Hamburg. Herzchirurg Professor Hermann Reichenspurner spricht in der UKE-Gesundheitsakademie über den “Taktgeber des Lebens“.

Rund 400 Herztransplantationen hat er schon vorgenommen. In Hamburg vertrauen ihm viele Prominente, wenn es um das Organ geht, das angeblich in Liebesdingen eine entscheidende Rolle spielt. Professor Hermann Reichenspurner, Chef des Herzzentrums des Universitätsklinikums Eppendorf (UKE), sprach im Rahmen der UKE-Gesundheitsakademie vor rund 400 Zuhörern über Herzensangelegenheiten. Titel seines Vortrags: „Schlagkräftiges Herz – den Taktgeber des Lebens stabil erhalten“.

Denn dieser Taktgeber ist durchaus nicht immer stabil. Die Herzkranzgefäße können verstopfen, die Herzklappen können Probleme bereiten, die Pumpleistung des Organs kann sinken. Für all diese Probleme halten Kardiologen und Herzchirurgen jeweils eigene Lösungen bereit. Der medizinische Fortschritt führt gerade dazu, dass der Unterschied zwischen diesen beiden medizinischen Berufen verschwimmt. Früher waren diejenigen, die unter Einsatz der Herz-Lungen-Maschine am offenen Herzen operierten, die Herzchirurgen. Schwere, stundenlange Eingriffe sind das.

Herztransplantation wie der Mount Everest

Die Herztransplantation ist für die Herzchirurgen das, was für den Bergsteiger der Mount Everest ist. Die Kardiologen, kurz „Kardios“ genannt, setzen Katheter ein – dünne Schläuche, die, über Blutbahnen eingeführt, den Weg zum Herzen freimachen. Raffinierte Technik und filigrane Arbeit, die den Patienten so wenig belastet, dass er – Wunder der Medizin – manchmal schon am Tag nach der Behandlung wieder nach Hause kann.

Aber so wie früher ist es nicht mehr. Bei Reichenspurners Herzzentrum ohnehin nicht. Dort wird im Team gearbeitet. Kein Gezicke zwischen Berufsgruppen. Konkurrenzdenken hilft nicht. Nur Hirn kann Herz operieren. Medizinischer Sachverstand entscheidet, welche Methode angewandt wird. Denn zum Glück gibt es meist mehr als einen Weg. Wem ein Herzkranzgefäß Probleme bereitet, dem kann ein über einen Katheter eingeführter Stent helfen, aber auch ein bei einer Operation gelegter Bypass – also eine Umleitung, mit der das verstopfte Gefäß umgangen wird.

Viele Patienten neigen zu der weniger aufwendigen Katheterbehandlung, aber sie ist nicht immer der Königsweg. „In bestimmten Konstellationen ist die Herzkatheterbehandlung nach fünf Jahren mit einem signifikanten Anstieg bei der Sterblichkeit verbunden. Da muss man den Patienten schon reinen Wein einschenken“, so Reichenspurner.

Herz-Lungen-Maschine kommt seltener zum Einsatz

Sowohl bei der Katheterbehandlung als auch bei der Bypass-Operation hat es in den vergangenen Jahrzehnten viele Fortschritte gegeben. „Bei rund der Hälfte der Bypass-Operationen kann man mittlerweile auf den Einsatz der Herz-Lungen-Maschine verzichten“, sagt Reichenspurner. „Man näht die Bypässe am schlagenden Herzen auf. Der Teil des Organs, an dem operiert wird, wird mit Stabilisatoren ruhiggestellt. Der Rest des Herzens schlägt fröhlich weiter.“ Diese Technik ist in den 90er-Jahren in Südamerika entwickelt worden.

Anfangs mit einer Speisegabel, bei der man die beiden mittleren Zinken „amputiert“ hatte. Mit dieser Gabel wurde das Herz so beruhigt, dass im Raum zwischen den beiden verbliebenen Zinken operiert werden konnte. „Heutzutage werden professionelle Stabilisatoren eingesetzt, die mit Druck und Sog arbeiten“, sagt Reichenspurner. Das Risiko, bei einer Bypass-Operation zu sterben, liege bei erfahrenen Kliniken mittlerweile nur noch zwischen einem und zwei Prozent.

