Hamburg. SPD-Landeschefin Melanie Leonhard erklärt im Abendblatt-Interview, was ihre Partei ändern muss und grenzt sich von den Grünen ab.
Im ersten ausführlichen Interview nach dem Wahldebakel der SPD vor gut einer Woche und dem Rücktritt von Andrea Nahles bezieht die SPD-Landesvorsitzende Melanie Leonhard Stellung zur Lage der Bundes-SPD, zum Verhältnis zu den Grünen sowie zu Chancen und Anspruch der SPD bei der Bürgerschaftswahl am 23. Februar 2020.
Hamburger Abendblatt: Frau Leonhard, ist die SPD noch zu retten? Und wenn ja: wie?
Melanie Leonhard: Ich bin zuversichtlich. Es ist jetzt wichtig, dass alle mal tief durchatmen und sich darauf besinnen, was eigentlich los war. Wir sind in eine Große Koalition eingetreten, nicht aus großer Freude, sondern weil es staatspolitisch geboten war. Wir haben dazu unsere Mitglieder befragt, und es gab eine Mehrheit dafür. Und Andrea Nahles hat für diesen Kurs eingestanden. Und genau das ist ihr jetzt zum Vorwurf gemacht worden.
Frau Nahles hat nicht immer ein glückliches Bild nach außen abgegeben. War sie doch die falsche Parteichefin?
Leonhard: Es geht um die Frage: Wie geht eine Partei mit ihrem Führungspersonal um? Die Bürger mögen es zu Recht nicht sehen, wie wir mit unserem Führungspersonal umgegangen sind. Das ist den Akteuren ja nun offenbar auch aufgefallen, sonst würden sie sich jetzt nicht zu mühevoll von ihrem eigenen Verhalten abgrenzen.
Die SPD ist die Partei, die Solidarität immer hochhält. Der Umgang mit Andrea Nahles zeigt etwas anderes. Welches Urteil fällen Sie da über Ihre Partei?
Leonhard: Man kann da gar nicht sagen: die Partei. Es gibt aber in der Partei einige Menschen, die Solidarität sagen, aber nicht solidarisch handeln. Das haben wir sehr eindrucksvoll erlebt in den letzten Wochen. Es gibt aber auch sehr viele Menschen in der SPD, die bereit sind, Verantwortung zu tragen und für die Partei einstehen. Wir haben jetzt ein Trio an der Parteispitze, und wir werden im Herbst einen Parteitag haben, bei dem wir die Große Koalition einer Revision unterziehen. Es gibt eine Menge Leute, die verantwortlich handeln, darauf setze ich.
Die SPD wird laut Umfragen von den Wählern mit keinem einzigen wichtigen Thema identifiziert. Wie konnte es so weit kommen?
Leonhard: Wir haben uns in Debatten über GroKo ja oder nein, Personal gut oder schlecht verloren. Wir haben uns dafür nicht den Debatten über Netzfreiheit gestellt. Wir haben uns von der gesamtgesellschaftlichen Debatte ein Stück weit abgekoppelt.
Kann die SPD jetzt noch in der Koalition bleiben, die sich nicht für sie auszahlt?
Leonhard: Wir sind in die Große Koalition gegangen, weil andere keine Verantwortung übernehmen wollten. Das muss man noch mal klar sagen. Und wir können die Verantwortung nicht einfach abstreifen, weil es jetzt existenziell schwierig für uns ist. Es gibt Menschen, die darauf gesetzt haben, dass wir Dinge bewegen. Und das müssen wir jetzt auch tun. Wir haben uns vorgenommen, einen Parteitag zu machen, in dessen Rahmen wir das bewerten wollen, und das sollten wir auch.
Ein Bruch der Großen Koalition mit der Folge von Neuwahlen würde bedeuten, dass die Bundestagswahl in zeitliche Nähe mit der Bürgerschaftswahl am 23. Februar 2020 käme. Das dürfte Ihnen kaum gefallen.
Leonhard: Man darf nicht parteitaktisch argumentieren. Wir müssen und werden uns bei der Bürgerschaftswahl auf hamburgpolitische Themen konzentrieren, damit die Wählerinnen und Wähler über Hamburger Themen entscheiden können.
Die Grünen gehen forsch mit ihrer starken Position um und wollen drei grüne Bezirksamtsleiter installieren. Halten Sie es prinzipiell für möglich und richtig, auch unter veränderten Vorzeichen Koalitionen mit den Grünen in den Bezirken einzugehen?
Leonhard: Welche Koalitionen eingegangen werden, entscheiden die Bezirksfraktionen. Das wird viel von inhaltlichen Positionen abhängen und von Personalfragen. Den Grünen ist bewusst, dass sie auch in der Verantwortung stehen, die Landespolitik in den Bezirken weiter umzusetzen und sich davon nicht abkoppeln können.
In Nord und Altona müssen neue Bezirksamtsleiter gewählt werden. Sollten die Grünen aber in Eimsbüttel, wie angekündigt, den Sozialdemokraten Kay Gätgens stürzen, würden Sie dann die Koalitionsfrage im Rathaus stellen?
