Hamburg. „Vereinbarung in gegenseitigem Vertrauen“: Stadt bleibt Eigentümer, ehemalige Besetzer sind für die Verwaltung verantwortlich.
Der Moment ist wie gemalt für die frohe Botschaft: Die Sonne bricht in den frisch sanierten Raum im vierten Stock der „Fabrique“ im Gängeviertel, Aktivisten und Senatoren geben sich die Hand, sie lachen, nehmen dann auf dem Podium Platz. Friede, Freude – und endlich eine Einigung im Streit um das historische Gebäudeensemble, der vor zehn Jahren begann. Mit einem sogenannten Erbbaurechtsvertrag soll sowohl die Zukunft des Gängeviertels als Kulturstätte wie auch die Sanierung aller Häuser gesichert werden.
Für die nächsten 75 Jahre – bis zum Jahr 2094 – sind die ehemaligen Besetzer nach dem Vertrag eigenständig für die Verwaltung, die Vermietung und den Unterhalt der bis zu 250 Jahre alten Gebäudeelemente zuständig. Die Stadt bleibt Eigentümer der zwölf Gebäude zwischen Valentinskamp und Caffamacherreihe. „Es ist eine Vereinbarung in gegenseitigem Vertrauen“, betont die Stadtentwicklungssenatorin Dorothee Stapelfeldt (SPD). Bis alle Gebäude saniert sind, verwaltet die Stadtentwicklungsgesellschaft (Steg) das Gängeviertel zudem weiterhin treuhänderisch. Dabei sollen auch insgesamt 63 öffentlich geförderte Wohnungen entstehen.
Gängeviertel soll "Ort der Kritik" sein
Beide Seiten hatten über die Besitzverhältnisse gestritten und seit Herbst 2017 intensiv über eine Lösung verhandelt. Kultursenator Carsten Brosda (SPD) sprach von einer Verantwortung dafür, das Gängeviertel als öffentlichen Ort und Zeugnis der Geschichte zu bewahren. „Die Gebäude sind der letzte Einblick darin, wie Hamburg in dieser Gegend vor 200 Jahren aussah“, so Brosda.
Ausdrücklich solle das Gängeviertel heute aber auch ein Ort der Kritik sein. Die Stadtgesellschaft sei darauf angewiesen, dass es Räume für alternative Lebensentwürfe, Kunst und abweichende politische Meinungen gebe. „An solchen Bruchkanten können sich die spannendsten Diskurse entfachen“, so der Kultursenator. Mit dem Vertrag sei nun sichergestellt, dass Senat und die Verwalter des Gängeviertels nun „unterschiedlicher Meinung sein dürfen, aber weiterhin miteinander reden“.
Auch Christine Ebeling und Till Haupt von der Gängeviertel-Genossenschaft sprachen davon, dass die Einigung das Ende eines langen Prozesses markiere. „Eine Selbstverwaltung ist das, was wir von Anfang an wollten“, sagte Ebeling. Im Jahr 2009 hatten etwa 200 Künstler und Aktivisten das Ensemble besetzt, um den Abriss großer Teile des Gängeviertels durch einen Investor zu verhindern. Die Stadt machte den Verkauf des Areals daraufhin rückgängig.
Weitere Kosten bei der Sanierung der Gebäude
In den folgenden Jahren entwickelte sich das Areal zum Zentrum für Kulturschaffende, die Zukunft der baufälligen Gebäude blieb jedoch lange strittig. „Es ist Seriosität nötig, um ein Ensemble wie dieses verwalten zu können“, sagte Till Haupt. Die Strukturen dafür habe man sich erarbeiten müssen. Jedoch müsse auch die Stadt offenbar „manchmal zu ihrem Glück gezwungen werden“.
Erst die inzwischen verstorbene ehemalige Kultursenatorin Barbara Kisseler befriedete den Konflikt um das Gängeviertel vorerst. Seit 2013 wurden bereits drei der Gebäude saniert – darunter die „Fabrique“, das Zentrum des Kulturangebotes im Gängeviertel. Bei der Eröffnung im Jahr 2016 sagte Kisseler, sie sei „Vorsitzende des Fanclubs“ des Gängeviertels. Der aktuelle Kultursenator Carsten Brosda scherzte gestern, er übernehme dieses Amt nun mit Freude.
Für die Sanierung des Gängeviertels hatte die Stadt bereits vor sechs Jahren ein Finanzpaket von insgesamt rund 20 Millionen Euro geschnürt. 9,9 Millionen Euro davon stammen allein aus städtischen RISE-Mitteln. 8,2 Millionen Euro seien bislang bereits verbraucht worden, so Stadtentwicklungssenatorin Stapelfeldt.
Es sei denkbar, dass dieses Volumen durch allgemein gestiegene Baukosten noch aufgestockt werden müsse. Die Stadt rechnet mit einem Zeitraum von sieben bis acht Jahren, bis alle baufälligen Gebäude saniert sind. Nach einem Bürgerschaftsbeschluss soll die Sanierung möglichst ab dem Herbst weiter vorangetrieben werden. Die Vorplanungen für die weiteren Bauarbeiten könnten bereits in Kürze beginnen.
Gängeviertel-Genossenschaft muss Erbbauzins bezahlen
Sobald alle Gebäude nach der Sanierung an die Gängeviertel-Genossenschaft übergeben wurden, muss diese jährlich einen Erbbauzins von 303.000 Euro an die Stadt zahlen. Till Haupt spricht davon, dass sich das Gängeviertel als offener Ort für alle Hamburger präsentieren wolle. Das Angebot solle nach Möglichkeit ausgebaut werden.
Man habe die finanziellen Pläne der Genossenschaft unabhängig überprüfen lassen, sagte die Senatorin Dorothee Stapelfeldt. Sie seien tragfähig. Eine Klausel im Vertrag sieht vor, dass die Verwaltung der Gebäude wieder auf die Stadt übergehe, sofern die Genossenschaft ihren Pflichten nicht nachkomme. Man gehe aber fest davon aus, dass dieser Fall niemals eintreten werde.