Hamburg. Hamburgs Zweite Bürgermeisterin spricht über die Arbeit im Senat, Lehren aus den Wahlen und neue Wählerschichten.
Sie stand gar nicht zur Wahl, ist aber die große Gewinnerin: Nachdem die Grünen sowohl bei der Europa- als auch bei der Bezirkswahl in Hamburg deutlich stärkste Kraft vor der SPD geworden sind, trauen viele Experten Katharina Fegebank auch zu, bei der Bürgerschaftswahl im kommenden Februar das Amt der Ersten Bürgermeisterin zu erobern. Sie wäre die erste Frau und die erste Grüne in diesem Amt. Das Abendblatt sprach mit der Zweiten Bürgermeisterin über die pikante Lage – schließlich regieren SPD und Grüne noch gemeinsam.
Hamburger Abendblatt: Vor wenigen Stunden haben Sie nach den Wahlen zum ersten Mal im Senat mit den Sozialdemokraten zusammengesessen. Wie war die Stimmung?
Katharina Fegebank: Nicht ausgelassen, aber besser, als nach so einem Wahlergebnis zu erwarten. Man hat den Kollegen von der SPD nichts angemerkt. Wir sind uns wie immer sehr freundlich begegnet und haben die Themen der Woche besprochen.
Hat der Bürgermeister Ihnen persönlich gratuliert?
Fegebank: Ja, das hat er – wie die anderen Kollegen auch. Das war ein sehr fairer und professioneller Umgang. Ich habe gesagt, dass ich weiß, wie man sich an solchen Tagen fühlt.
Aber so eine herbe Niederlage haben Sie doch noch nicht erlebt.
Fegebank: Na ja. 2011 war schon ein heftiger Einschnitt. Nicht aufgrund der Prozentpunkte. Aber wir hatten nach dem Ende von Schwarz-Grün das klare Wahlziel, wieder Teil der Regierung zu werden, und waren dann außen vor, weil die SPD die absolute Mehrheit geholt hat. Danach setzte für uns ein schmerzhafter Aufarbeitungsprozess ein.
Jetzt ist die Situation für Sie umgekehrt. Wie gelingt Ihnen die Selbstverzwergung von 31,2 Prozent an der Wahlurne auf 12,3 Prozent am Senatstisch?
Fegebank: Die Wahlergebnisse haben deutlich gemacht, dass wir die führende Kraft auf kommunaler Ebene sind. Das müssen beide Partner in der Regierung zur Kenntnis nehmen. Aber gleichzeitig sind wir weiterhin der kleinere Partner am Senatstisch. Da ist die SPD führende Kraft. Trotzdem gelingt es uns als rot-grüner Senat, gemeinsam unsere Themen voranzubringen. Das muss auch so sein. Darauf haben die Wähler einen Anspruch, und ich gehe davon aus, dass das auch bis zum Ende der Legislatur so bleibt. Zickigkeiten und Schlachten auf offener Bühne wollen wir uns nicht erlauben.
Auch Bürgermeister Peter Tschentscher spricht davon, dass die Grünen mit dem Bezirksergebnis nun große Verantwortung haben. Was bedeutet das genau?
Fegebank: So sind die Fakten. Wir sind die führende Kraft auf Bezirksebene, also an Hamburgs demokratischer Basis. Und damit sind wir auch die neue Hamburg-Partei. Dass damit eine große Verantwortung den Wählerinnen und Wählern gegenüber einhergeht, versteht sich von selbst.
Wie viele Hamburg-Parteien verträgt die Stadt?
Fegebank: Die Frage stelle ich mir nicht. Mir ist wichtig, dass es in der Stadt vorangeht und die Politik ein Angebot macht, das die Menschen anspricht. Klimaschutz ist das Thema, das die Menschen derzeit am meisten bewegt. Und sie trennen sehr wohl zwischen den Ebenen und wissen, dass das nicht nur in EU-Gremien und, mit mäßigem Erfolg, in der Bundesregierung behandelt wird, sondern auch hier in Hamburg. Spätestens seit dem Hitzesommer 2018 ist der Klimawandel doch vor unserer Haustür angekommen. Das ist nicht abstrakt und weit weg, es ist auch kein Nischenthema mehr, sondern hier vor Ort in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Und eine Hamburg-Partei muss darauf Antworten geben.
Sie können jetzt vom Senat bis in die Bezirke „durchregieren“. Wie wollen Sie das nutzen?
Fegebank: An der Konstellation im Senat hat sich ja nichts geändert. Aber natürlich wird es aus den Bezirken und aus der Öffentlichkeit Druck geben, bei Themen wie Klimaschutz und Verkehrswende noch stärker voranzugehen. Das wird uns Grünen auch im Senat Rückendeckung geben.
