Hamburg. Serie zu Bezirkswahlen, Teil 2: Neue Spitzenkandidatin der Grünen ist auch für CDU offen. SPD will wieder stärkste Kraft werden.
Hamburg schaut auf den Bezirk Mitte. Denn dazu gehören neben der Innenstadt mit ihren spektakulären Bauprojekten auch St. Georg mit der berühmten Langen Reihe und St. Pauli mit seinem Rotlicht- und Amüsierviertel. Diese Stadtteile sind sogar weit über die Grenzen Hamburgs hinaus bekannt. Dazu kommen diverse Großveranstaltungen wie der Hafengeburtstag oder der umstrittene Schlagermove.
Wer Politik in Mitte macht, dem dürfte also die besondere Strahlkraft dieses Bezirks bewusst sein. Hier wird darüber entschieden, ob es grünes Licht für Hunderte Millionen Euro teure Bauvorhaben gibt oder Events mit Hunderttausenden Besuchern genehmigt werden.
Seit 2014 ist Rot-Grün an der Macht
Die politischen Geschicke des Bezirks lenkt seit der letzten Wahl im Jahre 2014 eine rot-grüne-Koalition. Dann und wann gab es Konflikte, doch der Macht wegen wurde an dem Bündnis festgehalten. Einer der Macher dieser Koalition ist Michael Osterburg. Der ist seit 2004 Fraktionschef der Grünen und machte sich vor allen Dingen als Stadtentwicklungsexperte einen Namen. Er kann leidenschaftlich mit der SPD streiten, wohl auch deshalb genießt er einen gewissen Respekt bei den Sozialdemokraten. Doch nach innerparteilichen Querelen hat Osterburg auf eine Spitzenkandidatur verzichtet.
Hinter den Kulissen ist zu hören, dass die Sozialdemokraten den Abgang ihres verlässlichen Partners Osterburg bedauern. Jetzt haben sie es mit einer starken Frau zu tun. Die Spitzenkandidatin der Grünen ist Sonja Lattwesen, zugleich auch mächtige Kreisvorsitzende in Mitte. Für den Fraktionsvorsitz werde sie nicht kandidieren heißt es, aber sie werde eine „tragende Rolle“ spielen. Dem Vernehmen nach hat Manuel Muja Ambitionen auf das Amt des Fraktionsvorsitzenden – er hat Listenplatz 2 inne.
Zurzeit haben die Grünen zehn Sitze
Sollte es nach der Wahl zu Koalitionsverhandlungen zwischen der SPD und den Grünen kommen, dürfte Lattwesen eine knallharte Verhandlungspartnerin sein. Zurzeit haben die Grünen zehn Sitze: „Ich denke, es ist realistisch, dass es noch ein oder zwei mehr werden, und das würde unsere Position bei Koalitionsverhandlungen stärken“, sagte Lattwesen dem Abendblatt.
In den vergangenen Jahren habe die SPD leider bei Themen wie der Förderung des Radverkehrs eher als Bremse gewirkt. Außerdem stellt Lattwesen klar: „Wir werden, sofern es von den Mehrheiten passt, auch mit der CDU sprechen. Denn auf Bezirksebene gibt es durchaus Gemeinsamkeiten.“ Auch mit der FDP – vielleicht als dritte im Bunde – würde Lattwesen sprechen. Dafür müssen die Liberalen aber erst mal wieder in das Bezirksparlament einziehen.
Die SPD ist aktuell mit 19 Sitzen die stärkste Kraft in der Bezirksversammlung. Der seit Januar amtierende Fraktionschef Tobias Piekatz ist sich sicher, dass das auch so bleibt. Während die Grünen bemängeln, dass zu wenig für den Radverkehr getan wird, sagt der Spitzenkandidat: „Es kann nicht sein, dass in einer wachsenden Metropole wie Hamburg die Grünen nur über neue Radwege und den Erhalt von Bäumen diskutieren. Wir brauchen auch fließenden Wirtschaftsverkehr und ausreichend Parkplätze, vor allem in den dezentralen Wohnstadtteilen Wilhelmsburg, Horn und Billstedt.“ Auf einem Plakat wirbt Piekatz gemeinsam mit dem Bezirksamtsleiter und stellvertretenden Kreisvorsitzenden Falko Droßmann (SPD) mit 1000 neuen Parkplätzen für Hamburg-Mitte.
