Hamburg. Früher gab es hier Grünflächen, Parkplätze und Ladenzeilen. Jetzt werden im Komponistenviertel 150 Wohnungen gebaut.

Wer lange nicht mehr durch die Beethovenstraße im Komponistenviertel gefahren ist, erschrickt. Wegen massiver Nachverdichtung ist die Straße kaum wiederzuerkennen. Zwischen Winterhuder Weg und Bachstraße gab es bislang auf der linken Straßenseite Grünflächen, Parkplätze und niedrige Ladenzeilen. Jetzt sind dort sechsgeschossige Wohnblöcke in die Höhe geschossen.

Zwischen Winterhuder Weg und Humboldtstraße wurde bereits ein Gebäude mit 18 Mietwohnungen bezogen, unmittelbar daneben entsteht eines mit 39 Eigentumswohnungen. Von der Humboldtstraße bis Schumannstraße erstreckt sich ein Haus mit 28 öffentlich geförderten Seniorenwohnungen, der bald fertiggestellt ist. Dahinter, zwischen Schumannstraße und Bachstraße, wächst ein Gebäude mit weitere 34 Eigentumswohnungen in die Höhe.

Schon bald wird die Neubaureihe weiter wachsen. Zwischen Bach- und Flotowstraße, auf einem Grundstücksteil des SV Adler-Uhlenhorst, ist ein weiterer Wohnblock geplant – mit 50 Sozialwohnungen, einer Kita im Erdgeschoss sowie einem Durchgang zum Fußballplatz und dem neuen Vereinshaus. Das alte vorne an der Straße wurde, ebenso wie die benachbarte Kita und die Gewerberiegel, für die neue Bebauung abgerissen.

Enge und Verschattung

Im Umfeld der Baustellen machen sich Ärger und Besorgnis breit. „Unsere Kunden sind entsetzt über die Enge und die Verschattung, die durch die Neubauten in der Beethovenstraße entstehen“; sagt die Mitarbeiterin einer Bäckerei auf der anderen Straßenseite. Axel M., der hier regelmäßig einen Kaffee trinkt, fürchtet zudem, dass die zunehmende Gentrifizierung des Viertels auch bei ihm die Miete in die Höhe treiben wird. „Ich weiß nicht, wo ich dann hin soll“, sagt der 56-Jährige, der wegen Krankheit arbeitsunfähig ist, resigniert.

Sielbau und Neubauten: Blick von der Kreuzung Bachstraße in die Beethovenstraße.
Sielbau und Neubauten: Blick von der Kreuzung Bachstraße in die Beethovenstraße. © HA | Michael Rauhe

Der frühere Elektroinstallateur hat sein ganzes Leben im Komponistenviertel verbracht. 40 Jahre wurde dieser Winkel von Barmbek-Süd kaum beachtet.

M. kann sich noch gut daran erinnern, wann sich das geändert hat. „Schlachter Geißler hat vor einigen Jahren sein Haus an der Mozartstraße verkauft. Dort sind dann mehr als 30 schicke neue Wohnungen entstanden.“ Weitere Neubauten folgten, dazu wurden Mietwohnungen in Eigentumswohnungen umgewandelt. „Mittlerweile wohnt hier kaum noch jemand von früher“, so M., der kürzlich beim MietenMove gegen die immer teureren Mieten protestiert hat, „es ist ihnen einfach zu teuer geworden.“

Struktur des Viertels verändert sich

Klaus Jankowsky, ebenfalls Kunde in der Bäckerei, hat die Auswirkungen der Gentrifizierung bereits selbst zu spüren bekommen. Das Haus, in dem der gelernte Tischler und studierte Diplom-Ingenieur seit mehr als 30 Jahren einen Laden betreibt, wurde verkauft; der neue Eigentümer hat bereits versucht, ihm zu kündigen. „Früher gab es hier viele Künstler und Kreative, die sind schon fast alle weg“, so Jankowsky. „Durch die steigenden Mieten verändert sich die ganze Struktur des Viertels.“

Mit dem Neubau an der Ecke Humboldt-/ Mozartstraße fing vor einigen Jahren die Bautätigkeit im Komponistenviertel an.
Mit dem Neubau an der Ecke Humboldt-/ Mozartstraße fing vor einigen Jahren die Bautätigkeit im Komponistenviertel an. © HA | Michael Rauhe

Das betrifft auch die Lebendigkeit im Viertel, findet die Fotografin Anja Paap aus der Mozartstraße. Denn viele Geschäfte, die es früher hier gab, sind mittlerweile verschwunden. „Die Neubauten haben keine Ladenflächen mehr im Erdgeschoss“, sagt sie. „Das hat zur Folge, dass sich auf den Straßen weniger Leben abspielt.“ Sie selber wollte den Nachbarladen anmieten, um ihr Fotostudio zu erweitern und auf einem Teil der Fläche ein kleines Café zu eröffnen. „Das wurde mir vom Vermieter verwehrt. Stattdessen ist dort ein Brautmodengeschäft eingezogen“, so Paap, die mit ihrem Studio daher demnächst nach Uhlenhorst zieht

