Hamburg. Ehemalige Absolventen gratulieren Hamburgs größter Hochschule zum Jubiläum und schildern ihre persönlichen Erfahrungen.

Die Universität Hamburg feiert ihr 100-jähriges Bestehen heute mit einem großen Festakt, zu dem Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble, Astronaut Alexander Gerst und Komiker Otto Waalkes kommen. Alle drei sind Alumni der Universität. Auch viele Hamburger haben an der Hochschule ihrer Heimatstadt studiert – und uns ihre Erinnerungen an die Studienzeit zugesandt. Sie reichen vom Sommer 1940 bis in die 1980er-Jahre hinein. Die ehemaligen Studenten erzählen von schwierigen Bedingungen in der Nachkriegszeit und dem Aufbruch in den 1960er- und 1970er-Jahren. Von Vorlesungen im „Hörsaal G“, einer Kneipe um die Ecke, und einem Professor, der im heißen Sommer mit nacktem Oberkörper lehrt

Prüfung am Tag des Kriegsendes

Schon nach elf Schuljahren, im Alter von 17, begann ich im Sommer 1940 mein Studium an der Hochschule für Lehrerbil­dung. Es war Krieg. Die Ausbildung hatte man auf drei Semester verkürzt, da die Männer im Kriegseinsatz waren, und für die neu­ besetzten Ostgebiete benötigte man viele Lehrer. Meinem Studienbuch entnehme ich, dass wir über 40 Wochen­stunden belegen mussten, dazu kamen sonnabends drei Stun­den Schulpraktikum und Vorbe­reitungen. Der „Pflichtsport“ begann morgens um 6.30 oder 7.30 Uhr, weil danach die Sportanlagen von den Schulen genutzt wurden. In den Seme­sterferien unterrichteten wir. Ich musste noch täglich zwei bis drei Stunden Fahrzeit einplanen, die sich dann im Laufe des Krieges durch Fliegeralarm, Bombenangriffe und Bahnausfälle oft auf fünf bis sechs Stunden erhöhte.

Wie sah es damals in den Hörsälen aus? Studenten fehlten ganz. Überall fand man noch freie Plätze, selbst in den Seminaren und Bibliotheken. Weil manche Professoren im Kriegsdienst waren, wurden im Verzeichnis einige Vorlesungen einfach gestrichen.

Nach dem Sommersemester 1944 konnte ich mich zum Ersten Staatsexamen melden. Geplant war, im Frühsommer 1945 fertig zu sein. Fliegera­larme und Angriffe gab es jede Nacht. Die Züge fuhren nur noch unregelmäßig. Man war nie ausgeschlafen, fror in den wenig beheizten Räume, und der Magen knurrte. Schon kamen die Flüchtlingsströme aus dem Osten. Zu Hause wur­den 14 fremde Menschen einquartiert. Es gab keinen ruhigen Platz zum Arbeiten mehr.

Meine Hausarbeit gab ich im Februar 1945 ab. Da bei einem Fliegerangriff die Fensterschei­ben im Institut zerbrochen wa­ren, musste ich meine erste Klausur in der Wohnung des Professors schreiben, der gerade Vater geworden war und dessen Frau neben mir das schreiende Baby fütterte. Die zweite Klausur schrieb ich in einer Zelle des Luftschutzkellers im Völkerkun­demuseum, bei der dritten gab es Startschwierigkeiten: Mein Professor war erkrankt und hat­te mich vergessen. Ich ging in seine Wohnung, erklärte seiner Frau mein Anliegen, erhielt dann aus dem Krankenzimmer mein Thema und ging damit zum Institut. Inzwischen hatten wir Anfang April 1945.

Die Engländer stan­den schon in der Lüneburger Heide. Am 25. April war die erste mündliche Prüfung in Geschichte; von der Oberelbe war das Sprengen der Brücken zu hören. Meine zweite Prüfung fand am 1. Mai 1945 statt. In der Nacht vorher hatte Hitler sich das Leben genommen. Ich erinnere nur, dass ich an diesem Morgen durch die Kellertür in die Schulbehörde gelangte und der Schulsenator, der am Tage vorher aus dem Krieg gekommen war, bei meiner Prüfung in Offiziersuniform zuhörte. Die dritte Prüfung (Philosophie) war auf den 3. Mai angesetzt. Das war der Tag, an dem die Engländer in Hamburg einmarschierten.

