Hamburg. Den Eltern des unterernährten Säuglings drohen höhere Strafen. Statt fahrlässiger Tötung wird ihnen nun Totschlag vorgeworfen.

Am Ende hatte der kleine Mohamed wohl nicht einmal mehr die Kraft zu weinen. Der unterernährte Säugling verstarb nachts, in aller Stille. Und über seinen Tod sind seine Eltern, als der Junge schließlich reglos in ihren Armen lag, ganz offensichtlich verzweifelt gewesen. Wirklich überraschend kann das Drama für sie aber wohl kaum gekommen sein, war der Junge doch eine zeitlang extrem mangelernährt, mit greisenhaftem Gesicht und entsetzlich dünnen Ärmchen und Beinchen.

Gegen die Eltern besteht der Verdacht, schon etwa eine Woche vor Mohameds Tod erkannt zu haben, dass ihr zweieinhalb Monate alter Sohn sterben könnte - und sich damit abgefunden zu haben. Deshalb wurde jetzt ein Prozess gegen Marina P. (32) und Said Z. (34) vom Hamburger Schöffengericht zum Schwurgericht verwiesen. Vor dem Landgericht werden sich die Mutter und der Vater wegen Totschlags durch Unterlassen verantworten müssen. Die Eltern hatten Mohamed nie zu einem Arzt gebracht, obwohl er laut Sachverständigen zumindest in seiner letzten Lebenswoche „für jeden erkennbar“ extrem untergewichtig und in Lebensgefahr gewesen sei.

Mohamed wiegt bei seinem Tod nur noch 2823 Gramm

„Es war eine sehr schwierige Entscheidung, eine Gratwanderung“, sagte die Vorsitzende des Schöffengerichts, Monika Schorn, über den Beschluss, das Verfahren zum Schwurgericht abzugeben. Doch inzwischen gebe es deutliche Hinweise darauf, dass die Angeklagten den Tod ihres Sohnes „als möglich und nicht ganz fernliegend erkannt“ und sich damit „abgefunden“ hätten. „Sie konnten nicht ernsthaft darauf vertrauen, dass er nicht versterben würde.“ Doch die Eltern hätten nicht reagiert, ihn keinem Arzt vorgestellt. Es handele sich offenbar um kein Augenblicksversagen der Eltern. „Das Sterben des Jungen hat sich über einen längeren Zeitraum hingezogen.“

Mohamed war am 13. November 2017 im Alter von zehn Wochen gestorben. Bei seinem Tod wog der Säugling nur noch 2823 Gramm und damit sogar weniger als bei seiner Geburt, bei der ein Gewicht von 2850 Gramm dokumentiert wurde. Eigentlich hätte er laut Experten etwa 4,7 Kilogramm schwer sein müssen. Bisher waren Marina P. und ihr Mann Said Z. lediglich wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassen angeklagt. Die Eltern, die sechs weitere Kinder haben, hatten am ersten Prozesstag vor dem Schöffengericht angegeben, sie hätten nicht bemerkt, dass es ihrem Sohn so schlecht ging. Die Mutter bekundete, sie habe Mohamed regelmäßig gestillt.

Jugendamt betreute die Familie

Im Prozess wurde auch der Notruf abgespielt, mit dem der Vater von Mohamed die Rettungskräfte alarmiert hatte. Said Z. hatte vor Schluchzen kaum sprechen können, und im Hintergrund war eine verzweifelt weinende und klagende Marina P. zu hören. Auch im Prozess hatten die Eltern geweint. Zudem hatten Zeugen eine kindgerecht eingerichtete und saubere Wohnung und ein offenbar liebevolles Verhältnis der Eltern zu ihren Kindern geschildert. Das Jugendamt hatte die Familie betreut, aber nur bis 2016, also weit vor Mohameds Geburt. Aber auch da hat es offenbar bereits Hinweise gegeben, dass vor allem die Mutter stark überfordert war.

Zwei Sachverständige hatten im Prozess den dramatisch schlechten Zustand von Mohamed beschrieben. Demnach war spätestens eine Woche vor dem Tod des Säuglings auch für medizinische Laien offensichtlich, dass der Junge extrem unterernährt und in Lebensgefahr war. Dies sei unter anderem wegen seines „greisenhaften Gesichts“ und den durchscheinenden Rippen erkennbar. Wäre Mohamed eine Woche vor seinem Tod zu einem Arzt gebracht worden, hätte sein Leben sicher gerettet werden können. „Davon bin ich überzeugt“, sagte ein Kinderintensiv-Mediziner. Er habe in seiner Laufbahn schon sehr viele Kinder gesehen, erklärte der Arzt. „Aber noch nie ein so abgemagertes Kind.“ Die Ärzte seien „bestürzt“ über sein Aussehen gewesen. Und Rechtsmediziner Prof. Klaus Püschel vom UKE hatte bekundet, eine ärztliche Behandlung hätte Mohameds Tod „eindeutig verhindert“.

Amtsgericht darf Freiheitsstrafen von maximal vier Jahren verhängen

Die Staatsanwaltschaft beantragte nach dieser Beweisaufnahme am Mittwoch die Verweisung zum Schwurgericht. Insbesondere sei den Eltern der Vorwurf zu machen, dass sie Mohamed trotz seines erkennbar schlechten Zustandes nicht zum Arzt brachten. Einen vereinbarten Termin vom 7. November hatten Marina P. und Said Z. auf den 14. November verschoben. Zu spät für den Säugling.

Weil ein Amtsgericht nur Freiheitsstrafen von bis zu vier Jahren verhängen darf und die Zuständigkeit allgemein bei schweren Verbrechen wie Totschlag beim Landgericht liegt, wird der Fall dort vermutlich neu aufgerollt. Das Landgericht muss dem noch zustimmen.

„Auch menschlich gesehen“ werde ein Prozess vor dem Landgericht „angesichts des kurzen Lebens des kleinen Mohameds“ dem Fall „eher gerecht“, sagte Richterin Schorn. Denkbar ist, dass die Verteidigung eine psychiatrische Begutachtung von Marina P. und Zaid Z. beantragt, weil möglich sei, dass die Eltern bei der Vielzahl ihrer Kinder schlicht überfordert gewesen seien. Wie ein neuer Prozess endet, ob die Eltern wegen Totschlags oder doch wegen fahrlässiger Tötung verurteilt werden, bleibt abzuwarten. Sie könnten beide für lange Zeit im Gefängnis landen: Bei Totschlag sieht das Gesetz eine Haftstrafe zwischen fünf und 15 Jahren vor.