Hamburg. Internationales Team um Hamburger Kardiologen hat Risikorechner entwickelt, der bald auch niedergelassenen Ärzten helfen soll.
Herzinfarkte in nur einer Stunde genauer als bisher zu erkennen oder auszuschließen – das soll dank eines Risikorechners gelingen, den ein internationales Forscherteam unter Federführung des Uniklinikums Eppendorf (UKE) entwickelt hat. Die Diagnosehilfe könnte vielerorts für eine schnellere Behandlung der lebensgefährlichen Erkrankung sorgen, sagt Prof. Stefan Blankenberg, Ärztlicher Leiter des Universitären Herz- und Gefäßzentrums.
Dem Kardiologen zufolge läuft es bisher oft so: Wer mit Brustschmerzen und Luftnot in die Notaufnahme kommt, erhält in der Regel ein Elektrokardiogramm (EKG), das die Aktivität der Herzmuskelfasern aufzeichnet. Außerdem führen Ärzte zwei aufeinanderfolgende Bluttests durch, was in vielen Kliniken weltweit allerdings innerhalb von drei, sechs oder sogar zwölf Stunden geschehe, sagt Blankenberg.
Schnelle Tests zur Diagnose von Herzinfarkten
So lange müssen Betroffene und Ärzte aber nicht warten, schreiben die Forscher um Blankenberg nun im renommierten „New England Journal of Medicine“. Das Team hat mehr als 22.000 Patientendaten aus 13 Ländern analysiert. Demnach seien zwei Bluttests innerhalb einer Stunde – wie schon meistens am UKE praktiziert – genauso aussagekräftig wie Bluttests nach drei bis zwölf Stunden, sagt Blankenberg.
Entscheidend sei, ob sich eine charakteristische Entwicklung zwischen den zwei Werten zeige. Diese Erkenntnisse bilden die Grundlage des am UKE entwickelten Programms namens Compass-MI, das online verfügbar ist und zudem bald als App erscheinen soll. Geben Klinikärzte die ermittelten Blutwerte in den kostenlos nutzbaren Risikorechner ein, zeige die Software die Wahrscheinlichkeit an, ob der betreffende Patient einen akuten Herzinfarkt hat und deshalb rasch Medikamente und eine Behandlung mithilfe eines Herzkatheters bekommen sollte – oder ob diese Therapie nicht notwendig ist. „Ich hoffe sehr, dass weltweit Ärzte diese Diagnosehilfe nutzen werden“, sagt Blankenberg.
Wie der neue Test die Diagnose schneller und zuverlässiger macht
Bei einem Herzinfarkt verschließen sich meist Herzkranzgefäße, was zum Absterben von Herzmuskelzellen führt – eine lebensgefährliche Situation, die eine schnelle Behandlung erfordert. Die Diagnose ist allerdings nicht simpel, denn typische Symptome eines Herzinfarkts – etwa Brustschmerzen und Luftnot – können auch andere Ursachen haben. In der Studie stellt ein internationales Forscherteam um Kardiologen des Uniklinikums Eppendorf (UKE) nun Erkenntnisse vor, die vielerorts weltweit für eine schnellere und genauere Diagnose als bisher bei Verdacht auf akuten Herzinfarkt sorgen könnten, wie die Wissenschaftler hoffen.
Die Grundlage bilden Bluttests, die Troponin messen, einen Proteinkomplex, der nur im Herzmuskel vorkommt und bei einer Schädigung der Muskelzellen ins Blut gelangt. Früher konnten solche Test nur größere Mengen an Troponin bestimmen, weshalb es drei Stunden und länger dauern konnte, bis zwei aufeinanderfolgende Tests ein solides Ergebnis lieferten, erklärt der Erstautor der Studie, Johannes Neumann vom Universitären Herz- und Gefäßzentrum. Erst in den vergangenen Jahren seien etwa in größeren Kliniken in Deutschland – auch am UKE – hochempfindliche Tests eingeführt worden, die auch kleine Troponin-Mengen erfassen können. Das UKE erprobe schon länger zwei Tests innerhalb einer Stunde. Ein Vorteil?
Groß angelegte Studie mit mehr als 20.000 Patienten
Für die neue Studie untersuchten die Forscher Daten von 22.000 Menschen aus 13 Ländern. Bei allen Patienten, die mit Verdacht auf einen Herzinfarkt in eine Notaufnahme kamen, maßen die Ärzte bei der Eingangsuntersuchung und bis zu dreieinhalb Stunden später mit hochempfindlichen Bluttests die Konzentration von Troponin I oder Troponin T. Der Vergleich habe gezeigt: Zwei hochempfindliche Tests in einer Stunde seien genauso aussagekräftig wie ein Test nach dreieinhalb Stunden.
Nur 15 Prozent der Studienpatienten hatten einen Herzinfarkt. Geringe Ausgangskonzentrationen an Troponin und ein geringer Anstieg der Werte waren mit einer geringeren Wahrscheinlichkeit für einen Herzinfarkt verknüpft. Basierend auf diesen Erkenntnissen entwickelten die Forscher den Risikorechner Compass MI. Das UKE übernimmt allerdings keine Gewähr für die Angaben der Software.
Die als Grundlage benötigten hochempfindlichen Bluttests sind bisher zwar Kliniken vorbehalten. Von 2020 an werden aber voraussichtlich zwei Firmen – mit denen das UKE wirtschaftlich nicht verbunden sei – die Tests auch für niedergelassene Mediziner anbieten, sagt Stefan Blankenberg, Ärztlicher Leiter des Universitären Herz- und Gefäßzentrums. „Dadurch könnten bald auch ambulant tätige Ärzte einen akuten Herzinfarkt besser diagnostizieren.“