Hamburg. Zum 60. Geburtstag stockt die Körber-Stiftung die Höhe ihrer Auszeichnung für Europas Spitzenforscher deutlich auf.

Das Haus der Körber-Stiftung steht an einer der schönsten Adressen Hamburgs: Kehrwieder 12, zwischen Baumwall und Elbphilharmonie, das Tor zur HafenCity. Die Büros sind verglast, Mitarbeiter stehen an Schreibtischen vor prall gefüllten Bücherwänden. Nur im Büro des Vorstandsvorsitzenden steht ein runder Tisch mit vielen Plätzen. Wie gut. Denn der Rückblick auf 60 Jahre Körber-Stiftung ist voller Geschichten.

Hamburger Abendblatt: Herr Dr. Dittmer, die Körber-Stiftung ist in der Hamburger Kultur genauso aktiv wie auf der Bühne der internationalen Politik, Sie fördern Wissenschaftler, Schüler und die älteren Generationen. Kennen Sie sich eigentlich in jedem einzelnen Projekt aus?

Lothar Dittmer: Nein.

Das ist interessant.

Dittmer: Nun ja, als Vorstandsvorsitzender bin ich zuständig für die Weiterentwicklung der Stiftung, für strategische Fragen und Richtungsvorgaben. Für unsere rund 45 operativen Projekte beschäftigen wir insgesamt 130 Menschen, die natürlich im Einzelfall genauer wissen, wie man die Gesellschaft damit „ein klein wenig besser“ machen kann.

Und ist Ihnen das in den vergangenen 60 Jahren gelungen?

Dittmer: Sagen wir so: Wir leisten im Rahmen unserer Möglichkeiten Beiträge dazu, die Gesellschaft „besser“ zu machen. Wie etwa mit dem Bergedorfer Gesprächskreis, einem der ersten „runden Tische“ überhaupt – geboren in der Zeit des Kalten Kriegs, um fernab aller Kameras und Mikrofone vertrauliche Gespräche zu führen. Auch dass in diesem Jahr wieder Tausende Jugendliche beim Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten substanzielle Forschungsbeiträge zur Lokal- und Regionalgeschichte liefern, ist ein Verdienst der Stiftung. Und mit unserem Standort in Bergedorf haben wir einen Ort geschaffen, der für einen innovativen und zukunftsorientierten Umgang mit Altersthemen steht. So gibt es viele gesellschaftliche Impulse und Akzente, die ohne die Projekte der Körber-Stiftung nicht entstanden wären.

Warum hatte sich der Stifter Kurt A. Körber eigentlich für Hamburg entschieden? Er war doch Sachse.

Dittmer: Das stimmt. Allerdings war ihm klar, dass es nach dem Zweiten Weltkrieg für ihn als Industriellen in der sogenannten Sowjetischen Besatzungszone nicht weiterging. Für Hamburg entschied er sich, weil er als Hersteller von Maschinen für die Tabakindustrie die Nähe der Tabakindustrie suchte. Und die saß in Hamburg.

Als Großunternehmer stand Körber der Politik nahe. Stimmt es, dass er eng mit Helmut Schmidt und Gustav Heinemann befreundet war?

Dittmer: Ob es wirklich enge Freundschaften waren, kann ich im Rückblick schwer sagen. Aber tatsächlich entstand die Idee zum Bergedorfer Gesprächspreis aus seiner Beziehung zu Helmut Schmidt. Und Körber porträtierte Gustav Heinemann, er malte ja in seiner Freizeit. Dabei kamen die beiden ins Gespräch, und Körber erfuhr, dass Heinemann, der damalige Bundespräsident, etwas tun wollte, um jüngere Menschen für das Thema Geschichte zu begeistern. Dafür wollte er ein Denkmal bauen oder ein Museum stiften. Das fand Körber zu langweilig. Wenn, dann musst du die jungen Leute selbst auf eine historische Forschungsreise schicken, sagte er. So ist dann am Ende ein Wettbewerb daraus geworden.

Den es bis heute gibt.

Dittmer: Ja, das ist wirklich eine Erfolgsgeschichte. An der aktuellen Ausschreibung haben sich 5500 Jugendliche beteiligt. Am Anfang stand die Idee, mit diesem Wettbewerb den Geschichtsunterricht grundlegend zu verändern und Schüler für dieses Fach zu begeistern. Damit ist die Stiftung gescheitert. Aber was uns gelungen ist: Das Ganze als Talentförderungsprogramm aufzusetzen. Was im besten Fall dabei herauskommen kann, hat in den 80er-Jahren eine Schülerin in Passau gezeigt, die im Stadtarchiv über die NS-Vergangenheit recherchierte und viele Alt-Nazis noch immer in Amt und Würden fand. Daraus ist ein Film entstanden, „Das Schreckliche Mädchen“ von Michael Verhoeven. Sehr zu empfehlen.