Inzwischen war bekannt geworden, dass der Krieg am 8. Mai endgültig aus sei. Die Frage „Wollen Sie unter diesen Umständen Ihr Examen abschließen?“ konnte ich nur mit „Ja!“ beantworten. Mein letzter Prüfungstag war der Tag, an dem der Zweite Weltkrieg zu Ende war. Lisa B., 97 Jahre

Studienstart direkt nach dem Krieg

Die Bedingungen, unter denen man unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges zwischen dem Sommersemester 1946 und dem Wintersemester 1952/53 studierte, sind heutzutage nur schwer vorstellbar. Als Bewerber für einen Studienplatz in Anglistik, Germanistik und Geschichte hatte ich zunächst zur Kenntnis zu nehmen, dass mein 1944 staatlich bescheinigter „Reifevermerk“, der den Angehörigen des Geburtsjahrgangs 1925 anstelle des Abiturzeugnisses zugestellt wurde, als Bewerbungsgrundlage keine Gültigkeit habe. Jener „Reifevermerk“ wurde mir, der ich als verwundeter Soldat und Oberstufenschüler in einem Lazarett östlich von Königsberg langfristig bettlägerig war, behördlich zugestellt.

„Sie müssen zunächst an einem Vorsemester teilnehmen“, hieß es im August 1945 vonseiten der Universität – „mit Genehmigung der Militärregierung“. Die Auskunft Erteilenden saßen in einem Büro, das sich „Quästur“ nannte. Ich erinnere, dass mich, den ehemaligen „Kaifu-Schüler“, das Wort beeindruckte. Das genannte Vorsemester, ein halbjähriger Kursus, hatte das Ziel, den aus der NS-Zeit stammenden „Reifevermerk“ in ein reguläres Abiturzeugnis umzuwandeln.

In meinem Fall war es das Gebäude des Gymnasiums St. Georg an der Bülaustraße, das ich im Winter 1945/46, einem extrem frostigen Zeitabschnitt, hungernd und frierend täglich aufzusuchen hatte, um nach zweieinhalbjähriger Zwangspause noch einmal am Schulunterricht in den Fächern Deutsch, Englisch, Latein und Mathematik teilzunehmen. Täglich fuhr ich also mit öffentlichen Verkehrsmitteln von Fuhlsbüttel, wo ich damals unzulänglich in einer Dachkammer als „Ausgebombter“ wohnte, bis zum Hauptbahnhof, von wo ich, vor Kälte schlotternd, durch die Lange Reihe marschierend, das genannte Schulgebäude erreichte, das nur unzulänglich beheizt war.

In meiner Erinnerung leben vorzügliche Gymnasiallehrer, die es verstanden, ihre „Schüler“, von denen etliche Offiziersrang bekleidet hatten und auf schreckliche Erfahrungen zurückblicken konnten, anzusprechen, sie zu interessieren und fachgerecht zu fördern. Zum Anschluss an den Vormittagsunterricht suchte man ein Lokal in der Langen Reihe auf, das in einer Art Halbkeller eingerichtet war. Dort gab es eine dünne, aber warme Suppe und einen warmen, aber alkoholfreien Grog.

Das „Vorsemester“ fand seinen positiven Abschluss: Ich wurde zum Sommersemester 1946 als Student der philosophischen Fakultät zugelassen. Der 21 Jahre alte Student traf für seinen Studiengang Entscheidungen, bei denen niemand ihn beriet. Er erlangte gesprächsweise etliche Ratschläge, folgte im Wesentlichen aber seinen Interessen und Neigungen. Ein Kontrollsystem oder Leistungsnachweise gab es nicht. Es gab allenfalls Rückmeldungen zum Beispiel im Falle gehaltener Referate. Natürlich wusste man, wer die Ordinarien in den jeweiligen Fakultäten waren. Doch von einem streng durchorganisierten Lehrbetrieb konnte keine Rede sein. Noch immer nahm das humboldtsche Ideal der akademischen Freiheit einen hohen Rang ein. Der Wochenplan war in den meisten Fällen vollgestopft und kaum zu bewältigen. Alle taten zu viel. Aufbruch nach dem Kriege, Hunger nach Erkenntnis und Neuem nach langer Durststrecke – das beseelte die Nachkriegsgeneration der Studenten an der Hamburger Universität.

Das englische Seminar, das von Emil Wolff geleitet wurde, war untergebracht in einer großbürgerlichen, aber sehr renovierungsbedürftigen Parterrewohnung in der Rothenbaumchaussee Nr. 5. Der Umzug Anfang der 50er-Jahre in das Gebäude Rothenbaumchaussee, Ecke Moorweidenstraße, erschien als Weg in den Luxus.

