Hamburg. Der Bundesvorsitzende der Grünen über Hamburger Koalitionsaussagen, Klimaziele und die Chancen bei der Europawahl am 26. Mai.

Ja, es ist Wahlkampf, aber Robert Habeck ist schon weiter. Über Ostern war er mit dem Rad in Brandenburg unterwegs. Im September wird dort ein neuer Landtag gewählt. Die Grünen hatten bisher nicht viel zu melden. Ob das nach der Radtour anders ist, bleibt vorerst unklar. Klar ist: Habeck hat eine gesunde Gesichtsfärbung bekommen.

Hamburger Abendblatt: Herr Habeck, die Europawahlplakate der Grünen kommen uns seltsam vor. Einer ihrer Slogans lautet: „Kommt der Mut, geht der Hass.“ Was hat das mit Europa zu tun?

Robert Habeck: Bei der Wahl werden zwei Fragen verhandelt. Fällt Europa auseinander und können die Parteien, die im Wesentlichen mit Hass und mit Ausgrenzungsparolen arbeiten, die europäische Politik dominieren? Und: Treiben wir jetzt die nötigen Veränderungen voran, damit Europa die Krisen, allem voran die Klimakrise meistern kann? Dafür setzen wir auf ein gestaltendes, an der europäischen Einheit festhaltendes und optimistisches Politikverständnis. Also Mut und europäisches Selbstbewusstsein an die Stelle von Verdruckstheit.

Viele andere Parteien, gerade in Deutschland, halten ebenfalls an der europäischen Einheit fest.

Robert Habeck: Zum Glück sind Union, SPD und Liberale mit uns in dieser Grundsatzfrage einig. Aber dafür muss man auch was tun. Und das sehe ich nicht. Die große Koalition hält ängstlich am Status Quo fest, aber verschärft so die Probleme. Die Union schwimmt in der Klimapolitik, sie hat keinen konkreten Vorschlag, wie sie die Klimaziele wirklich erreichen will und tut nichts dafür. Die SPD redet von Steuerfairness, blockiert aber auf EU-Ebene eine Mehrwertsteuerrform, mit der sich ein Milliardenbetrug eindämmen ließe. Und wo ist der Kampf für eine Digitalkonzernsteuer?

Umfragen sagen, dass die Grünen bei der Europawahl ihre Stimmenanteile verdoppeln könnten. Woran liegt das?

Robert Habeck: Vielleicht, weil wir uns nicht allzu sehr mit uns selbst beschäftigen, sondern Antworten für die gesellschaftlichen Fragen suchen. Und das bewusst leidenschaftlich und optimistisch. Hinzu kommt, dass unsere Kernthemen in ihrer Dringlichkeit ganz stark in das gesellschaftliche Leben eingedrungen sind. Es ist die Zivilgesellschaft, die hier aufsteht und sagt, tut etwas gegen das Artensterben und die Klimakrise, handelt.

Im Klimaschutz werden sie gerade von „Fridays for Future“ überholt. Die werfen den Grünen vor, viel zu zögerlich zu agieren und sich mit „kleinen Justierungen“ zu begnügen. Was sagen Sie dazu?

Robert Habeck: Die Schülerinnen und Studentinnen von „Fridays for Future“ fordern zurecht von Politikerinnen und Politikern, macht mehr, die Zeit läuft uns davon. Und wir sind zwar der grünste Teil der Politik, aber eben auch Teil der Politik. Deshalb ist es wichtig, dass wir die Demonstrationen selbst als Stachel in unserem Fleisch spüren, und als Ansporn sehen. Wichtig ist, jetzt in die Gänge zu kommen. Und dafür sollten wir uns vor allem darauf konzentrieren, was 2019, 2020 und 2021 notwendig ist: nämlich 13 Kohlekraftwerksblöcke abzuschalten. Und das ist übrigens vor allem ein Auftrag an die Bundesregierung: Wenn die Kanzlerin Klimaneutralität bis 2050 will, auch gut, aber wenn es um darum geht, was man jetzt dafür tut: Schweigen im Walde. Und da können „Fridays for Future“ und die Grünen eine strategische Allianz eingehen.

Sie selbst haben vor der letzten Bundeswahlwahl gefordert, dass ab 2030 nur noch emissionsfreie Autos zugelassen werden.