Leonhard: Ich kann mir nicht vorstellen, dass das zum Koalitionsfall auf Landesebene würde. Die Grünen brauchen einen Partner im Bezirk, um Kay Gätgens abzuwählen. Die Eimsbütteler SPD hat jedenfalls nicht den Wunsch, Kay Gätgens abzuwählen, den sie ja erst Anfang 2017 gemeinsam mit den Grünen gewählt hat.
Die Grünen eilen von Erfolg zu Erfolg – auch in Hamburg. Was wollen Sie den Grünen inhaltlich entgegensetzen?
Leonhard: Ich bin der festen Überzeugung, dass es darauf ankommt, den gesellschaftlichen Wandel zu gestalten. Es geht darum, das mit dem Versprechen für die Zukunft und dem guten Leben in der Stadt zusammenzubringen. Darum muss es gehen: Hamburg für alle. Da haben wir ein gutes inhaltliches Angebot und eine sehr klare Kompetenzzuschreibung, was den Ersten Bürgermeister angeht. Wir werden uns als SPD selbst stark machen müssen. Das ist wichtiger, als jemand anderen in den Blick zu nehmen.
Das hört sich nach „Weiter so“ an.
Leonhard: Die Themen, die in Hamburg eine große Rolle spielen, sind doch nicht weg. Wichtig ist, im Wahlkampf von allen Parteien, egal ob Grüne oder CDU, einzufordern, welche Hamburger Lösungen sie haben. Es ist das eine, in einer Europawahl erfolgreich zu sein. Es ist das Zweite, wie Bildungspolitik in der Stadt konkret aussehen soll und wie wir gemeinsam weiter gut leben und arbeiten wollen.
Viele Ihrer Forderungen und Ideen für Hamburg würden die Grünen auch unterschreiben. Worin liegt der Unterschied?
Leonhard: Die Bürger bewerten nicht die Forderungen, sondern das konkrete Tun. Es ist das eine, auf Landesebene klare Forderungen zum Wohnungsneubau aufzustellen, und es ist das andere, im Bezirk konkret dafür einzustehen, dass das auch konkret passiert. Da fällt manches auseinander. Es ist das eine zu sagen, die Schulen in allen Stadtteilen gleichermaßen gut zu fördern, und das andere, dafür auch vor Ort zu sorgen. Die SPD ist die Partei, die dafür sorgt, dass das auch passiert. Und das wissen die Bürger.
Die Grünen stimmen also im Rathaus mit Ihnen über das Wohnungsbauprogramm ab, aber sabotieren es in den Bezirken, oder?
Leonhard: Das wird sich jetzt zeigen. Es gibt durchaus Unterschiede zwischen den Wahlprogrammen in einigen Bezirken und dem, was die Grünen auf Landesebene vorgestellt haben. Wir werden sehen, was da jetzt zum Tragen kommt.
Stark sind die Grünen gerade bei den jungen Wählern. Wie wollen Sie bei dieser Altersgruppe punkten? Von der Grundrente ohne Bedürftigkeitsprüfung, die die SPD will, haben die jungen Leute erst mal wenig …
Leonhard: Wir haben einen starken Fokus darauf, dass junge Menschen in der Stadt bezahlbar und gut leben können. Das Angebot der SPD, Hamburg für alle, gilt auch für Menschen, die ihre Existenz erst aufbauen. Ein weiterer Schwerpunkt ist gute Förderung von Auszubildenden, Stichworte sind Wohnungen für Auszubildende oder das Azubi-Ticket des HVV. Auch unser gutes Kita-Angebot für junge Familien ist in diesem Zusammenhang wichtig. Das sind Themen, die wichtig sind für junge Menschen.
Der Erfolg der Grünen ist nicht zuletzt einem positiven Lebensgefühl zuzuschreiben, das Robert Habeck, aber auch Katharina Fegebank verkörpern, die auch eine freundlich-fröhliche Ausstrahlung hat. Würden Sie widersprechen, wenn man sagt, die SPD wirkt dagegen etwas bieder?
Leonhard: Ich glaube, wir sind immer sehr redlich. Das ist positiv. Im Gespräch mit uns stellt man dann fest, dass wir redlich und fröhlich sind.
Hält die rot-grüne Koalition bis zur Bürgerschaftswahl?
Leonhard: Ich bin mir sicher. Wir haben eine gute Zusammenarbeit und bisher alle Schwierigkeiten überwunden.
Ist vorstellbar, dass die SPD ein Bündnis mit einer vergleichsweise schwachen CDU eingeht?
Leonhard: Da gibt es auch viel Trennendes, die CDU ist ja im Augenblick ziemlich erratisch unterwegs. Am Ende entscheiden die Wähler, welche Optionen sich ergeben. Unser Ziel ist, mit Abstand stärkste Partei zu werden.
Wie viel Abstand?
Leonhard: Genug.
Und wenn es so kommt, reden Sie dann als Erstes mit den Grünen?
Leonhard: Das Wichtigste für die SPD ist, dass sie ihre Stärke in Hamburg erkennt und nach außen trägt und im Bund zu alter Stärke zurückfindet. Wir sind nicht in der Situation, Kraftmeierei zu betreiben.