SPD stellt Bezirksamtsleiter bis 2022
Wen sich Piekatz als möglichen Koalitionspartner wünscht? „Wir werden nach der Wahl sowohl mit den Grünen als auch mit der CDU sprechen. Im Endeffekt werden wir uns für den Partner entscheiden, mit dem wir am meisten für die Bürger in Mitte bewegen können.“ Als Bezirksamtsleiter amtiert seit März 2016 der ehemalige SPD-Fraktionschef Droßmann. Der 45-Jährige ist sehr präsent in der Öffentlichkeit und gilt als „Macher“. Der neue Fraktionschef Piekatz wiederum gilt als einer seiner engsten Vertrauten. Auch wenn es eine schwarz-grüne Koalition geben sollte, dürfte Droßmann zumindest bis März 2022 auf dieser Position bleiben – denn er ist für sechs Jahre ernannt worden. Aber danach stünde die Neuwahl des Bezirksamtsleiters an.
Mit 18,5 Prozent lag die CDU bei der letzten Wahl gerade mal 0,4 Prozent vor den Grünen. Deren Spitzenkandidat Roland Hoitz hofft am 26. Mai auf mindestens 25 Prozent. Dass es in Mitte durchaus Schattenseiten gibt, spricht Hoitz an. Eine davon ist der Hansaplatz: „Das ist ein Brennpunkt, ein Treffpunkt der Drogen- und Trinkerszene. Rot-Grün ist es seit Jahren nicht gelungen, hier für Ordnung zu sorgen. Hier muss endlich gehandelt werden.“
Auch das Umfeld des Hauptbahnhofs sei nach wie vor ein Schandfleck. Wenn es zu Koalitionsverhandlungen mit der SPD kommt, würde das die CDU sicherlich zum Thema machen. Ist die SPD überhaupt eine Option?: „Bei einigen Themen arbeiten wir gut zusammen, natürlich würden wir Gespräche führen. Aber auch mit den Grünen und mit der FDP“, sagte Roland Hoitz.
Das haben die Kandidaten vor
SPD: Tobias Piekatz
Als Fraktionschef ist der 33-Jährige seit Januar im Amt, auch nach der Wahl strebt Tobias Piekatz diesen Posten wieder an. Als eines der wichtigsten Themen für den Bezirk Mitte sieht der Stadtentwicklungsexperte den Wohnungsbau: „Wir werden das Ziel von 1400 neuen Wohnungen pro Jahr erreichen. Davon soll ein Drittel öffentlich gefördert sein und weitere für 8 Euro Kaltmiete pro Quadratmeter geschaffen werden, dort sollen vor allem Familien einziehen.“ Das Ziel sei es, den Menschen zu ermöglichen, dass sie in ihren Quartieren bleiben können, weil sie dort bezahlbaren Wohnraum finden. Ein Anliegen ist Piekatz auch, dass „wir über den Bezirk verteilt moderne Quartierzentren schaffen für jede Alters- und Zielgruppe als Ort der Begegnung und für gemeinsame Aktivitäten. Dafür stehen 100 Millionen Euro zur Verfügung.“ Wichtig sei Piekatz außerdem, „dass wir die Grünanlagen attraktiver gestalten. Dort sollen die Bürger gemeinsam Sport machen können, dafür sollte auch in den Parks eine Infrastruktur geschaffen werden.“
Im Hauptberuf ist Piekatz als Projektleiter am Desy (Deutsches Elektronen-Synchroton) mitverantwortlich für die Entwicklung der Science City Bahrenfeld. Seit 2011 ist er Abgeordneter der Bezirksversammlung Mitte und lebt mit seiner Frau und zwei Kindern seit 2015 in Billstedt.
