Hamburg. Dass die 94-Jährige den Angriff überlebte, grenzt an ein Wunder. Richterin verurteilte die Tat als “unfassbar brutal und kaltblütig“.

Irene B. war eine rüstige Rentnerin. Ihr Leben im Altenheim „ Hospital zum Heiligen Geist“ (Poppenbüttel) lebte die frühere Lehrerin stolz und selbstbestimmt. Bis zum 10. März 2018, als ihr Miriam M. all das nahm. Die 94-Jährige, geistig gut beinander, aber hoch gebrechlich, ist jetzt ein Pflegefall. 32-mal hat Miriam M. an jenem Tag in dem Pflegeheim mit einem Messer auf ihr Zufallsopfer eingestochen, heimtückisch und aus Habgier.

Irene B. überlebte den blutigen Überfall, und allein das, sagt die Vorsitzende Richterin Petra Wende-Spors, „grenzt an ein Wunder“. Eine Rechtsmedizinerin sagte im Prozess aus: Verletzungen, wie sie Irene B. davontrug, sehe sie sonst nur auf dem Sektionstisch. Das Gericht hat Miriam M. am Montag wegen versuchten Raubmordes zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Dass bei einem Versuch die Höchststrafe verhängt wird, ist möglich, aber unüblich. Doch weil sich die „unfassbar brutale und kaltblütige Tat“ nah an der Vollendung bewegte, so das Gericht, bleibe der Angeklagten eine Milderung versagt.

Verteidiger will Revision einlegen

Miriam M. schlägt die Hände vors Gesicht, als sie das Urteil hört. Ihr Verteidiger spricht später von einem „einseitigen“ Schuldspruch, er werde Revision einlegen. Zwar hat Miriam M. die Tat eingeräumt. Sie zu leugnen, hätte auch keinen Sinn gemacht. Nachdem sie ihr durch eine Öffentlichkeitsfahndung auf die Schliche gekommen war, fand die Polizei bei ihr das Portemonnaie der alten Dame und die mit dem Blut des Opfers besudelte Kleidung der Angeklagten.

Doch das Landgericht bemängelte vor allem das taktische, „hochmanipulative“ Aussageverhalten der Angeklagten, um in den Genuss eines Strafnachlasses zu kommen. „Wie ein Chamäleon“ habe sie sich dem Stand der Beweisaufnahme angepasst und dem Gericht drei Versionen aufgetischt – alle seien durch toxikologische und psychiatrische Befunde als Lügen entlarvt worden. Bei ihr sei lediglich eine Borderline-Störung diagnostiziert worden, die keinen Einfluss auf ihre Steuerungsfähigkeit zum Tatzeitpunkt hatte.

Richterin: Miriam M. hat das Gericht für „dumm verkaufen“ wollen

So habe Miriam M. zunächst erklärt, ihre Drogensucht sei Ursache für den Überfall gewesen. Dann will sie von einem „Mensch-Tier-Mischwesen“ zu der Tat getrieben worden sein. Diesem Wesen habe sie „ein Opfer“ bringen müssen, damit das „Tier in ihr nicht wiedergeboren“ werde. Sie habe das Gericht mit dieser Konstruktion einer Psychose wohl für „dumm verkaufen“ wollen, so Wende-Spors. Schließlich erklärte Miriam M: Der Mordversuch sei ihrer Medikamentenabhängigkeit geschuldet.

Das Motiv der hoch verschuldeten Frau sei Geldgier gewesen. Nicht den geringsten Zweifel hat das Gericht am Tötungsvorsatz, die Tat sei von einem „absoluten Vernichtungswillen geprägt gewesen“. Schon Wochen zuvor habe sie sich vorbereitet. Im Internet suchte sie etwa nach möglichen Geldverstecken alter Leute und gab bei Google Abseitiges ein wie: „Macht alte Leute töten Spaß?“

Als die Seniorin ihr den Rücken zuwandte, stach sie zu

Einst arbeitete Miriam M. als Pflegeschülerin in dem Altenheim, ihre Ausbildung brach sie aber ab. Im Wissen, dass sich auf der Station von Irene B. nur wenige Pfleger aufhalten, schlich sie sich am Morgen des 10. März mit einer hinterlistigen Legende in ihre Wohnung. Sie sei ihre Physiotherapeutin, sie habe etwas vergessen. Als die Seniorin ihr den Rücken zuwandte, stach sie zu, dann noch einmal, um sie zur Preisgabe eines Geldverstecks zu zwingen, unter anderem traf sie dabei ihr Herz. Mit rund 400 Euro und im Glauben, die Zeugin ausgeschaltet zu haben, flüchtete Miriam M.

Irene B. drückte mit letzter Kraft ihren Notrufknopf – und überlebte knapp. Durch einen anonymen Hinweis an die Polizei versuchte Miriam M. noch, den Verdacht auf eine im Pflegeheim arbeitende rumänische Putzfrau zu lenken. Mit diesem sinistren Plan scheiterte sie – so wie sie in ihrem bisherigen Leben eigentlich immer nur gescheitert war.