Eine „Mensa“ als studentischen Restaurationsbetrieb gab es zwischen 1946 und dem Anfang der 1950er-Jahre gar nicht. Das Essen wurde in den späten 1940er-Jahren im Seminargebäude am damals sogenannten Bornplatz gegen Marken schöpfkellenweise ausgegeben von einer bescheidenen, freundlichen, weiß bekittelten Frau, die allgemein mit „Sophie“ oder „Fräulein Sophie“ angeredet wurde. Das Mensa-Essen bestand in der Regel aus Eintopfgerichten oder dünnen Suppen. Gerhard Nöthlich

Studentenproteste in den 1960er-Jahren – hier gegen die Polizeimaßnahmen in der Hamburger „Spiegel“-Redaktion.
Studentenproteste in den 1960er-Jahren – hier gegen die Polizeimaßnahmen in der Hamburger „Spiegel“-Redaktion. © picture alliance

Freundinnen fürs Leben gefunden

Wir drei hatten uns im Sommersemester 1958 kennengelernt beim gemeinsamen Rennen von den Vorlesungen im Uni-Hauptgebäude zu den Seminaren in einem Gebäude am Bornplatz. Wir – das sind Renate (Latein und Englisch), Christl und ich (beide Latein und Evangelische Theologie). Von diesem Zeitpunkt an waren wir schier unzertrennlich, paukten zusammen für das Graecum, für das Philosophikum und das Pädagogikum, trösteten uns gegenseitig bei den verschiedensten Kümmernissen und teilten den Inhalt der Päckchen von daheim. Wir lauschten ehrfürchtig dem alten Herrn Bruno Snell, wir drängten uns zu den Studium-Generale-Vorlesungen von Richard v. Weizsäcker im Audimax, wir pilgerten zum bis auf den letzten Platz besetzten Michel, um die Predigten von Helmut Thielicke zu hören und waren begeistert von Paul Tillichs theologischen Ideen.

Wir warteten 1961 gespannt, wie Uwe Seeler auf einen Brief von Thielicke reagieren würde, in dem der Professor den Fußballstar bat, nicht für eine Riesengage nach Italien zu gehen, sondern als „uns Uwe“ in Hamburg zu bleiben. Wir bewunderten den Pragmatismus des Innensenators Helmut Schmidt während der Flutkatastrophe 1962. Für die Theologische Fakultät waren Christl und Meike damals geradezu Exoten und auch bei den Altphilologen gab es viel weniger Studentinnen als Studenten. Unsere Theologie-Professoren waren menschlich sehr zugewandt, die Altphilologen weilten eher im Olymp. Als sich unsere Wege nach dem Ersten Staatsexamen im Frühjahr 1963 trennten, waren wir für unser Leben „hanseatisch“ geprägt und blieben über 50 Jahre mal enger, mal lockerer miteinander verbunden. Meike Michaeli

In den Hörsälen der Universität geht es heute bunt zu.
In den Hörsälen der Universität geht es heute bunt zu. © picture alliance

Von der Universität in den Senat

Ich habe von 1954 bis 1956 an der „Akademie für Gemeinwissenschaft“ und von 1956 bis 1959 an der Uni Hamburg Volkswirtschaft studiert, 1966 dort promoviert. Als ich von 1974 bis 1982 Mitglied des Hamburger Senats war (u. a. Finanzsenator), waren zu meiner Zeit nicht weniger als vier Mitglieder ehemalige Absolventen der Akademie. Während dieser Zeit schlug ich der Uni-Verwaltung vor, die Büste des Gründungssenators Werner von Melle von der Abseitsstellung im Hauptgebäude auf meine Kosten in den Mittelpunkt des Eingangs zu versetzen. Das wurde abgelehnt! Immerhin war meine Anregung nicht vergebens: Die Bürste steht seitdem mit Blick vom Eingang her in die Garderobe im Mittelpunkt des Eingangs. Wilhelm Nölling, Senator a. D.

Karrierestart im Studentenkabarett

1962 gründete ich mit Michael Uhden, Peter Grande und Dieter Magburg das Studentenkabarett „Das faule Ei“. 1963 großer Auftritt im Audimax mit TV-Übertragung des NDR. Die Universitätsleitung half mir persönlich, am Sommerfest der Uni zu meinem Auftritt, da mein Vater den Auftritt verboten hatte. Eine Sekretärin kam in unsere Wohnung, um meinen Vater zu überzeugen, dass dieser Auftritt programmgemäß stattfinden muss, ohne mich würde das in keinem Fall gehen! Sie hat ihn überredet, allerdings mit der Auflage, dass ich um 22 Uhr zu Hause sein musste. Ich habe damals an der Studio-Bühne der Uni Hamburg (Leiter: Claus Peymann) als Schauspielerin mitgewirkt (mit Evelyn Hamann und Hans-Peter Korff), bin jetzt 74 Jahre alt und spiele immer noch! Brigitte Janner

Nachschlag, bitte! Essensausgabe in der Mensa der Universität in den 1960er-Jahren.
Nachschlag, bitte! Essensausgabe in der Mensa der Universität in den 1960er-Jahren. © Imago