CDU: Roland Hoitz
Eines der zentralen Ziele von Roland Hoitz ist: „Ich will eine saubere Stadt, in der man sich überall wohlfühlt. Deshalb muss die vorsätzliche Verschmutzung des öffentlichen Raums konsequent und schärfer geahndet werden.“ Der 46-Jährige hat das Ziel, „Geldstrafen beziehungsweise Bußgelder für das Wegwerfen von Zigarettenkippen oder Ausspucken von Kaugummis drastisch auf bis zu 1000 Euro zu erhöhen.“
Der Spitzenkandidat der CDU, der aber nach der Wahl wohl nicht als Fraktionsvorsitzender kandidiert, sondern diesen Posten wieder dem amtierenden Fraktionschef Gunter Böttcher überlässt, hat ein weiteres Anliegen: „Wir brauchen mehr Sicherheit durch mobile Polizeiposten, zum Beispiel auf dem Jungfernstieg und bei Großveranstaltungen.“ Auch für „verstärkte Kontrollen gegen gewerbsmäßige Bettelei“ spricht er sich aus. Der Fachmann für Stadtentwicklung verspricht den Wählern: „Wir setzen uns für ein günstiges Bauen durch ein einheitliches und einfaches Baurecht ein. Mit uns gibt es Nachverdichtung nur mit Augenmaß, die Grün-, Sport- und Freizeitflächen qualitätsvoll einbezieht.“
Seit 2014 ist Roland Hoitz Mitglied der Bezirksversammlung Mitte und arbeitet für einen Projektentwickler. Sein Lebensmittelpunkt ist seit 2009 der Stadtteil Borgfelde.
Grüne: Sonja Lattwesen
Nachdem Michael Osterburg den Verzicht auf seine Kandidatur erklärt hat, wurde Sonja Lattwesen zur Spitzenkandidatin der Grünen gewählt. Seit 2014 ist sie Bezirksabgeordnete in Mitte. Eines der Ziele der 43-Jährigen für den Bezirk ist es, den öffentlichen Nahverkehr zu verbessern. Dabei hat Lattwesen vor allem die Linie S 3, sie fährt vom Hauptbahnhof bis Harburg und Stade, im Blick: „Ich werde mich dafür einsetzen, dass sich die Situation auf dieser Linie endlich verbessert. Es ist nicht zu akzeptieren, dass die Fahrgäste in viel zu volle Züge gepfercht werden und es dauernd zu Verspätungen kommt.“ Ein weiteres Thema liegt ihr am Herzen: „Wir müssen mehr für die Fußgänger und Radfahrer im Bezirk tun. Das heißt vor allem, dass moderne Geh- und Radwege mit ausreichend Platz geschaffen werden.“
Außerdem will sich die Kreisvorsitzende der Grünen in Mitte für die Schaffung bezahlbarer Wohnungen einsetzen. „Aber auch bei preiswertem Wohnraum darf beim Bau nicht an der Qualität gespart werden“, sagt sie. Außerdem will Lattwesen dafür sorgen, das mehr Grundstücke an Baugruppen vergeben werden. Als Lebensmittelpunkt hat sich die Grüne seit 2008 für Wilhelmsburg entschieden. Tätig ist sie in der Musikbranche: Lattwesen ist Chefin einer Plattenfirma, die sich auf Heavy Metal spezialisiert hat.
