Hamburg. Professor Wolfgang Maennig sagt, warum Carsharing immer wichtiger wird. Und wieso eine City-Maut sinnvoll wäre.
Drei Monate ohne Auto? In der Regel wird ein solcher Verzicht verordnet - etwa durch den Entzug der Fahrerlaubnis. Die Teilnehmer der Aktion „Steig um“ – initiiert vom Hamburger Abendblatt und der Umweltbehörde – gaben freiwillig ihre Autos ab, erhielten im Gegenzug jeden Monat 400 Euro, um mit anderen Verkehrsmitteln ans Ziel zu kommen. Ihre Erfahrungen waren überwiegend positiv, eine Teilnehmerin hat ihr Auto sogar verkauft. Doch was muss Hamburg tun in Sachen Verkehrswende? Darüber sprach das Abendblatt mit Prof. Wolfgang Maennig, Volkswirt und Verkehrsexperte der Uni Hamburg.
Hamburger Abendblatt: Herr Prof. Maennig, in Hamburg waren Anfang 2019 fast 800.000 Autos gemeldet, mehr als 11.000 als im Januar 2018. Auch die Zahl der Lkw wächst. Findet die vielzitierte Verkehrswende in Wahrheit gar nicht statt?
Prof. Wolfgang Maennig: Doch, aber das ist ein langer Prozess. Ich unterrichte seit 30 Jahren Verkehrsökonomie und frage seit Beginn stets, wer von den Studierenden einen Führerschein hat. Ihr Anteil nimmt immer weiter ab. Dies gilt erst recht bei der Frage, wer ein eigenes Auto fährt.
Worauf führen Sie das zurück?
Maennig: Ich persönlich hatte einen Tag nach meinem 18. Geburtstag meine Führerscheinprüfung, habe mir sofort einen buntbemalten Citroën 2 CV , also eine Ente, gekauft. Andere fuhren mit den Autos ihrer Eltern. Das Auto war ein Status- und Freiheitssymbol. Heute sagen mir Studenten: Wenn ich zum ersten Date mit Papas Auto vorfahren würde, hätte ich schon verloren. Wenn schon Auto, dann Carsharing, dann gilt man als modern, ökologisch und Smartphone-affin. Der soziale Status bei jungen Leuten definiert sich heute über soziale Netzwerke, über die Zahl der Follower bei Twitter und Instagram oder der Freunde bei Facebook. Und eben nicht mehr über Hubraum oder PS. Der Wandel in der Mobilität wird noch Jahre dauern, aber er ist kaum aufzuhalten.
Bis dahin werden wir aber noch viele Stunden im Stau stehen.
Maennig: Ich bin viel im Ausland unterwegs. In Los Angeles stauen sich Kolonnen von Autos über zehnspurige Highways. Im internationalen Vergleich wird die Stau-Thematik in Hamburg überschätzt. Und wir Deutschen ticken in dieser Frage widersprüchlich. Auf der einen Seite nervt uns jeder Stau, auf der anderen Seite sind wir skeptisch bei allen regulatorischen Lösungen.
Welche wären denkbar?
Maennig: Bei einem knappen Gut ist es die volkswirtschaftlich beste Lösung, wenn man die Nachfrage über finanzielle Anreize steuert. Etwa über eine temporär gesteuerte City-Maut: Der Weg mit dem Auto in die Stadt wäre in der Rushhour teuer, zu anderen Zeiten wäre die Maut günstiger oder könnte ganz entfallen. Aber viele Politiker fürchten den Groll der Wähler. Denken Sie nur an die Grünen mit ihrer 1998 erhobenen Forderung, den Spritpreis auf fünf Mark mehr als zu verdreifachen. Sofort sackten sie bei Umfragen dramatisch ab. Der momentane Erfolg der Grünen hängt auch damit zusammen, dass sich Robert Habeck solche Forderungen verkneift.
Aber ist die City-Maut nicht unsozial? Wer viel Geld hat, dem macht die Maut nichts aus.
Maennig: Aber warum sollen Reiche mehr zahlen als Ärmere, wenn sie die gleiche Menge CO2 ausstoßen und den gleichen Schaden anrichten? Außerdem fahren wirklich arme Menschen gar kein Auto, da sprechen wir eher von der Mittelschicht. Aber es gibt auch andere Lösungen, die mögliche Staus besser steuern. In den USA etwa gibt es „Carpool Lanes“, also Spuren, die nur Fahrzeuge mit mindestens zwei, manchmal auch mit drei Personen nutzen dürfen. Peking bekämpft den Smog, indem an manchen Tagen nur Autos mit geraden oder ungeraden Nummern auf den Straßen unterwegs sein dürfen. Aber das führt dazu, dass sich vermögende Chinesen zwei Autos mit den entsprechenden Nummernschildern zulegen.
