Hamburg. Der Vizekanzler spricht trotz der SPD-Krise beim Europa-Abend des AGA-Unternehmensverbands im Hamburger Rathaus.
Er ließ sein Publikum 20 Minuten warten. Bis zum Schluss wurde gerätselt, ob er überhaupt kommt, dann war Olaf Scholz da – nicht einmal 36 Stunden, nachdem die SPD-Parteivorsitzende und Fraktionsvorsitzende Andrea Nahles ihren Rücktritt von allen Ämtern angekündigt hatte.
Mit leichter Verspätung startete der Unternehmensverband der Hamburger Groß- und Außenhändler AGA am Montagabend seinen feierlichen Europa-Abend im Hamburger Rathaus – mit dem ehemaligen Bürgermeister, der direkt von einer Sondersendung des ZDF herbeigeeilt war. Sieben Jahre lang war Scholz Hamburgs Bürgermeister, bis er 2018 als Vizekanzler und Bundesfinanzminister der Großen Koalition nach Berlin wechselte. Nun kehrte er als Festredner zur Frage, wohin die EU steuert, in seine Heimatstadt zurück.
600 Gäste kommen zum Europa-Abend
Die Einladung stand seit Monaten fest. Und da die Europa-Wahl gerade eine Woche zurückliegt, gab es auch ohne die jüngsten Ereignisse in Berlin viele brisante Themen. Entsprechend groß war der Andrang. Das bemerkte auch der Präsident des AGA, Hans Fabian Kruse: „Noch nie in der Geschichte dieses Abends waren so viele Gäste anwesend. 600, ein absoluter Rekord“, sagte Kruse in seiner Ansprache.
Zu den Personaldiskussionen in der SPD verlor Scholz kein Wort. Er konzentrierte sich in seiner Rede auf die Europapolitik. „Die EU muss Antworten auf die Herausforderungen dieser Zeit geben“, sagte Scholz und zählte auf: „Die Herausforderungen, an die ich hier denke, sind neben der Handelspolitik die innere und äußere Sicherheit genauso wie soziale Sicherheit, der Umwelt- und Klimaschutz, eine angemessene Besteuerung internationaler Konzerne, der Umgang mit Fluchtmigration, Globalisierung und Digitalisierung.“
"Politisierung junger Menschen nicht Bloggern und YouTube überlassen"
AGA-Präsident Kruse ging ebenfalls auf die Europawahl ein und äußerte sich besorgt über die geringe Akzeptanz der großen Volksparteien bei jungen Wählern. „Was tun wir gegen falsche Vereinfachungen und gegen das Schüren diffuser Ängste?“, fragte er. „Volksparteien, Familien, Schulen, wir alle dürfen die Politisierung der jungen Menschen nicht Bloggern und YouTube überlassen.“
Scholz’ Nachfolger im Bürgermeister-Amt, Peter Tschentscher (SPD), hob die Bedeutung eines starken Europas für Hamburg hervor: „Zwischen den großen Mächten China, Russland und den USA können sich einzelne Länder Europas mit ihren Interessen allein nicht behaupten. Erst die Europäische Union mit über 500 Millionen Menschen gibt uns die Stärke, Einfluss zu nehmen, und auf Augenhöhe mit anderen auf der Welt zu verhandeln. Für eine internationale Stadt wie Hamburg ist das von großer Bedeutung“, sagte der Bürgermeister.
Er hatte dem Europa-Abend der Groß- und Außenhändler mit einem Senatsempfang einen besonderen Anstrich gegeben, weil die Veranstaltung ihr 30-jähriges Bestehen feierte. Seit 1990 halten die Hamburger Groß- und Außenhändler jedes Jahr einen Europa-Abend ab.