaut, das auch auf alten Verbindungen beruhen dürfte. So gehört der Inhaber eines Sanitärfachhandels in Sachsen zu den Beschuldigten. Diese Firma wirbt im Internet ausschließlich mit der Einrichtung von Badezimmern und nicht mit Infrastrukturbauten als Referenzen. Aber auch eine Frau mit dem gleichen Nachnamen wie der Hauptverdächtige gehört zu dem Personenkreis der unberechtigten Rechnungssteller. An der Arbeitsgemeinschaft waren die Unternehmen Hochtief und Bilfinger beteiligt. „Solche Arbeitsgemeinschaften sind gerade bei herausragenden Projekten üblich“, sagt ein Insider. „So werden Fachwissen, Kapazitäten aber auch das Risiko verteilt.“

Dass ausgerechnet bei der Rethebrücke, deren Auftraggeber die städtische Hamburg Port Authority (HPA) ist, der Verdacht eines Millionenbetrugs verfolgt wird, hat besondere Brisanz. Die Kosten für die zweiflügelige Klappbrücke, die zusammen mit der Kattwykbrücke die Verbindung zwischen dem östlichen und westlichen Hafen verbessert, explodierten. 2010 war damit gerechnet worden, dass sich die Baukosten auf 95 Millionen Euro belaufen würden. 2011 war man bei mehr als 129 Millionen. 2015 bei mehr als 152 Millionen und ein Jahr später, als die Brücke zunächst für den Straßenverkehr freigegeben wurden, lagen die Kosten bei mehr als 173 Millionen Euro. 2017 wurde sie für den Bahnverkehr freigegeben.

Die Brücke wurde für ihr Design ausgezeichnet

Die Klappbrücke ersetzte die 1934 gebaute Hubbrücke, deren technische Lebenszeit abgelaufen war. Mit dem Neubau kamen Verbesserungen. Fahrzeug- und Bahnverkehr wurden getrennt. Das entzerrt deutlich. In der Zeit der Hubbrücke war der Straßenverkehr bis zu 40-mal am Tag für Fahrzeuge gesperrt, wenn Züge über die Brücke rollten. Diese Sperrungen fielen weg. Für die Schifffahrt bringt die Klappbrücke ebenfalls Vorteile. Es können breitere Schiffe passieren. Eine Höhenbegrenzung für Schiffe, sie lag bei der alten Brücke bei 50 Metern, wird es nicht mehr geben.

Dass Europas größte Klappbrücke ein anspruchsvolles Bauwerk ist, steht für Fachleute außer Zweifel. Vergangenes Jahr wurde das „schlanke Funktionsbauwerk“, das „im geschlossenen wie offenen Zustand von archaischer Grazie“ sei, mit dem Preis des Deutschen Stahlbaus ausgezeichnet.