Die Teilnehmer bei unseren Projekt „Steig um“ kritisieren, dass der Weg zur nächsten S- oder U-Bahn oft zu weit sei.
Maennig: Da sprechen Sie einen wichtigen Punkt an. Der liniengebundene Nahverkehr ist zwar schnell, bringt einen aber nur selten direkt ans Ziel, deshalb fahren viele Leute doch lieber mit dem eigenen Auto. Ich bin überzeugt, dass der nicht liniengebundene öffentliche Nahverkehr wachsen wird. Neue Trassen für S- oder U-Bahnen sind extrem teuer, schon Münchens ehemaliger Oberbürgermeister Christian Ude hat vor Jahren gesagt, dass es sich Großstädte nicht mehr werden leisten können, immer neue U-Bahn-Kilometer zu bauen. Die Zukunft gehört Systemen wie Moia, wo man per App im Sammeltaxi fahren kann.
Wie kann die Bahn ihren Service verbessern?
Maennig: Mit mehr ICE-Sprintstrecken zwischen den Großstädten. Dann werden noch viel mehr Leute vom Auto oder vom Flugzeug auf die Bahn umsteigen.
Nach dem Bundesrat hat nun auch die Bundesregierung den Vorgaben für eine Zulassung von elektrisch angetriebenen Tretrollern im Straßenverkehr zugestimmt. Wie sehen Sie diese E-Scooter?
Maennig: Ich habe sie in Tel Aviv erlebt. Da kriegen Sie ein mulmiges Gefühl, wenn diese E-Scooter mit hohem Tempo auf dem Fußweg an einem vorbeidonnern, obwohl dies gar nicht erlaubt ist. Zudem lassen viele ihren Roller auf dem Gehweg einfach liegen, das sind für Fußgänger echte Hindernisse. Deshalb braucht es für E-Scooter klare Regeln, die kontrolliert werden müssen. Es darf nicht passieren, dass sie mit hoher Geschwindigkeit auf Gehwegen fahren und damit vor allem ältere Fußgänger gefährden.
Arbeitnehmer können die Kosten für den Weg zur Arbeit von der Steuer absetzen. Sollte man dies ändern, um Pendeln unattraktiver zu machen?
Maennig: Ökologisch gesehen wäre dies sinnvoll. Pendlerpauschalen machen das Wohnen weit abseits der Arbeitsstätte attraktiver, fördern die Zersiedlung von Landschaften. Aber es gibt eben auch die andere Seite. In Frankfurt ist es völlig normal, dass Beschäftigte jeden Tag 70 Kilometer zur Arbeit fahren. Wenn diese Arbeitnehmer das nicht mehr von der Steuer absetzen können, wächst der Druck auf das Wohnen in der Stadt. Die Mieten würden dort also noch mehr anziehen.
Wie stehen Sie zu den Dieselfahrverboten in Hamburg?
Maennig: Die Autoindustrie hat betrogen, dafür ist sie in Deutschland nur glimpflich belangt worden. Dieselfahrverbote sind juristisch korrekt, wenn bestimmte Konzentrationen von Stickoxiden überschritten werden. Ich bezweifele allerdings den Nutzen, wenn die Autofahrer dann einfach auf Parallelstraßen ausweichen.
Würden Sie sich denn noch einen Diesel kaufen?
Maennig: Nein, auch keinen schadstoffarmen. Ich finde den Dieselgeruch einfach unangenehm. Bei uns steht zwar ein Autowechsel an, aber ich will noch abwarten. Zu den Olympischen Spielen in Tokio wird Toyota eine Flotte mit Wasserstoffautos vorstellen. Für mich ist der Kampf zwischen Wasserstoff- und Elektroantrieb noch nicht entschieden.
Herr Prof. Maennig, wie wird der Verkehr in 30 Jahren auf deutschen Straßen aussehen?
Maennig: Der Autoverkehr wird abnehmen. Er wird viel leiser werden. Und es wird völlig normal sein, dass man per App einen autonom fahrenden Kleinbus bucht, der einen abholt.