Hamburg. Grüne fordern Aufhebung der Regelung mit zweimal täglichem Wechsel der Fahrtrichtung. Senat plädiert für Beibehaltung.

Die Grünen des Bezirks Hamburg-Nord haben ihre Forderung bekräftigt, die bisherige Regelung an der Sierichstraße aufzuheben, nach der die Fahrtrichtung zweimal täglich wechselt. Bisher darf dort von 4 Uhr morgens bis 12 Uhr mittags auf beiden Spuren nur stadteinwärts gefahren werden – und von 12 Uhr mittags bis 4 Uhr morgens nur stadtauswärts. Damit kann die Straße sowohl am Morgen wie auch am Abend einen Teil des Berufsverkehrs aufnehmen. Bei ihrer Forderung nach Abschaffung dieser Regelung argumentieren die Grünen mit aktuellen Nutzungs- und Unfallzahlen aus einer Antwort des Bezirksamtes auf eine Kleine Anfrage.

Demnach wurden zwischen 2013 und 2018 entlang der Sierichstraße und der Herbert-Weichmann-Straße 757 Unfälle registriert. An 727 davon waren Pkw beteiligt, an 99 Lkw, an 68 Fahrräder, an 23 Motorräder, und elfmal waren Fußgänger betroffen. Dabei waren neun Schwer- und 94 Leichtverletzte zu beklagen. Es entstand 624-mal ein Sachschaden, die Summe der Schäden erreichte 7,1 Millionen Euro. Die meisten Unfälle gab es mittwochs (128), gefolgt von Dienstag (125) und Freitag (120). Von 2008 bis 2012 war die Bilanz noch unerfreulicher: In diesem Zeitraum wurden drei Menschen bei Unfällen an dem Straßenzug getötet, und die Polizei zählte vier Schwer- und 109 Leichtverletzte.

Hohe Unfallzahlen

Für die Grünen in Nord sind die aktuellen Zahlen ein Anlass, ihre Forderung nach einer Änderung der Regelungen zu bekräftigen. „Oberstes Ziel der Verkehrspolitik muss immer die Verkehrssicherheit sein“, sagte Michael Werner-Boelz, Vorsitzender der grünen Bezirksfraktion. „Die Sierichstraße mit ihrem bundesweit einzigartigen Wechselrichtungsverkehr trägt nicht zur Verkehrssicherheit bei. Im Gegenteil: Die Zahlen unserer Anfrage bestätigen die wiederholten Ausführungen der örtlichen Polizeivertreter im Regionalausschuss: Die Sierichstraße ist eine nicht länger hinnehmbare Gefahrenquelle.“

Das Verkehrsaufkommen sei mit den jetzt festgestellten 10.000 bis 15.000 Fahrzeugen täglich relativ gering, die Unfallzahlen aber „hoch und der jährliche volkswirtschaftliche Schaden enorm“, so Werner-Boelz. „Der Wechselrichtungsverkehr muss endlich aufgehoben werden. Dazu muss der Fahrbahnquerschnitt überplant werden, sodass schnellstmöglich ausreichend Raum für Rad- und Fußverkehr geschaffen werden kann.“

Senat ist zuständig

Diese Forderung hat nach den Wahlen zu den Bezirksversammlungen nun einiges Gewicht. Denn die Grünen sind jetzt auch in Nord stärkste Fraktion. Nun wollen sie zunächst eine Mehrheit in der Bezirksversammlung für ihre Forderung nach einer Überplanung der Sierichstraße suchen. Wie genau der Verkehr dort künftig geregelt werden soll, ist den Grünen dabei auch noch nicht klar. Denkbar sei, dass der Verkehr künftig durchgehend in einer Richtung fahre, die Sierichstraße also zu einer echten Einbahnstraße werde, so Werner-Boelz. Aber zunächst müssten die Verkehrsplaner sich das Ganze genau ansehen. Zen­tral sei die Forderung, dem Fuß- und auch dem Radverkehr dort deutlich mehr Raum zu geben.

Dass sich die Bezirksgrünen mit ihrer Forderung am Ende durchsetzen, scheint aber angesichts der aktuellen Mehrheiten auf Landesebene eher unwahrscheinlich. Für die Sierichstraße ist angesichts ihrer Größe nämlich der Senat zuständig – und die Wirtschafts- und Verkehrsbehörde lehnt den Vorstoß der Grünen klar ab.

Auch Polizei will an Regelung festhalten

„Der Straßenzug Sierichstraße–Herbert-Weichmann-Straße ist eine Hauptverkehrsstraße mit mittlerer bis hoher Bedeutung für den Hamburger Stadtverkehr“, sagte Verkehrsstaatsrat Andreas Rieckhof (SPD) dem Abendblatt. „Die jetzige Regelung hat sich bestens bewährt. Würden wir sie aufheben, stünden vor allem im Berufsverkehr zahlreiche Autofahrer im Stau. Viele würden dann auf andere Straßen ausweichen, was zu zusätzlichen Verkehrsbelastungen im Mühlenkamp und auf dem Hofweg führe. Bewusst provozierte Staus wollen wir nicht.“

Dort habe man „mit viel Aufwand und Erfolg Maßnahmen zur Busbeschleunigung an der Papenhuder Straße, am Hofweg und Mühlenkamp durchgeführt“, die man jetzt nicht durch dorthin verlagerten Verkehr „konterkarieren“ sollte, so Rieckhof. „Kurzum: Die morgens Rein- und abends Rauslösung ist ein gutes Beispiel dafür, wie sich der begrenzt vorhandene Straßenraum effizient nutzen lässt.“ Das sehen auch Polizei und Innenbehörde so. „Es gibt keinen Anlass, die über Jahrzehnte bewährte Verkehrsregelung infrage zu stellen“, hieß es am Dienstag aus der Innenbehörde.