Robert Habeck: Genau. Und dafür wurden die Grünen verdroschen. Aber seitdem hat sich das Blatt gewendet. Heute hoffen wesentliche Teile Automobilindustrie, dass es noch schneller geht. Sie hoffen, dass die großen Investitionen, die sie jetzt planen, nicht politisch konterkariert werden, indem zu wenig Klimaschutz gemacht wird oder die keine oder falsche Leitlinien gesetzt werden.. Alle deutschen Automobilkonzerne wissen, dass alles in Richtung E-Mobilität fährt, und sie sich anstrengen müssen, hinterherzukommen. Wenn die Politik sagen würde, Klimaschutz sei doch nicht so wichtig, dann wären das alles Fehlinvestitionen. Und das kann sich die Automobilindustrie nicht leisten.

Welche Leitlinien meinen Sie?

Robert Habeck: Es braucht den politischen Beschluss, dass bis 2030 nur noch emissionsfreie Fahrzeige zugelassen werden. Fossile Energien müssen teurer werden. CO2 braucht einen Preis, damit man mit Klimaschutz Geld verdienen kann. Bei der Kfz-Steuer brauchen wir ein Bonus-Malus-System, bei dem rein elektrische Fahrzeuge weniger zahlen oder keine, Spritschlucker mehr. Dazu kämen ein massiver Ausbau der Lade-Infrastruktur. Die Automobilindustrie braucht da jetzt eine Ansage. Aber aus dem Verkehrsministerium gibt es dazu derzeit nur beredtes Schweigen.

Ist diese Verkehrswende nicht Wunschdenken? Hamburg meldet gerade eine neue Rekordzahl an zugelassenen Kraftfahrzeugen. Von den rund 800.000 Pkw werden gerade einmal 2400 rein elektrisch angetrieben.

Robert Habeck: Verkehrswende sieht anders aus, das ist richtig. Aber gerade deshalb müssen wir ja die genannten Leitlinien ziehen. Die Klimazielen ergeben sich aus internationalen Verpflichtungen, die wir eingegangen sind. Und sie sind erreichbar. Es geht hier nicht um Wünsche. Es geht um Pflichten.

Der BUND hat gerade gefordert, in Hamburg den Klimanotstand auszurufen. Ist das eine sinnvolle Maßnahme?

Robert Habeck: Ich mag das Wort nicht, das erinnert an Notstandsgesetzgebung, an Aushebelung der Demokratie. Wir brauchen Klimaschutz gerade, damit unsere Kinder und Enkelkinder ein Leben in Freiheit und Würde führen können. Was aber der Begriff zeigt, ist die große Dringlichkeit. Im Prinzip müssen sich alle Entscheidungen am Klimaschutz messen, also ein Klimavorbehalt, der sich durch alle Gliederungen des Staates zieht.

Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher hat den Klimaschutz zu einem Topthema für seine Partei erklärt. Nützt es den Grünen eher, wenn andere Parteien ihre Kernthemen übernehmen, oder schadet es?

Robert Habeck: Das ist nicht meine Frage. Ich bin zwar Parteivorsitzender, aber wir halten uns von diesem taktischen Denken, was nützt uns, möglichst fern. Die Klimakrise ist die entscheidende Aufgabe der Zeit. Deswegen sind alle Parteien willkommen, sich für den Klimaschutz, die Energieeinsparung und den Artenschutz einzusetzen.

Sie erheben keinen Anspruch auf das Copyright...

Robert Habeck: Nö. Alle dürfen gern abschreiben. Man sieht daran, dass man diesem Thema nicht mehr ausweichen kann. Das hätte auch ich noch vor einem Jahr nicht gedacht. Aber wenn es konkret wird, lösen sich die Klimabekenntnisse in Wohlgefallen auf. Ein Beispiel: Die Bundesregierung hat jetzt ein Klimakabinett, das irgendwie übers Klima redet. Aber mit dem Gesetzentwurf zum Kohleausstieg kommt sie nicht rüber, den haben dann die Grünen vorgelegt.

Vermutlich liegt das daran, dass man sich nicht einig ist.

Robert Habeck: Ja. Und daher kommt die Koalition null voran.

Auch in Hamburg profitieren die Grünen vom bundesweiten Höhenflug. Wie groß ist der Eigenanteil der Hamburger Grünen an dem demoskopischen Aufwind?