Als die Studenten sich noch siezten

Als ich 1965 Abitur machte, gehörte ich zu den fünf Prozent Hamburgern, die zu dieser Elite gehörten. Wir hatten die letzten neun Jahre ordentlich aufgeteilt in den „Oberschulen für Jungen“ und „Oberschulen für Mädchen“ gelernt. Alle, die das Abitur bestanden hatten, konnten sich für jedweden Studiengang an einer beliebigen Universität Deutschlands einschreiben, nur Medizin hatte einen Numerus clausus. Wenige Tage nach dem Abitur stand ich in einer langen Schlange in der einschüchternden Halle des Universitätshauptgebäudes, um mich einzuschreiben. Erstmals würde ich mit Gleichaltrigen männlichen Geschlechts gemeinsam lernen. Ich wollte Jura studieren und wusste, dass von den Jurastudenten nur zehn Prozent weiblich waren.

In der Warteschlange siezten wir uns. Das war unter Studenten selbstverständlich („Entschuldigen Sie, wissen Sie, wo hier die Toiletten sind?“). Die Vorlesungen und Übungen fanden im neuen „Rechtshaus“ an der Schlüterstraße statt. In den Pausen strömten die Studenten hinüber ins „PI“, das Pädagogische Institut, wo die Ausbildung der „Volksschullehrerinnen“ stattfand. Vier Fünftel meiner Klassenkameradinnen hatten diesen Studiengang gewählt. Meine Jura-Kommilitonen zogen es vor, hier ihren Pausenkaffee zu trinken und Bekanntschaften zu machen. Uns wenige Jura-Studentinnen guckten sie nicht an, wir galten als unflott, nicht hübsch, streberhaft.

Sechs Jahre nach mir fing meine jüngere Schwester an zu studieren. Alles war 1971 anders als 1965. Die Studenten duzten sich, wohnten in Wohngemeinschaften und machten, was sie wollten. Ulrike Stapelfeldt

Eintritt in eine schöne neue Welt

Für mich war die Uni Hamburg 1960 der Eintritt in eine schöne neue Welt. Ich kam mit meinem Mann und unserem drei Monate alten Sohn über Berlin-Marienfelde im April 1960 in das Flüchtlingslager Finkenwerder. Hier lebten wir zunächst mit 13 Personen in einem mit grauen Decken abgehängten Raum. Nach einem halben Jahr bekamen wir einen Raum von acht Quadratmetern für uns – der beseligendste Umzug unseres Lebens.

Ich hatte 1959 mein Studium auf Lehramt an der Uni Rostock beendet und war bereits kurz als Lehrerin tätig. Hier in Hamburg wurde mein Studium nicht anerkannt. Da stand ich nun. Mein Mann fand auf der Deutschen Werft Arbeit. Wir hungerten nicht, aber der Winter war hart und ein warmer Mantel unerschwinglich. Ich fand Arbeit als Hilfskraft auf der Vereinsbank. Im Sommer 1960 arbeitete eine Studentin in derselben Abteilung, und wir stellten fest, dass sie mehr Geld erhielt als ich. Das traf meinen Stolz! Ich beschloss, noch einmal zu studieren.

Und an der Uni wurde mir jede Hilfe zuteil, die man sich vorstellen kann. Meine Situation war ja auch ziemlich prekär: Im Lager 8 Quadratmeter für uns drei, die Fahrt über den Rüschkanal mit der Fähre und dann weiter zur Uni sehr beschwerlich, einen Krippenplatz zu finden, fast aussichtslos. Aber die Dozenten unterstützten mich mit Rat und vor allem mit Tat. Das große Hindernis war für mich die völlig andere Lehr- und Lernsituation. In Rostock hatte ich einen Stundenplan mit Pflichtfächern (Gesellschaftskunde inbegriffen), 38 bis 40 Stunden die Woche; hier musste ich selbst entscheiden, was wichtig war. Bis heute (ich bin 80) war dieser Zwang zur Eigenständigkeit damals mein prägendstes Erlebnis. Margret Reimann

Universität – die große Freiheit

In der Erinnerung ist meine Studienzeit an der Hamburger Uni (Winter 1961 bis Sommer 1966) vor allem mit einem Gefühl großer Freiheit verbunden. Ich hatte am Mädchengymnasium Lerchenfeld mein Abitur gemacht und freute mich auf das zwanglose Studentinnenleben. Deshalb fand ich es äußerst skurril, dass die Mehrheit in meiner Klasse, der Schule gerade entronnen, bald als Lehrerinnen an die Schule zurückkehren wollte. Ich dagegen wollte Journalistin werden. Zuvor absolvierte ich auf Wunsch meiner Eltern eine Lehre zur Verlagskauffrau im Verlag Axel Springer. Doch dann lockte die Uni. Ich wollte den Magister machen. Die Fächerauswahl war faszinierend – ich entschied mich für Literaturwissenschaft als Hauptfach und Germanistik und Philosophie als Nebenfächer. Dafür musste ich jedoch erst mal das große Latinum nachholen.

