Hamburg. Steuerschätzung sagt Hamburg zwar eine weitere Steigerung voraus, aber weniger stark als zunächst angenommen.
Die Geschichte der Maisteuerschätzung für Hamburg lässt sich aus zwei völlig verschiedenen Perspektiven erzählen. Eine geht so: „Die Stadt Hamburg hatte noch nie so viel Geld zur Verfügung wie heute. An diesem Trend wird sich auch mittelfristig nichts ändern.“ Das stellte Lorenz Palte, Vorsitzender des Bundes der Steuerzahler, am Dienstag fest – und lag damit richtig. Tatsächlich sagt die Steuerschätzung, die Finanzsenator Andreas Dressel (SPD) kurz zuvor im Rathaus vorgestellt hatte, der Stadt für 2019 mit knapp 12,5 Milliarden Euro – das ist ein Plus von gut 250 Millionen Euro gegenüber der Herbstschätzung – die höchsten Steuereinnahmen aller Zeiten voraus.
Und sie sollen bis 2023 kontinuierlich weitersteigen. Auch Dressel betonte daher, dass der Senat sein „extrem ambitioniertes“ Investitionsprogramm mit neuen Schulen, Straßen, Wohnungen und einer neuen U-Bahn durchziehen könne und nicht sparen müsse: „Hamburg ist finanziell gut aufgestellt.“ Die andere Geschichte geht so: Im Vergleich zur Herbst-Steuerschätzung 2018 gehen die Einnahmen der Stadt erstmals seit Jahren wieder zurück, und zwar deutlich. Addiert man die Prognosen für dieses und die kommenden vier Jahre, ergeben sich Mindereinnahmen von rund 645 Millionen Euro.
Düstere Aussichten
Betrachtet man nur die Jahre 2020 bis 2023, sind es sogar 900 Millionen Euro weniger. Das sei schon „finanzpolitisch zu berücksichtigen“, sagte Dressel. Dass für das Jahr 2023 eine Deckungslücke von 14 Millionen Euro prognostiziert wird, zeige, „dass sich die Großwetterlage etwas verändert hat“. Schließlich kommt die Stadt seit 2014 ohne Neuverschuldung aus und hatte zuletzt Überschüsse von rund einer Milliarde Euro pro Jahr erzielt.
Angesichts dieser düsteren Aussichten stellte Dressel mit Blick auf den Wahlkampf zur Bürgerschaftswahl 2020 klar, dass ihm niemand mit neuen Ausgabewünschen kommen brauche: „Es gibt keinen Spielraum für Mehrausgaben.“ Dass er vorerst nicht kürzen müsse, liege an „der vorsichtigen Art, wie wir Finanzpolitik machen“. So seien für den Senat nicht kurzfristige Einnahmeerwartungen maßgebend, sondern der langfristige Steuertrend.
Wie berichtet, leitet der Senat diesen Trend aus den tatsächlichen Einnahmen der vergangenen 14 Jahre ab und plant seine Haushalte auf dieser Basis. Sind die Einnahmen dann höher – wie in den vergangenen Jahren –, werden die Mehreinnahmen in der „Konjunkturposition“ verbucht, eine Art bilanzieller Puffer für schlechte Zeiten. Dressel verwies darauf, dass diese Position in den kommenden Jahren auf mehr als fünf Milliarden Euro anwachse. Damit sei die Stadt „gewappnet für mögliche konjunkturelle Eintrübungen“.
CDU: „Warnsignal für den Finanzsenator“
Auch bei der Interpretation der Zahlen gingen die Meinungen auseinander. „Die Steuerschätzung ist ein Warnsignal für den Finanzsenator“, sagte Thilo Kleibauer (CDU). „Die Phase stark steigender Steuereinnahmen ist vorbei, und die konjunkturellen Bremsspuren werden deutlich sichtbar. Jetzt rächt sich, dass der Senat die letzten Jahre Haushaltspolitik nach Kassenlage gemacht hat.“ Ähnlich äußerte sich Jennyfer Dutschke (FDP): „Die Mai-Steuerschätzung zeigt, dass dunkle Wolken am Konjunkturhimmel aufziehen.“ Dennoch forderte sie Entlastungen der Bürger bei der Grunderwerbsteuer oder bei der Grundsteuer.
Während Dressel das ablehnt, hält Dutschke es für möglich, „ohne dass der Haushalt aus den Fugen gerät“. Andrea Oelschläger (AfD) warnte: „Rot-Grün darf die konsumtiven Ausgaben jetzt nicht weiter erhöhen.“ Investitionen und Infrastruktur dürfe der Senat aber nicht vernachlässigen. Norbert Hackbusch (Linke) betonte hingegen die positive Seite der Steuerschätzung: „Es gibt für den Senat keinen Grund, weitere Kürzungen durchzuführen. Die gegenwärtigen und geplanten Ausgaben für die Sanierung von Gebäuden, Straßen und Brücken können nicht reduziert werden, ohne dass der Sanierungsstau noch länger wird.“
„Große Vorhaben im Bildungsbereich“
SPD und Grüne strichen dagegen die Seriosität ihrer Haushaltspolitik heraus. „Es gibt keinen Grund, nun übermäßig besorgt zu sein“, sagte Farid Müller (Grüne). „Wir haben in den vergangenen Jahren gut vorgesorgt und sind durch umsichtige Haushaltspolitik solide aufgestellt.“ Gleichwohl räumte er ein, dass die Einnahmen nicht mehr so üppig sprudeln: „Aber – und das ist ein großes Aber – sie sprudeln trotzdem noch.“
Auch Jan Quast (SPD) sieht Hamburg finanziell weiter gut gerüstet. Die Steuerschätzung mahne aber auch zur Vorsicht: „Neben den großen Vorhaben vom Bildungsbereich bis hin zum Schnellbahnausbau, mit denen wir der positiven Entwicklung unserer Stadt Rechnung tragen, empfiehlt es sich, mit neuen kostspieligen Projekten sehr zurückhaltend zu sein.“