Hamburg. Sein Verein feiert 20-jähriges Bestehen, sucht aber trotz Erfolgsstory nach neuen Formen der Finanzierung.

Am Anfang waren zwei Freunde, die im Sommer 1999 zusammensaßen und gemeinsam über ihr Leben nachdachten. Was wichtig ist, was man zurückgeben kann. Doch anstatt nur zu philosophieren, wurden Fernsehjournalist Reinhold Beckmann und Christian Hinzpeter, damals Vizepräsident des FC St. Pauli, ganz praktisch tätig: Sie gründeten den Verein NestWerk, der benachteiligte Jugendliche mit Sport und Musik fördert und versucht, ihnen eine Zukunftsperspektive zu bieten. Sie gewannen prominente Unterstützer wie Udo Lindenberg, Gerhard Schröder, Uwe Seeler, Günther Netzer, Corny Littmann und Ivan Klasnic.

Heute, zwei Jahrzehnte später, ist NestWerk in 20 Hamburger Stadtteilen aktiv und erreicht mit seinen Kooperationspartnern jedes Jahr regelmäßig rund 6500 Kinder und Jugendliche, die von etwa 60 pädagogischen Fachkräften betreut werden. Und auch wenn die Finanzierung schwieriger geworden ist und neue Wege des Fundraising gesucht werden, ist für Beckmann klar: „Das Projekt bleibt unsere Lebensaufgabe.“

Bruno Labbadia, selbst „Gastarbeiterkind“, ist dabei

Zunächst ging es Hinzpeter und ihm darum, abends und am Wochenende leerstehende Sporthallen zu nutzen, um Jugendlichen kostenlose Sportangebote zu machen. Das Projekt „Die Halle“ startete auf der Rahlstedter Höhe, bald folgte Kirchdorf-Süd. Viele weitere Projekte kamen hinzu: Straßenfußball für Toleranz, die „Spielmacher“, ein professionelles Fußballtraining, oder die Ligamannschaft „Allstars“, der Pate Ex-HSV-Trainer Bruno Labbadia ist, selbst „Gastarbeiterkind“, wie er sagt. „Mir hat Fußball ein Leben geschenkt.“

NestWerk bietet kostenlose Schwimmkurse an. In zwei „Jamliner“-Bussen, die mit der Band Revolverheld als Paten zu rollenden Tonstudios ausgebaut wurden, fahren Pädagogen regelmäßig in Stadtteile wie Billstedt, Osdorf und Wilhelmsburg und bieten Nachwuchsbands die Möglichkeit, ihre eigenen Songs zu entwickeln und professionell auf CDs zu produzieren. Seit 2015 bemüht sich NestWerk verstärkt um die Integration von Flüchtlingen.

Anfangs schulterte Beckmann Finanzierung allein

Doch die Finanzierung wird schwieriger. Anfangs hat Beckmann sie allein geschultert, aus Erlösen von öffentlichen Auftritten. Dann organisierte NestWerk viele Jahre lang ein spektakuläres Fußballevent im Millerntor-Stadion: den „Tag der Legenden“ mit zahlreichen Weltklassefußballern. Doch 2016 war Schluss, die Veranstaltung war zu aufwendig und zu teuer zu organisieren – am Ende blieb zu wenig für NestWerk übrig. In diesem Jahr unterstützt die Sozialbehörde erstmals den „Jamliner“ mit rund 60.000 Euro. Dennoch: „Wir müssen neue Formen der Finanzierung finden“, sagt Beckmann.

Er sei in den vergangenen Monaten viel unterwegs gewesen, um neue Sponsoren zu finden. Das Flüchtlingsthema, hat er festgestellt, ist nicht mehr so sexy. „Wenn wir unsere Arbeit weitermachen wollen, brauchen wir mehr Unterstützung. Wünschenswert sei eine Benefizveranstaltung, die in der Stadt so sichtbar ist wie der „Tag der Legenden“ es war. Neue Formen des Fundraising sollen entwickelt werden. Und auch mit der Stadt ist man im Gespräch.

Für Sozialsenatorin Melanie Leonhard (SPD) ist NestWerk ein „herausragendes Beispiel für nachhaltiges Engagement“. Es sei „so wichtig, dass die Jugendlichen spüren: Ich kriege was hin“. Es geht um Sport und Musik – vor allem aber um Hilfestellung im Leben. Um Integration und die Vermittlung von Werten wie Respekt, Fairness, Toleranz und Solidarität.

Es sind anrührende Geschichten, die es aus den zwei Jahrzehnten zu erzählen gibt: Von den Kindern aus Wilhelmsburg beispielsweise, die zum ersten Mal andere Teile der Stadt sahen. Von den Jugendlichen, die im „Jamliner“ ihre erste eigene CD produzierten und später sagten: „Durch den Jamliner bin ich in meinem Leben rechts abgebogen.“

Oder die Geschichte von Alireza Danial, dem Afghanen, der in seiner Heimat als Übersetzer für die amerikanischen Streitkräfte gearbeitet hat, bei Kampfeinsätzen dabei war und viele Male um sein Leben fürchten musste. Und der 2015 – meist zu Fuß – von Kabul nach Deutschland kam, Kontakt mit NestWerk erhielt, in Rekordgeschwindigkeit Deutsch lernte und heute als Fußballtrainer für NestWerk tätig ist, über den Verein sogar eine Wohnung fand und im August eine Erzieherausbildung beginnt. „Nicht alles gelingt“, sagt Beckmann. „Es gibt auch Momente, in denen man enttäuscht ist, wo sich die Jugendlichen extrem schwer tun.“ Doch die Erfolgsgeschichten überwiegen.

Beckmann: Armut verfestigt sich!

Dennoch beobachtet Beckmann die Entwicklung in vielen Vierteln Hamburgs mit Sorge. „Die Armut verfestigt sich seit Jahren“, sagt er. „Und das im prosperierenden Hamburg!“ Kanzlerin Angela Merkel habe gesagt „Wir schaffen das“, dann aber kein Management dafür aufgebaut.

Sorge macht ihm die „konstant hohe Anzahl von Familien, die in Hamburg von Transferzahlungen leben müssen“. Umso wichtiger seien Angebote wie die von NestWerk – gerade auch für junge Flüchtlinge, die immer noch in Containersiedlungen ohne viel Perspektive lebten, wie etwa in Neuenfelde. „Da würde ich gern etwas anbieten!“