Unterrichtet wurden wir von dem legendären blinden Professor Jensen, der uns erfolgreich durch die lateinischen Endlossätze lotste. Wie man eine Seminararbeit schreibt, Zitieren, Fußnoten und so weiter, zeigten mir die „älteren Semester“. Die Semestergebühren musste ich mir verdienen. Mein Vater besorgte mir eine Wohnung in Uni-Nähe. Dorthin lud ich meine Kommilitoninnen und Kommilitonen zu Diskussionskreisen ein.

Dabei ging es nicht nur um Literatur. Wir waren, unter dem Eindruck der Nazi-Verbrechen, eine sehr politische Generation und politisierten uns ab Mitte der 60er-Jahre immer mehr. Von der Elterngeneration forderten wir Antworten. Aber natürlich machten wir in meiner Wohnung auch Party – mit Musik der Rolling Stones und anderer Rockbands. Monika Buttler

Sehr modern: die Bibliothek der Rechtswissenschaften an der Universität, Hamburg.
Sehr modern: die Bibliothek der Rechtswissenschaften an der Universität, Hamburg. © Imago Stock

Pharmazie mit Spaß im Reinbeker Schloss

Ich habe von 1966 bis 1969 in Hamburg bzw. Reinbek Pharmazie studiert und mein Studium vor 50 Jahren mit dem Pharmazeutischen Staatsexamen abgeschlossen. Nach der Schule mit überwiegend alten Lehrerinnen und Lehrern, die ernst und humorlos waren, war mein Studium im Reinbeker Schloss die schönste Zeit, die ich als Lernende erleben durfte. Wir waren die Schlossgeister im alten, baufälligen Reinbeker Schloss, wo damals die Pharmazeutische Fakultät ausgelagert worden war. Natürlich haben wir sehr ernsthaft und zielorientiert studiert, aber der Spaß kam doch nie zu kurz. Gisela Pieper

Studium zwischen Hörsaal und Wickeltisch

1968 zogen mein Mann (damals 19 Jahre alt) und ich (18 Jahre alt) von Bremen nach Hamburg, um zu studieren. Ich musste allerdings noch das Abitur beenden, denn ich war inzwischen Mutter geworden. Dann begann mein aufregendes Medizinstudium, als ich mit meinem zweiten Kind schwanger war. Jeden Tag fuhr ich mit meinem hellblauen Käfer von Rahlstedt nach Eppendorf. Von Pavillon zu Pavillon wechselnd, konnte ich beim Gehen über das Gelände frische Luft schnuppern und ein wenig die Seele baumeln lassen. Wir trugen Jeans, Clogs und lange Haare, manche Kommilitoninnen aber Twin-Set, Perlenkette und ondulierte Frisuren.

Trotz des strengen Numerus clausus waren die Hörsäle überfüllt, sodass viele Studenten auf den Treppenstufen und Fensterbänken sitzen mussten. Als ich einmal während eines Vortrages in der Pathologie ohnmächtig wurde, brachte mich der Professor in sein Zimmer, eine Studentin musste meine Beine hochhalten, er schob mir ein Stück Schokolade in den Mund und fragte, wann ich zuletzt gegessen habe.


Ansonsten gab es aber keine studentische Betreuung und auch keine Kindergärten, dafür hatten wir aber eine eigene Mensa, in der ich mich nur selten aufhielt, denn nach Pflichtvorlesung und Pflichtseminar mit Anwesenheitskontrolle, eilte ich nach Hause, kaufte unterwegs die Lebensmittel für die Familie, kümmerte mich um den Haushalt und die Kinder. Jeden Abend war bei mir Lernen angesagt, auch zu Weihnachten und im Urlaub.

Mein Mann hatte es leichter. Keine Anwesenheitspflicht! Er wechselte von Betriebswirtschaft zu Mathematik und Physik und landete endlich bei Informatik. Wir beide stimmten unsere Stundenpläne aufeinander ab, sodass einer von uns immer die Kinder betreuen konnte. Im letzten Studienjahr bekam ich mein drittes Kind.
Manchmal gingen wir zu Demonstrationen. Unser ältester Sohn bandelte mit den vermummten Polizisten an und klopfte auf ihr Schutzschild. Wenn die ersten Steine flogen, entfernten wir uns schnell. Dr. Petra Gebhardt

Endzeitstimmung: das vom Krieg beschädigte Hauptgebäude der Universität an der Edmund-Siemers-Allee im April 1945.
Endzeitstimmung: das vom Krieg beschädigte Hauptgebäude der Universität an der Edmund-Siemers-Allee im April 1945. © UHH | UHH