Robert Habeck: Wenn ich es richtig sehe, waren die Hamburger Grünen schon stark, bevor der bundesweite Aufwind für uns begann. Die Hamburger Grünen haben extrem gute Leute. Ich kenne Katharina Fegebank, Anjes Tjarks, Jens Kerstan, Till Steffen, Anna Gallina aus der Zusammenarbeit seit vielen Jahren. Sie haben ja bewiesen, dass man ihnen eine solche Stadt anvertrauen kann

Zuletzt lagen die Hamburger Grünen in Umfragen zur Bürgerschaftswahl klar über 20 Prozent, die SPD über 30 Prozent. Sollte Spitzenkandidatin Katharina Fegebank im Februar 2020 als Bürgermeisterkandidatin antreten?

Robert Habeck: Die Konzentration geht im Augenblick ganz auf die aktuellen Wahlkämpfe, und nicht darauf, wer was werden kann. Dass die Hamburger Grünen bereit zu Verantwortung sind, haben sie ja in der Regierung gezeigt.

Die Hamburger SPD verzichtet bislang auf eine Koalitionsaussage zugunsten der Grünen. Passt das zum Bild einer Koalition, die für sich in Anspruch nimmt, erfolgreich zu arbeiten?

Robert Habeck: Das stört mich nicht. Wir sind ja selbst eine Partei, die ihre Eigenständigkeit über die letzten zehn Jahre entwickelt hat. Wir regieren gern zwar mit der SPD, verstehen uns aber nicht mehr als ökologischen Arbeitskreis der SPD.

Sie sind Jamaika-erfahren aufgrund Ihrer Ministerzeit in Schleswig-Holstein. Ist ein solches Bündnis auch eine Option für Hamburg?

Robert Habeck: Wir hätten in Schleswig-Holstein in der Küstenkoalition mit SPD und SSW weitergemacht, wenn es eine Mehrheit gegeben hätte. Jamaika war in gewissem Sinne eine Notwendigkeit, weil alle anderen Parteien alles andere ausgeschlossen haben. Wir haben uns nicht an dieser Ausschließerei beteiligt, weil Demokratie sonst handlungsunfähig unfähig wäre-. Deswegen haben wir uns darauf eingelassen und versucht, etwas Vernünftiges hinzubekommen. Das ist auch gelungen, bei aller Arbeit.

Zurück zu Europa. Wir groß ist Ihrer Ansicht nach die Gefahr, dass nach der Europawahl ein rechter Block im Parlament die Arbeit blockieren könnte?

Robert Habeck: Auch wenn Umfragen einen Zuwachs rechten Block sehen: Wichtiger ist die Frage, ob die proeuropäischen Parteien eine Gegenbewegung auslösen können. Bei der bayrischen Landtagswahl ist die AfD zwar auch stärker geworden, aber das klare Signal an diesem Wahlabend war: Die Kräfte, die für Zusammenhalt stehen, haben zugelegt. Wenn es bei der Wahl gelingt, dass die proeuropäischen Kräfte ein Mandat bekommen, Europa weiterzuentwickeln, dann sind die Rechten zwar immer noch da, dann sind sie immer noch ein Stachel im Fleisch, aber sie lähmen nicht die Politik.

Daniel Cohn-Bendit fordert, dass die Grünen im Europaparlament eine Fraktion mit Macrons En Marche bilden sollten. Liegt er richtig?

Robert Habeck: Wir werden eine Fraktion mit den anderen Grünen aus Europa bilden. Wir wollen die stärkste europäische Grünen-Fraktion bekommen, die wir je hatten. Und dann werden wir bei der Wahl der Kommissionspräsidentin oder des Kommissionspräsidenten ein entscheidendes Wort mitzureden haben. Dafür werden wir mit allen proeuropäischen Kräften reden, sicher auch mit Macrons Leuten reden und schauen, ob und was geht. Im Übrigen wäre es wirklich mal Zeit für eine Frau an der Spitze der Kommission.

Anfang des Jahres sind Sie Opfer eines Hackerangriffs geworden. Danach haben Sie Ihre Twitter- und Facebook-Aktivitäten beendet. Welche Folgen hatten Datenklau und Rückzug?

Robert Habeck: Der Folgen dieses Datenklaus kann ich mir noch nicht so richtig auffächern. Ich merke, dass ich reservierter bin, wenn es darum geht, von mir als Mensch zu erzählen. Das alles war unangenehm und wirkt fort. Den Verzicht auf Facebook und Twitter habe ich nie bereut. Ja, ich habe ein begehrtes Kommunikationsmittel aus der Hand gegeben. Aber ich habe dadurch Zeit gewonnen, um mich um Langstreckentexte zu kümmern.