Auch bei schadhaften Aortenklappen werden mittlerweile Katheter eingesetzt. Das UKE leitet derzeit eine Studie, die bei Patienten mit leichtem und mittlerem Risiko die Kathetermethode mit dem chirurgischen Ersatz von Klappen vergleicht. „Die Ergebnisse muss man abwarten“, so Reichenspurner. „Mein Gefühl ist, dass in den nächsten drei bis fünf Jahren mehr deutlich Klappen per Katheter als über eine Operation ersetzt werden.“ Am Herzzentrum des UKE sind insgesamt schon rund 2500 Klappen per Katheter implantiert worden. Im Jahr sind es etwa 400, nur noch 250 Klappen werden per Operation eingebracht.

Bei schadhaften Mitralklappen (zwischen linkem Vorhof und linker Herzkammer) muss nach wie vor in den meisten Fällen operiert werden. Sie werden meist nicht ersetzt, sondern repariert. Allerdings ist diese Operation längst nicht mehr so belastend für den Patienten wie früher. „Wir brauchen nur noch einen ganz kleinen Schnitt für ein Endoskop, vier bis fünf Zentimeter lang“, sagt Reichenspurner. Es ist ein 3-D-Endoskop, der Operateur trägt eine Brille wie im Kino und schaut auf einen Bildschirm. Beides zusammen liefert ihm ein dreidimensionales Bild des Herzens.

Auch erfüllende Arbeit hält das Herz gesund

Auch bei den Mitralklappen gibt es mittlerweile ein Katheterverfahren. Es wird aber nur bei älteren Hochrisiko­patienten angewandt. „Da werden undichte Klappen mit einer Art Büroklammer zusammengeheftet“, sagt der Herzchirurg. „Von der Effektivität her ist dieses Verfahren aber nicht so gut wie die Operation.“

Etwas anders ist die Lage bei der Behandlung der Herzschwäche – eine Krankheit, die zahlenmäßig zulegt. Unter anderem deshalb, weil Herzinfarkte wirkungsvoller als früher behandelt werden können, aber danach eben auch eine Herzschwäche zurückbleiben kann. Die Herzkammer schlägt dann weniger kräftig. Nicht 60 bis 75 Prozent des Blutvolumens werden pro Schlag ausgeworfen, sondern wesentlich weniger. „Bei nur noch zehn bis 20 Prozent spricht man von einer schweren Herzschwäche.“ In Deutschland steht sie mittlerweile an dritter Stelle der Todesursachen. Medikamente können helfen. Manchmal hilft aber auch nur eine Herztransplantation.

„Vor 50 Jahren wurde in Südafrika die erste Transplantation vorgenommen, die erste Transplantation in Hamburg war 1984“, sagt Reichenspurner. Transplantationen sind immer noch relativ selten, rund 300 pro Jahr gibt es in Deutschland. Seit Jahren fällt die Zahl. Es könnten, es müssten mehr sein. Reichenspurner schätzt den Bedarf auf etwa 1000 bis 1500 pro Jahr. Aber es fehlt an Organspendern. „Wir sind in Europa Schlusslicht. Da muss sich dringend etwas ändern“, sagt er. Der Vorstoß des Gesundheitsministers Jens Spahn (CDU), eine Widerspruchslösung zu etablieren, hält Reichenspurner für „absolut richtig“. Widerspruchslösung heißt: Wer zu Lebzeiten nicht widerspricht, ist nach dem Ableben automatisch Organspender. In 18 Ländern gilt diese Regelung bereits.

Wer ein gesundes Herz hat, muss das alles nicht wissen. Aber er sollte wissen, dass Rauchen dem Herzen extrem schadet, dass Übergewicht schadet. Hilfreich sind ein schönes Familienleben und eine erfüllende Arbeit. Hilfreich ist regelmäßiges Training, am besten dreimal in der Woche: Laufen, Radfahren, andere Sportarten. „Das Herz will gefordert werden“, sagt Reichenspurner. Der Lebensleistung des Organs zollt er „Respekt und Bewunderung“. „Das Herz arbeitet völlig selbstständig“, sagt er. „Es ist perfekt – wenn wir drauf aufpassen.“ Und wenn nicht? „Dann kann man es ganz schnell kaputt machen.“