Die Linke: Stefan Dührkop
Der Spitzenkandidat der Linken dürfte sich auf der Veddel bestens auskennen und gut vernetzt sein. Denn dort lebt Stefan Dührkop seit rund zwei Jahrzehnten. Der Tischlerhelfer hat sich vor allen Dingen dem Thema Wohnen verschrieben. Eines seiner Ziele ist: „Bedarfsgerechter Wohnungsbau, das bedeutet: Wenn fast 50 Prozent der Hamburger Anspruch auf eine Sozialwohnung haben, müssen mindestens 70 Prozent neu gebauter Wohnungen Sozialwohnungen sein. Es sollte in jedem Neubaugebiet ein hoher Anteil von bezahlbarem Wohnraum entstehen.“
Ein weiteres Ziel von Dührkop ist: „Dass alternative Wohnprojekte mehr Unterstützung finden. Das heißt, dass sich Bürger in den Stadtteilen zusammenfinden, um bei Neubauvorhaben eigene Projekte zu entwickeln.“
Soziale Themen liegen dem 55-Jährigen am Herzen. Deshalb ist ein weiteres Ziel von ihm: „Eine finanziell gut ausgestattete Jugendarbeit. Dabei stehen für mich vor allem Bereiche wie Jugendobdachlosigkeit und Gewaltprävention im Fokus. Aber auch Themen wie Gewalt gegen Frauen, Rassismus sollten im Zuge der Jugendarbeit behandelt werden.“ Der Bezirksversammlung Mitte gehört Stefan Dührkop seit 2014 an, der Linken-Politiker hat zudem das Amt des Vizefraktionschefs inne.
FDP: Timo Fischer
Die FDP konnte bei der letzten Wahl mit keinem Abgeordneten in die Bezirksversammlung Mitte einziehen. Nun setzen die Liberalen auf einen jungen Spitzenkandidaten, der bislang kein Abgeordnetenmandat innehatte, und der heißt Timo Fischer. Für den Fall, dass es mit dem Einzug klappt, hat sich der 26-Jährige einiges vorgenommen.
Zu den Zielen des Studenten der Medieninformatik gehört eine „Verkehrspolitik, die an alle denkt. Statt die Interessen von Fahrrad, Auto und dem öffentlichen Personennahverkehr gegeneinander auszuspielen, wollen wir ein Programm, das alle berücksichtigt und an Lösungen arbeitet, statt Verbote zu erlassen.“ Den Vizelandesvorsitzenden der FDP-Nachwuchsorganisation Junge Liberale treibt ein weiteres Thema um: „Mehr bezahlbarer Wohnraum. Alle sollten die Möglichkeit haben, eine für sie finanzierbare Wohnung zu finden. Deshalb setzen wir uns für effizientere Baugenehmigungsverfahren ein.“
Eine weitere Forderung von Timo Fischer, der seit fünf Jahren seinen Lebensmittelpunkt in Wilhelmsburg hat, ist: „Wir brauchen ein digitales Bezirksamt. Wir möchten, dass die Bürger keinen Termin mehr benötigen, wenn sie ihren Personalausweis neu beantragen wollen. Sie können die Zeit besser nutzen, als im Bezirksamt zu sitzen.“
AfD: Nicole Jordan
Die Bezirksversammlung Mitte ist für Nicole Jordan ein noch unbekanntes Terrain. Die 44-Jährige ist bislang noch keine Abgeordnete, wurde aber von der AfD als Spitzenkandidatin für die Bezirkswahlen aufgestellt.
Zu ihren Zielen gehören: „Stopp mit dem Dieselunsinn, keine Straßensperrungen, der Verkehr muss fließen. Ich möchte, dass die Bürger frei entscheiden können, ob sie mit dem Auto, dem Bus, der Bahn oder dem Fahrrad zur Arbeit oder wo auch immer hinfahren wollen.“
Auch mit dem Thema Grün möchte die gelernte Rechtsanwaltsfachangestellte Wähler für sich gewinnen: „Kleingärten, Naturschutzgebiete und Parks müssen geschützt werden. Denn diese sind unsere grüne Lunge, diese müssen wir erhalten. Kein Abbau für Wohnungsbau.“ Gerade für sozial schwache Familien seien diese Anlagen wichtig.
Eine weitere Forderung der Wilhelmsburgerin, die seit 39 Jahren in dem Stadtteil lebt, richtet sich an die Autofahrer, ihre Maxime lautet denn auch: „Kein Abbau von weiteren Parkplätzen für Fahrradwege“, so Jordan. