Hamburg. Der CDU-Spitzenkandidat über seine Chancen bei der Hamburg-Wahl 2020, sein Mandat in Berlin und seine Ideen für die Hansestadt.

Noch führt Marcus Weinberg ein Doppelleben. Einerseits Bundestagsabgeordneter, der viel Zeit in Berlin verbringt. Andererseits Spitzenkandidat der Hamburger CDU für die Bürgerschaftswahl im Februar. Im Interview mit dem Abendblatt sprach der 52-Jährige über diesen Spagat, seine Ambitionen und seine Ideen für die Stadt.

Hamburger Abendblatt: Herr Weinberg, vor vier Monaten sind Sie zum Spitzenkandidaten der CDU für die Bürgerschaftswahl gekürt worden. Bereuen Sie es schon?

Marcus Weinberg: Nein, warum sollte ich?

Es sieht nicht gut aus für die CDU. Der erhoffte Schub bei den Europa- und Bezirkswahlen ist ausgeblieben. Die 20 Prozent konnten nicht geknackt werden.

Weinberg: Aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Das waren für uns schlechte Ergebnisse, gar keine Frage. Ich selber bin aber eher noch motivierter als vorher. Denn auch ein Ergebnis der Stimmungslage insgesamt ist, dass die CDU jetzt eine noch bedeutendere Rolle für eine künftige Regierungsbildung übernehmen kann. Wir müssen jetzt noch dringender die Frage beantworten, wie eine zukunftsfähige Stadt aussieht und wie das Bild der CDU als einer Stadtpartei aussehen muss, die sich zur Aufgabe gemacht hat, die Metropole Hamburg auf den richtigen Weg zu bringen. Darauf habe ich Lust!

Wie sah das Bild der CDU denn früher aus?

Weinberg: In der Regierungszeit unter Ole von Beust als Bürgermeister hatten wir eine klare Werteorientierung – Freiheit, Gerechtigkeit, Solidarität und Rechtsstaatlichkeit – und haben zugleich eine pragmatische und kluge Politik für die Stadt gestaltet. Das war unsere Stärke, und dahin möchte ich zurück. Ich möchte in den nächsten Monaten ein Bild der CDU zeichnen, bei dem jeder weiß, warum er CDU wählt und warum es ihm und der Stadt konkret nützt.

Und wie soll das aussehen?

Weinberg: Hamburg geht es heute gut. Aber am Horizont ziehen dunkle Wolken auf, Vorläufer konjunktureller Abschwächungen sind spürbar. Die Folgen internationaler Krisen – Iran, Brexit, der US-chinesische Handelskrieg – werden sich besonders auf eine internationale Hafenstadt wie Hamburg auswirken. Das bedeutet neue Herausforderungen und Neujustierungen für die Stadt mit Blick auf Wachstum und Wertschöpfung. Der Wohlstand muss gesichert bleiben. SPD und Grüne ruhen sich auf den guten wirtschaftlichen Ergebnissen der Vergangenheit aus. Es wird zu viel an ungelösten Problemen kaschiert, und hinter der schöngeredeten Fassade bröckelt gewaltig der Putz. Wenn 20 Prozent der Viertklässler nicht die Basisqualifikation im Lesen, Schreiben und Rechnen erreichen, ist dies für die Zukunft einer wissensbasierten Stadtgesellschaft eine Katastrophe. Den Kindern werden Chancen verbaut, und den Unternehmen fehlen die erforderlichen Fachkräfte für die Zukunft.

Was sind Ihre Ideen für die Stadt?

Weinberg: Ein Ansatz ist eine digitale Reindustrialisierung. Wir müssen den Hafen, der seit 2007 stagniert, wieder durch Digitalisierung und Innovationen in den Abläufen stärken. Unsere Vergleichsstädte mit Blick auf die ökonomische Entwicklung von Smart Cities sind nicht nur Duisburg oder Bielefeld, sondern Kopenhagen, Bangalore, Shanghai und Boston. Wenn wir nicht umsteuern, werden wir an Wirtschaftskraft verlieren und im Ranking internationaler Metropolen zurückfallen. Damit verlieren wir auch Möglichkeiten der Gestaltung einer noch lebenswerteren Stadt. Kein Wachstum mehr heißt weniger Steuern, kein Ausbau der erforderlichen Infrastruktur und am Ende marode Schulen und ungepflegte Grünanlagen.

Also geht es den Hamburgern in Wahrheit nicht so gut, wie sie meinen.

Weinberg: Jedenfalls müssen wir uns gemeinsam überlegen, wie die Perspektiven 2030 in den großen Feldern einer Stadtgesellschaft aussehen: Wachstum, Mobilität, Stadtentwicklung, Zusammenhalt. Die Städte werden in den nächsten zehn bis 15 Jahren ein neues Selbstbild entwickeln. Meiner Ansicht nach brauchen wir für Hamburg eine neue Strategie, um Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft zusammenzubringen. Dazu gehören die Digitalisierung oder die Bereiche Robotik, 3-D-Druck und künstliche Intelligenz. Wir brauchen eine Gründermentalität und müssen junge Talente nach Hamburg holen. Wer erst mal hier ist, wird die Stadt lieben. Nur so werden wir als Metropole konkurrenzfähig bleiben. Ich stelle mir zum Beispiel eine Technologie- oder Innovationsbehörde vor, die die Bereiche Wissenschaft, Forschung, Digitales und Wirtschaft zusammenbringt und ihren Namen im Gegensatz zur jetzigen Innovationsbehörde auch verdient.

Stichwort Mobilität: Hier hat die CDU ja schon ein Konzept vorgelegt. Die autofreie Innenstadt ist kein Tabu-Thema mehr, das war bis vor Kurzem undenkbar.

Weinberg: Es geht nicht um die Frage, die ganze Innenstadt autofrei zu gestalten. Es ist völlig unstrittig, dass Handwerker oder auch Apothekendienstleister auch weiterhin den Zielort erreichen müssen. Es gibt jedoch ein gewachsenes Bedürfnis vieler Menschen, wieder in der Stadt zu leben, zu flanieren oder im Café zu sitzen. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass wir in einzelnen Straßenzügen für eine gewisse Zeit und in Absprache mit den Gewerbetreibenden den Autoverkehr reduzieren. Parallel muss man neue Formen der technisch modernen Mobilität und den öffentlichen Personennahverkehr ausbauen.

Ihr Kreisverband, die CDU Altona, übt schon in Ottensen die autofreie Zone. Die Stimmung der Einzelhändler ist dort extrem gegen dieses Projekt, das die CDU ja angeschoben hat. Verrät die CDU ihre Klientel?

Weinberg: Es ist auf sechs Monate befristet. Es wird überprüft. Eine CDU, die regieren will, kennt nur ein Klientel, die Hamburgerinnen und Hamburger. Auch unsere Stammwählerschaft macht sich im Moment viele Gedanken über neue Entwicklungen. Aber wir werden die Autofahrer nicht wie der rot-grüne Senat drangsalieren und ihnen immer neue Verbote auferlegen. In vielen Stadtteilen braucht man das Auto, und viele Menschen sollen es nutzen. Ich möchte motivieren umzusteigen. Ein Beispiel ist unsere Idee eines 365-Euro-Jahrestickets. Das Mobilitätsbedürfnis in der Stadt ist aber auch ein anderes als in den Außenbezirken. Unser Mobilitätsansatz trägt diesen Unterschieden Rechnung.

Die CDU will den Anteil des Autoverkehrs im Laufe des nächsten Jahrzehnts auf nur noch 15 Prozent senken. Die Grünen geben sich mit 20 Prozent zufrieden. Will die CDU grüner werden als die Grünen?

Weinberg: Die CDU möchte eine zukunftsfähige und mobile Stadt haben, aber nicht den Grünen hinterherlaufen. Die Menschen sollen freiwillig umsteigen. Wir sollten uns aber schon Zielzahlen vornehmen. Viele Menschen in Hamburg leiden im Stau, der Nerven, Zeit und Geld kostet. Die rot-grüne Verkehrspolitik ist gescheitert, es fehlt weiterhin ein ganzheitlicher Mobilitätsansatz, und die kurzfristig aufgepinselten Fahrradstreifen helfen weder den Rad- noch den Autofahrern.

Es scheint so, als ob Sie nach wie vor ganz gern Politik in Berlin statt in Hamburg machen. Täuscht der Eindruck, dass Sie sich hier rar gemacht haben?

Weinberg: Ich gehöre zu denen, die ihre übernommenen Aufgaben auch beenden. Ich habe in Berlin zuletzt am Familienstärkungsgesetz und am Gute-Kita-Gesetz mitgewirkt, von denen in Hamburg mehrere Zehntausend Kinder und Familien profitieren. Jetzt kommt aber eine ganz klare Schwerpunktsetzung auf Hamburg. Dafür führe ich viele Gespräche und entwickele daraus Ideen für meine konkreten Angebote an die Hamburgerinnen und Hamburger.

Warum nutzen Sie nicht jede Chance, um sich hier bekannter zu machen?

Weinberg: Mir geht es nicht darum, mich bekannter zu machen. Ich möchte wählbar sein. Das heißt: Wenn ich öffentlich auftrete und ein Thema setze, dann möchte ich es in meiner Regierungszeit umsetzen. Hamburger wollen nicht den Schnellschuss, sondern ein seriöses Angebot. Dadurch werde ich mit Inhalten verbunden und die CDU wählbarer.

Aus Berlin ist zu hören, dass der Druck auf die Abgeordneten sehr groß ist, anwesend zu sein, um nur ja keine Abstimmung zu verpassen. Wie präsent können Sie da überhaupt im Hamburger Wahlkampf sein?

Weinberg: Ich werde die Berliner Tätigkeit im Laufe der kommenden Monate immer weiter reduzieren und den Fokus auf Hamburg legen. Das ist mit meinem Fraktionsvorsitzenden so abgesprochen.

