Hamburg. Landgericht verurteilt 45-Jährigen aus Barmbek zu mehr als sechs Jahren Haft. Er sei durch seine Stiefmutter traumatisiert worden.

Wegen eines beinahe tödlichen Messerangriffs auf eine Nachbarin hat das Landgericht Hamburg einen Angeklagten zu sechs Jahren und drei Monaten Haft verurteilt. Die Große Strafkammer ordnete am Freitag zugleich die Unterbringung des 45-Jährigen in einem psychiatrischen Krankenhaus an. Nach Überzeugung des Gerichts attackierte der arbeitslose Türke am Abend des 20. November 2018 seine Nachbarin heimtückisch mit einem Messer. Zuvor hatte es in dem Barmbeker Mehrfamilienhaus einen Streit um Lärm gegeben. Die damals 47 Jahre alte Frau erlitt einen tiefen Schnitt am Hals und schwebte in akuter Lebensgefahr.

Der Angeklagte habe sich des versuchten Mordes schuldig gemacht, erklärte der Vorsitzende Richter Joachim Bülter. Bei der Tat sei seine Schuldfähigkeit aber aufgrund einer psychischen Störung vermindert gewesen.

Schepperndes Metalltor macht Täter wütend

Der Auslöser des Streits war banal. Die Nachbarin hatte durch ein Metalltor über einen Innenhof zum Hinterhaus gehen wollen. Dabei ließ der Wind das Tor laut scheppernd zuschlagen. Der Angeklagte schlief da schon, nach dem Genuss von Drogen. Er wurde wach - und wütend. Der Erklärung der Frau, der Wind habe das Tor zugeschlagen, schenkte er keinen Glauben. Er machte vielmehr einen anderen Nachbarn für den Knall verantwortlich. Dieser war früher Untermieter des Angeklagten gewesen und nach einem Zerwürfnis ins Hinterhaus gezogen.

Der 45-Jährige zog sich an, ergriff ein Messer und eilte zur Wohnung seines früheren Untermieters. Am Eingang traf er auf die Nachbarin. Sie erklärte dem Angeklagten: "Du darfst hier nicht sein, nur im Vorderhaus!" Diese Ermahnung habe bei dem 45-Jährigen ein emotionales Wiederaufleben einer Demütigung bewirkt, die er als Kind durch seine Stiefmutter erlitten habe, erklärte der Richter.

Emotionaler Flashback

Unter dem Eindruck dieses "Flashbacks", wie es ein Gutachter formulierte, habe er spontan beschlossen, die Frau zu bestrafen. Mit dem Messer habe er ihr den Hals auf nahezu der gesamten Länge aufgeschlitzt. Die 45-Jährige verlor rund einen Liter Blut und wurde nur dank der Ersthilfe von Zeugen und einer Notoperation gerettet.

Der Angeklagte leide unter einer posttraumatischen Belastungsstörung. Er habe als Kind zunächst bei seiner leiblichen Mutter in der Türkei gelebt. 1977 habe ihn sein Vater nach Deutschland geholt. Seine Stiefmutter habe ihn misshandelt, erniedrigt und gedemütigt, sagte Bülter. Die Schule verließ der Angeklagte ohne Abschluss. Eine Berufsausbildung machte er nicht. Zeitweise habe er als Reifenmonteur gearbeitet, zuletzt aber von Hartz IV gelebt, getrennt von seinem Sohn und seiner geschiedenen Frau.

Wegen Körperverletzung vorbestraft

Der 45-Jährige ist wegen Körperverletzung, Beleidigung und Nötigung vorbestraft. Bei den früheren Verurteilungen sei die psychische Störung bereits angesprochen worden. Der Angeklagte sei hochgradig reizbar und habe eine instabile Persönlichkeit. Der Richter riet ihm dringend, bei den Therapien im psychiatrischen Krankenhaus mitzuarbeiten. Ohne Behandlung bestehe die Gefahr, dass er weitere schwere Straftaten begehe. Der sogenannte Maßregelvollzug kommt laut Gesetz vor der Haftstrafe, über deren Vollstreckung zu einem späteren Zeitpunkt entschieden wird.