Pädagogikstudium als Befreiung

Ich habe von 1969 bis 1973 an der Uni Hamburg im Fachbereich Erziehungswissenschaften studiert. Direkt nach dem Abitur, von einem Jungen-Gymnasium kommend, habe ich die Atmosphäre und Arbeitsweise an der Universität als sehr offen und frei erlebt. Für meine Orientierung in diesem neuen Lernumfeld mit gleichgesinnten jungen Studentinnen und Studenten habe ich fast das erste Semester gebraucht. Das Studium der Erziehungswissenschaften war zu dieser Zeit sehr von sozialen, psychologischen und politischen Aspekten geprägt. Die Vorlesungen und Seminare waren noch nicht überlaufen, sodass man noch einen direkten Draht zum Lehrenden haben konnte. Erst durch das Erkennen der eigenen Sozialisation und deren Mechanismen im Elternhaus kam es bei mir zu einer persönlichen Befreiung, die mir ein demokratisches und nicht autoritäres Arbeiten als Lehrer und Erzieher ermöglicht hat. Hellmuth Allais, Hohenwestedt

Computerprogramme auf Lochkarten

Im Frühjahr 1973 begann ich – als Frau! – mein Studium der Mathematik an der Universität Hamburg. Gleich zu Beginn bekam ich „aufmunternde“ Worte von einem Kommilitonen: „Mal sehen, wie lange du hier noch sitzt!“ – übersetzt: „Frauen können das nicht!“ In meinen ersten Studienjahren fanden unsere Seminare in den Villen an der Rothenbaumchaussee statt. 1975 wurde dann das Geomatikum eröffnet. Zusammen mit ein paar Kommilitonen bekamen wir (zu zweit/dritt) Zimmer im Geomatikum, in denen wir arbeiten konnten. Die Entscheidung morgens zwischen Doppelkopf und Tischtennis (ja, wir hatten dort eine Tischtennisplatte stehen) oder doch Mathematik war nicht immer einfach. Eine Zeit lang haben wir mittags auch gekocht, dies wurde von den Professoren aber nicht so gern gesehen.

In jenen Jahren hatte man noch die Möglichkeit, während des Studiums „über den Tellerrand“ hinauszugucken, und so habe ich neben der Mathematik z. B. Dänisch und etwas Griechisch an der Uni gelernt. Im Rückblick (und nur da!) waren unsere ersten Erfahrungen mit dem Rechenzentrum an der Schlüterstraße sehr amüsant: Selbst entwickelte Programme wurden auf Lochkarten „geschrieben“. Dieser Stapel Karten musste (in der richtigen Reihenfolge) im Rechenzentrum abgegeben werden. Stunden später konnte man sich das Ergebnis abholen. Bei einem Fehler musste man diese Prozedur wiederholen. Oft dauerte es so mehrere Tage, bis ein Programm erfolgreich lief. Angelika Boehlke, Uetersen

Studienstart am Geburtstag

An den ersten Studientag am 15. Oktober 1974 an der Uni Hamburg kann ich mich besonders gut erinnern – es war mein Geburtstag. Die Einführungsvorlesung im Fach Diplom-Biologie hielt der charismatische Zoologie-Professor Otto Kraus im großen Zoologie-Hörsaal. Seine Botschaft: Wissenschaftler müssten nicht alle Fachbücher auswendig lernen. Wissenschaftler zu sein heiße „zu wissen, wo es steht“. Die anwesenden Studenten sollten sich zu Lerngruppen zusammenschließen. Mein Sitznachbar schaute mich an und sagte: „Wenn du nach vorne gehst, stelle ich mich dazu!“, und so machten wir es. An diesem Tag entstand unsere Arbeitsgruppe von anfangs acht Student*innen. Die damals geschlossenen Freundschaften halten bis heute und haben auch Krisen und lange Abwesenheiten überstanden. Danke, Hucky, Sascha, Uli, Eva, Patricia, Wiebke, Vera und Tanja! Britta Rolle

„Hörsaal G“ – die Kneipe Gemps Eck

Als ich zum Sommersemester 1974 einen Studienplatz in Politikwissenschaft suchte, war die Hamburger Universität von Beginn an meine erste Wahl. Dafür sprach die große Zahl an renommierten und bekannten Professoren. Auch persönlich reizte mich die weltoffene Freie und Hansestadt Hamburg. In meinem Hauptfach durfte ich bei vielen Kapazitäten studieren. Die höheren Semester bat Prof. Dietrich Hilger manchmal in den „Hörsaal G“ - das G stand für Gemps Eck, eine gemütliche Kneipe an der Ecke Grindelhof/Allende-Platz.