Bezirk will Soziale Erhaltungsverordnung

„Wir sind nicht zufrieden mit dem, was gerade im Komponistenviertel passiert“, sagt Frank Lundbeck vom Stadtteilbeirat Barmbek-Süd. So habe es Verschattungsstudien für die Neubauten an der Beethovenstraße gegeben, die von Bezirksseite im Zuge der Abwägung „einfach beiseite gewischt“ worden wären. Außerdem gingen durch die Neubauten zahlreiche Parkplätze in dem sehr dicht besiedelten Wohngebiet verloren – was Bewohner und Gewerbetreibende gleichermaßen belaste. „Wir haben nichts gegen Nachverdichtung einzuwenden. An der Beethovenstraße konnte und musste gebaut werden. Aber wir hätten uns hier mehr Augenmaß gewünscht“, sagt Lundbeck, der sich seit zehn Jahren im Stadtteil engagiert.

Offenbar haben die Entwicklungen der jüngsten Vergangenheit auch die Politik aufmerksam gemacht. Gerade hat die Bezirksversammlung von Hamburg-Nord beschlossen, den Erlass einer Sozialen Erhaltungsverordnung in die Wege zu leiten, um die Menschen in Barmbek-Süd vor Luxusmodernisierungen und Verdrängung zu schützen.

Weder Parkplätze noch Ladezone

Mehmet Baruc und Anna Demir vom Getränkemarkt beklagen die Vernichtung von Parkplätzen.
Mehmet Baruc und Anna Demir vom Getränkemarkt beklagen die Vernichtung von Parkplätzen. © HA | Michael Rauhe

Darunter, dass viele Stellflächen an der Beethovenstraße weggefallen sind, leidet besonders der Getränkemarkt an der Ecke Humboldtstraße. „Unsere Kunden bleiben aus, weil sie keinen Parkplatz mehr finden, und weil es keine Ladezone mehr gibt, haben auch unsere Lieferanten Schwierigkeiten“, sagen die Mitarbeiter Mehmet Baruc und Anna Demir. Da der Getränkemarkt gleichzeitig eine Abholstation ist, sind auch Paketzusteller von der Parkplatznot betroffen. „Auch wer sein Auto nur kurz abstellt, bekommt sofort einen Strafzettel. Die Polizei hat überhaupt kein Verständnis für unsere Ausnahmesituation“, sagt Anna Demir.

Für die Menschen, die über dem Getränkemarkt wohnen, ist die Situation besonders prekär: Nur wenige Meter vor ihren Balkonen erhebt sich der neue Wohnblock für Senioren. Lundbeck kennt eine Familie, die wegen der Verschattung wegziehen wollte. „Sie haben keine bezahlbare neue Wohnung gefunden und mussten daher bleiben“, sagt er.

„Es ist hier wirklich stark nachverdichtet worden“, gibt auch Projektentwickler Mats Borgwardt zu. Gleichzeitig verweist er darauf, dass er durch den Bau von öffentlich geförderten Seniorenwohnungen und den Sozialwohnungen günstiges Wohnen im Viertel ermögliche. „Die Nachfrage nach den barrierefreien Seniorenwohnungen ist riesig und kommt überwiegend aus der Nachbarschaft. Diese Interessenten werden bei der Vergabe bevorzugt.“

Die beiden Wohnhäuser mit den Eigentumswohnungen, die passend zum Viertel „Pianosuites“ heißen, werden von Günther Franke Gruber Bauherren errichtet. Auch hier sei die Nachfrage enorm, heißt es aus dem Unternehmen.

Sielbauarbeiten bis Ende 2021

Rund drei Jahre hat es gedauert, bis 2016 der Bebauungsplan Barmbek-Süd 37 festgelegt wurde, der unter anderem den Anteil von mindestens 50 Prozent Sozialwohnungen vorschrieb. Zuvor waren die schmalen Baufelder am Straßenrand als Straßenerweiterungsflächen im Besitz der Stadt gewesen. Schon Ende 2020 könnten alle 150 neuen Wohnungen bezogen sein. Bis dahin sind auch die Sielbauarbeiten abgeschlossen, die die Bewohner des Komponistenviertels zusätzlich zu den Neubaumaßnahmen belasten.

Weil Hamburg Wasser derzeit ein altes, 1,1 Kilometer langes Regen- und Abwassersiel austauscht, sind die Kreuzungen Bachstraße/ Beethovenstraße und Bachstraße/ Mozartstraße derzeit für alle Verkehrsteilnehmer nur eingeschränkt nutzbar. In diesem Zusammenhang musste auch die Bushaltestelle Mozartstraße (Linien 172 und 173) verlegt werden. Sie wird erst im Oktober 2021 wieder angefahren.