Gehörte das Scheitern immer dazu?

Dittmer: Ich denke schon. Wir sind wie ein Versuchslabor und experimentieren mitten in der Gesellschaft. Wir wollen kein Mainstream sein und können auch nie vorher sagen, ob ein Projekt gelingt. Und natürlich gibt es auch Themen, in denen wir lange nicht so gut aufgestellt waren – etwa bei der Innovation.

Warum?

Dittmer: Körbers erste Sorge war der Zusammenhalt der Bürgergesellschaft. Er war davon überzeugt, dass eine Gesellschaft zerfällt, wenn sie sich nur noch auf das Geldverdienen beschränkt. Aber als Unternehmer wusste er auch um die Bedeutung von Innovationen. Sie sorgen für Wohlstand und tragen so auch zum Gelingen von Demokratie bei. Deshalb engagieren wir uns nun auch verstärkt auf diesem Feld. Wir bringen mehr Mädchen in die MINT-Fächer, wir ermutigen ältere Menschen dazu, sich mit der Digitalisierung zu befassen. Darüber hinaus fragen wir: Was leistet die Wissenschaft für unsere Gesellschaft? Wo ist sie nicht nur exzellent, sondern auch relevant? Dafür prämieren wir einmal im Jahr die wichtigsten Dissertationen – von den besten die wichtigsten, ist der Slogan. Beim Körber-Preis für die Europäische Wissenschaft nehmen wir in diesem Jahr übrigens das Jubiläum zum Anlass, die Preissumme zu verändern: Bislang betrug das Preisgeld 750.000 Euro, von diesem Jahr an erhöhen wir auf eine Million Euro.

Womit Sie in die Liga der best dotierten Wissenschaftspreise der Welt aufsteigen.

Dittmer: Ja, das stimmt. Der Körber-Preis wird deshalb ja auch der Hamburger Nobelpreis genannt. Und in der Tat ist das auch unser Anspruch: Die Wissenschaftler, die bei uns ausgezeichnet werden, müssen das Potenzial haben, eines Tages auch den Nobelpreis zu gewinnen.

Wie stellt man eigentlich fest, woran es einer Gesellschaft fehlt? Und wie wird aus einer Idee ein Projekt?

Dittmer: Im Grunde arbeiten wir wie eine Kreativagentur. Wir haben unsere Handlungsfelder, also große Themen, mit denen wir uns auseinandersetzen. Dort versuchen wir in unserer täglichen Arbeit, Defizite in der Gesellschaft zu identifizieren, etwa durch Studien, Umfragen oder in Gesprächen mit unseren Zielgruppen. Dann geht es um die Umsetzung. Die besteht zunächst darin, Lösungsvorschläge zu diskutieren. Das tun wir etwa in unseren zahlreichen öffentlichen Veranstaltungen im KörberForum. Wir reden aber nicht nur, wir handeln auch. Das geschieht schließlich mit unseren konkreten operativen Projekten.

Können Sie dafür ein Beispiel nennen?

Dittmer: Die Frage der gesellschaftlichen Teilhabe älterer Menschen bewegt die Körber-Stiftung seit ihren Anfängen. Seit einigen Jahren beobachten wir in diesem Bereich eine interessante Entwicklung: Wenn sich Menschen mit Anfang oder Mitte 60 in den Ruhestand bewegen, dann meist mit dem Satz: Gott sei Dank, jetzt kann ich endlich machen, was ich will. Wenn man dieselben Menschen zwei Jahre später wieder befragt, und das ist wissenschaftlich belegt, sind viele in ein „tiefes Loch“ gefallen. Weil es eben doch nicht genügt, den eigenen Garten zu beackern, Kreuzfahrten zu machen und ab und an ein Enkelkind zu besuchen.

Was denn dann, Ihrer Meinung nach?

Dittmer: Die Körber-Stiftungsagt: Diese Menschen haben ein großes Potenzial, und wir möchten das fördern. Deshalb vergeben wir dieses Jahr erstmals den „Zugabe-Preis“. Dafür suchen wir im Grunde ... kleine Körbers (lacht). Also Menschen, die sich gesellschaftlich engagieren, die aber auch unternehmerisch ticken. Zum Beispiel werden wir einen Münchner auszeichnen, der lange Zeit als Unternehmensberater tätig war und heute Strafgefangene berät. Die Verbindung klingt anfangs ein bisschen schräg, aber sein Ansatz ist: Strafgefangene sind Menschen, die ebenfalls unternehmerisch tätig waren – nur im falschen Gewerbe. Die nach ihrer Entlassung aber bitte keine Drogen mehr verkaufen sollen, sondern möglichst ein anderes Produkt.

Möglicherweise mit einer deutlich geringeren Marge.

Dittmer: Genau. Aber der Gewinn ist trotzdem immens – in diesem Fall für die ganze Gesellschaft.