Während bei den Politikwissenschaftlern das Arbeiten und die Schwerpunktsetzungen weitgehend frei und selbstbestimmt erfolgten, war der Fachbereich Wirtschaftswissenschaften zumindest im Grundstudium relativ verschult. Man lernte und lehrte zusammen mit anderen BWL- und VWL-Studenten nach einem festgelegten Programm bei einschlägig ausgewiesenen Dozenten und schrieb am Ende des Semesters Klausuren. Erst im Hauptstudium bekamen wir einige Professoren zu Gesicht und konnten eigene Schwerpunkte setzen und Interessen vertiefen.

Der WiWi-Bunker war räumlich das totale Kontrastprogramm zum Pferdestall. Die Seminare und Übungen fanden in fensterlosen Innenräumen oft bereits ab 8 Uhr morgens statt, sodass man den unpersönlichen Betonklotz insbesondere im Wintersemester bei Dunkelheit betrat. Ich hatte aber den Vorteil, ganz in der Nähe der Uni meine Studentenbude zu haben, sodass ich auch zwischendurch gut mal nach Hause gehen konnte. Dr. Eva-Maria Thöne-Wille

Demokratie nach einer Kindheit in der DDR

Ich wuchs in der DDR auf und wurde – obwohl ich diesem Staat kritisch gegenüberstand – nach dem Abitur 1967 im Fach Psychologie in Jena immatrikuliert und setzte 1969 mein klinisches Studium an der Humboldt-Universität in Ostberlin fort. Um der unentwegten geistigen Bevormundung und gefängnisartigen Enge sowie der Bespitzelung der DDR-Diktatur zu entkommen, wagte ich einen Fluchtversuch, der leider scheiterte und mich mit 22 Jahren hinter Gitter brachte. Nach 15 Monaten wurde ich durch Amnestie ins demokratische Deutschland entlassen.

Mein Schicksal brachte mich nach Hamburg, und ich nahm im Sommersemester 1975 mein Psychologie-Studium wieder auf. Und kam aus dem Staunen nicht mehr heraus! Hier an der Universität Hamburg konnte ich Freiheit und Demokratie leibhaftig begreifen. Ich durfte mir meinen eigenen Seminar- und Vorlesungsplan ganz meinen eigenen Bedürfnissen und Wünschen entsprechend zusammenstellen – durfte mein eigenes Arbeitstempo bestimmen und eigene fachliche Schwerpunkte setzen – selbst für die Prüfungsthemen! Die Freiheit des Denkens wurde gefördert, und alles durfte geäußert werden, ohne dass mein Studienplatz gefährdet gewesen wäre. Welch ein großes Glück! Am Institut für Psychologie wurde geduzt – daran habe ich mich besonders schwer gewöhnt. Henriette Petersen

Als die AStA-Baracke abbrannte

Jahrzehntelang hatte der AStA, die Regierung der Studentenschaft der Universität, sein Domizil im gelben Gebäude der Mensa an der Schlüterstraße. Im April 1972 brauchte das Studentenwerk mehr Platz, und der AStA siedelte im April um in die sogenannte AStA-Baracken neben dem Pferdestall. Als langjährige AStA-Sekretärin wollte ich meine in Hamburg zu Besuch weilenden Schwiegereltern am 17. Dezember 1977 meinen Arbeitsplatz zeigen. Dieser brannte an diesem Abend jedoch lichterloh ab, und viele Akten der Studentenschaft wurden vernichtet. Der AStA zog danach um in das Erdgeschoss des „Bunkers“ der Wirtschaftswissenschaften.
Rita Jankowski-Fink

Marxistische Gruppen stören Seminare

Ich habe 1978 in Hamburg angefangen, Politologie auf Diplom (im Nebenfach Psychologie) zu studieren. Da ich direkt nach dem Abitur im Luftverkehr arbeitete, bekam ich als Erst- und Spätstudierende sofort einen Studienplatz. Der Fachbereich war im sogenannten Pferdestall untergebracht, ein total heruntergekommenes, sanierungsbedürftiges Gebäude direkt neben dem Abaton-Kino. Das war für mich der erste Schock.

Meine Vorlesungen und Seminare legte ich so, dass ich spätestens zum Schulschluss meiner Kinder zu Hause sein konnte, es war sehr anstrengend, aber ich war voller Begeisterung dabei und erhielt ein Vordiplom-Zeugnis von 1,0. Leider wurden damals viele Vorlesungen durch die sogenannten Marxistischen Gruppen (von der DDR gesteuerte und finanzierte junge Kommunisten) gestört. Noch schlimmer fand ich die absolute Resignation der Lehrkräfte: Sobald diese Gruppen auftraten und ihre Parolen skandierten, wurde sofort jeglicher Unterricht kompromisslos abgebrochen; das war genau das Ziel der Störer, und sie zogen meistens hochzufrieden wieder ab.