Warum machen Sie nicht einen klaren Schnitt und geben Ihr Bundestagsmandat jetzt auf? Das wäre doch ein Signal an die Hamburger, dass Sie es ernst meinen.

Weinberg: Ich habe noch ein paar familienpolitische Vorhaben in Berlin, die ich gern abschließen möchte. Da bin ich auch ein pflichtbewusster Abgeordneter. Das Bundestagsmandat werde ich niederlegen, sobald ich in die Bürgerschaft gewählt wurde.

Abgesehen von ihrem weiblichen Kompetenzteam haben in der Hamburger CDU seit vielen Jahren kaum Frauen wichtige Ämter und Mandate. Jetzt stehen an der Spitze der 17 Wahlkreise zur Bürgerschaftswahl wieder nur drei Frauen. Haben Sie Ihren Parteifreunden schon die Meinung gegeigt?

Weinberg: Die Aufstellungen im Wahlkreis sind basisdemokratisch organisiert, da hat die Parteiführung nicht reinzureden. Dieses Prinzip ist auch mir sehr wichtig. Ich bin aber mit Blick auf den Frauenanteil mit dem Ergebnis nicht zufrieden. Wir haben zu wenige Frauen in Führungsverantwortung. Ich will in der Bürgerschaftsfraktion nicht nur zu einem deutlichen höheren Frauenanteil kommen, sondern auch eine bessere Beteiligung. Daher setze ich mich mit Nachdruck dafür ein, dass auf unserer Landesliste, die wir im September aufstellen, unter den ersten zehn Kandidaten mindestens fünf Frauen sind.

Was halten Sie von dem Antrag der Frauen-Union, Doppelspitzen auf Orts-, Kreis- und Landesebene einzuführen, die es vor allem Frauen mit Familie leichter macht, eine Führungsposition nur halb auszufüllen?

Weinberg: Eine spannende Idee, über die wir diskutieren sollten, aber erst vor den parteiinternen Wahlen im Juni 2020. Jetzt geht es um die Bürgerschaftswahl.

Ein wichtiger Grund für Ihre Nominierung war Ihre „Anschlussfähigkeit“, also die Gabe, mit der SPD ebenso gut zusammenarbeiten zu können wie mit den Grünen. Rückt die CDU mit Ihnen als Spitzenkandidat nach links?

Weinberg: Mir sind Kategorisierungen wie links oder rechts nicht so wichtig, sondern ich muss „anschlussfähig“ an die Themen der Stadt sein. Es geht um Lösungen für das Leben der Menschen in unserer Stadt.

Anders gefragt: Wenn die CDU weiter in Richtung Mitte rückt, öffnen sie dann nicht Raum für die AfD?

Weinberg: Die CDU ist und bleibt die konservative Partei in Hamburg. Die AfD liegt gerade mal bei sechs bis sieben Prozent und spielt in der liberalen Burg Hamburg kaum eine Rolle. Aber unabhängig davon will ich keine taktischen Positionen beziehen, nur weil sie mir eventuell am Wahltag im Stimmengeflecht helfen könnten. Dafür bin ich der Falsche. Das Bürgermeisteramt ist zu bedeutsam für taktische Spielchen, da geht es um Perspektiven für die Stadt und Lösungen der Probleme. Und es gelten für mich in der Politik die Prinzipien von Authentizität und Haltung.

Bislang sind Sie „nur“ Spitzenkandidat der CDU. Rufen Sie sich jetzt auch als Bürgermeisterkandidat aus?

Weinberg: Ich bin der designierte Spitzenkandidat der CDU, und grundsätzlich ist ein Spitzenkandidat der CDU natürlich auch ein Bürgermeisterkandidat. Aber mit Blick auf die letzten Wahlergebnisse und Umfragen habe ich einen gewissen Realitätssinn an den Tag zu legen. Anderseits merken Sie an meinen Überlegungen, dass ich mir Gedanken darüber mache, wie ich diese Stadt für die Menschen gestalten kann.

Dann muss es ja jetzt eine klare Antwort auf die Frage geben, ob Sie Bürgermeister werden möchten?

Weinberg: Ja, ich möchte Bürgermeister werden.

Die CDU könnte aber auch nur das Zünglein an der Waage werden und die Optionen haben, ein Bündnis mit der SPD oder aber mit Grünen und FDP einzugehen.

Weinberg: Unser Hauptziel ist es, ein gutes Ergebnis für eine Regierungsbeteiligung zu bekommen. Damit könnten wir auch die spannende Rolle des Königsmachers erhalten. Dann geht es um Inhalte und gemeinsame Ziele in einer Koalition, und ich kann mir als Prinz die schönste Prinzessin aussuchen, mit der ich die glücklichste Zeit haben kann.

Was ist denn Ihr Wahlziel in Zahlen?

Weinberg: Ich will gestalten, und den Gestaltungsauftrag bekomme ich nur mit einem guten Ergebnis. Um im Bild zu bleiben: Das Kleid des Prinzen muss schon gut aussehen, damit die Prinzessin entzückt ist. Konkret setze ich auf 20 Prozent plus x, das ist auch machbar.