Waren Ihre beste Wahlhelfer Greta Thunberg und der YouTuber Rezo?
Fegebank: Ja, das ist eine Entwicklung, die uns geholfen hat. Für viele war das Thema Klimaschutz lange sehr abstrakt und hatte nicht den unmittelbaren Alltagsbezug. Mir haben Eltern erzählt, dass sie von ihren Kindern gedrängt wurden, zur Europa- und Bezirkswahl zu gehen. Die Kinder haben ihren Eltern gesagt, sie sollten das Richtige wählen, es ginge jetzt um die Rettung des Planeten. Man traut uns Grünen zu, für diese dringende Aufgabe von Europa bis zu den Bezirken Lösungen anzubieten.
Wissen Sie, was Ihre neuen Wähler, die nicht nur die jungen Menschen umfassen, von Ihnen erwarten – über das Thema Klimaschutz hinaus?
Fegebank: In unseren Hochburgen gibt es ein sehr aufgeschlossenes, liberales Bürgertum, das eine bunte, vielfältige und offene Gesellschaft will. Ihnen geht es um eine klare Haltung gegen Rechtsextremismus und Nationalismus. Es geht auch um Chancengleichheit und eine deutliche Absage an die Diskriminierung von Minderheiten. Und unsere Wähler wollen, dass wir ein Stück weit mutiger sind als andere. Dass wir offen für neue Entwicklungen sind, statt sofort Angst vor politischem Kontrollverlust zu haben.
Sind die Grünen heute die Partei der Besserverdienenden?
Fegebank: Nein. Es ist richtig, dass wir auch in Stadtteilen mit höheren Einkommen großen Zuspruch haben. Aber wir haben auch in der Fläche zugelegt – in den Vier- und Marschlanden, in Langenhorn oder Teilen von Harburg oder Wandsbek. Das alles ist ein Zeichen dafür, dass wir in der gesamten Breite der Stadtgesellschaft wachsen.
Sie haben die Beobachtung, dass einige Wähler mit dem Porsche zum Wahllokal fahren, aber dann Grün wählen, als „modernen Ablasshandel“ bezeichnet. Wollen Grüne-Wähler zum Teil nur ihr Gewissen beruhigen?
Fegebank: Das war als Scherz gemeint. Ich finde gut, dass Menschen, die viel Geld verdienen, ihr Kreuz nicht nur da machen, wo ihnen Steuersenkungen versprochen werden. Sie wählen Grüne, weil sie wissen, dass wir etwas für das Gemeinwohl tun.
Aber der Porsche muss dann aus ökologischen Gründen noch abgeschafft werden?
Fegebank: Ein Porsche-Fahrer, der sich bei der Wahl für eine CO2-Steuer ausspricht, ist doch besser als einer, der das nicht tut, oder?
Haben Sie einmal darüber nachgedacht, das Bündnis mit der SPD aufzukündigen und Neuwahlen nach der Sommerpause anzusteuern, um den augenblicklichen Swing für Ihre Partei zu nutzen?
Fegebank: Nein, keine Sekunde. Die Menschen haben einen Anspruch darauf, dass sie vernünftig regiert werden. Ich glaube, wir machen das gut. Jetzt in Selbstbeschäftigung zu verfallen, wäre das Unglücklichste, was man tun könnte. Damit würden wir zeigen, dass wir uns nicht um die Probleme der Menschen, sondern nur um unsere eigenen kümmern. Wir hoffen, dass das grüne Hoch bis zur nächsten Bürgerschaftswahl anhält und dass wir deutlich zulegen.
Sie sind die Spitzenkandidatin der mit Abstand stärksten Kraft in Hamburg. Dennoch erheben Sie keinen Anspruch auf das Bürgermeisteramt. Warum eigentlich nicht?
Fegebank: Es gilt weiterhin mein Satz: Wer eine grüne Bürgermeisterin will, der kann sie wählen. Wenn wir uns jetzt mit irgendwelchen Wahlkampftiteln schmücken, ist das auch wieder eine Form von Selbstbeschäftigung. Jetzt geht es darum, über unser inhaltliches Angebot zu sprechen. Denn dass Inhalte zählen, hat dieser Wahlsonntag gezeigt.
Bürgerschaftswahlen sind ja de facto auch eine Bürgermeisterwahl. Haben Sie nicht die Sorge, dass Sie Ihre Wähler enttäuschen, weil Sie diese Rolle nicht übernehmen?
Fegebank: Es ist ja noch eine Weile hin. Wir machen jetzt erst einmal unseren Job und sehen, wie sich die Lage weiter entwickelt. Und dann haben wir ja auch noch Möglichkeiten in der zweiten Jahreshälfte, über Dinge zu entscheiden.