In der Vorweihnachtszeit fand regelmäßig eigentlich auch kein Lehrbetrieb statt, irgendeinen Grund für einen Streik gab es immer. Für mich war jede ausgefallene Vorlesung eine kleine Katastrophe, da sie meinen Studien-Zeitplan total durcheinanderbrachte. An einen schnellen Studienverlauf war niemand so richtig interessiert: Zum totalen Abbruch kam es, als ich mich zur Diplomarbeit anmeldete, mir mein Professor aber mitteilte, dass er leider für zwei Jahre in die USA gehe und ich erst nach seiner Rückkehr abschließen sollte. Ich war so wütend und frustriert, dass ich mich exmatrikulieren ließ.

Ich bereue meine Zeit an der Uni nicht, und ich fand es ermutigend, wie ich von meinen wesentlich jüngeren Kommilitonen aufgenommen wurde. Als mein Mann Vorstandsvorsitzender der Lufthansa geworden war und ich ihn viel ins Ausland begleiten musste, profitierte ich oft von meinem politischen Interesse, und ich freue mich noch heute, wenn ich meinen Enkeln in politischen Zusammenhängen und Fragen manchen Ratschlag geben kann. Sabine Weber

Bauen für die Zukunft: eine Visualisierung des MIN-Campus an der Ecke Schlump/Bundesstraße.
Bauen für die Zukunft: eine Visualisierung des MIN-Campus an der Ecke Schlump/Bundesstraße. © HTP Architekten

Das Baby war bei Vorlesungen dabei

Ich habe 1981 zum Sommersemester mein Studium an der Hochschule für Wirtschaft und Politik begonnen. Das Besondere: Ich war schwanger, als ich den Studienplatz bekam, und habe nach der Geburt meiner Tochter nach vier Wochen Unterbrechung weiterstudiert. Ich hatte die Möglichkeit, durch das stille Einverständnis meiner Kommilitonen und Professoren, mein Baby und späteres Kleinkind teilweise einfach zu den Vorlesungen mitzunehmen. Meine Tochter Kathrin wurde gerne von den männlichen Kommilitonen in den Pausen mal „ausgeliehen“. Wenn sie sich sehr die Windeln „vollgemacht“ hatte, konnte ich mit der Unterstützung der weiblichen Kommilitoninnen rechnen. Zum Studienende April 1984 war ich hochschwanger, mein Sohn wurde geboren, nachdem ich noch meine Diplomarbeit abgegeben hatte. Bärbel Kustynowicz-Riez

Die Praktika in Schichten absolvieren

Ich bin Absolvent der Hamburger Universität im Jahre 1985 im Fachbereich Chemie. Ich habe beinahe zehn Jahre die Chemischen Institute in Rotherbaum aufgesucht. Wir waren im Erstsemester etwa 150 Neulinge und mussten deshalb in Schichten die Praktika absolvieren. Es war eine interessante Zeit, es gab Streiks, aber im Allgemeinen konnte man ruhig und zielstrebig seine Vorlesungen, Seminare und Praktika absolvieren.

Ich wünsche mir, dass die Universität noch viel stärker in Hamburg präsent wird, die Fachbereiche mit den Absolventen in Kontakt bleiben, um noch intensiver den Austausch zwischen Studenten und Wirtschaft zu fördern, und die Verschulung in den Lerninhalten nicht überhandnimmt. Dr. rer. nat. Ralf Egge, Sittensen

Professor mit nacktem Oberkörper

Ein heißer Sommertag 1989. Auf meinem Stundenplan steht das Proseminar „Endliche Automaten“ bei Dr. Manfred Kudlek, Professor für Theoretische Informatik. Zum Fachbereich Informatik gehört damals die Villa Rothenbaumchaussee 67/69, und dort im Ober- oder Dachgeschoss ist die Veranstaltung angesetzt. Die Sonne hat den Raum aufgeheizt wie eine Sauna. Prof. Kudlek wählt zwei kräftige Studenten aus und bittet sie, die grüne Wandtafel in den Garten zu tragen, die anderen mögen folgen. Im Garten der Villa lehnen wir die Tafel an einen großen Baum, der auch Schatten spendet. Prof. Kudlek zieht dennoch sein Hemd aus und hält das Seminar mit nacktem Oberkörper. Der Stoff wie gewohnt hochtheoretisch und schwer verdaulich, die Umgebung erfrischend ungewöhnlich. Markus Nowoczyn

Individuell studieren im Orchideenfach

Die Ägyptologie gehörte zu den Orchideen­fächern – und so haben wir uns auch gefühlt. Wir konnten hier individuell studieren. Ganz anders als in dem Massenfach Germanistik. Ich fand gerade die Kombination damals reizvoll, obwohl ich mich nur in der Ägyptologie richtig heimisch gefühlt habe. Andrea-Rebecca Flörke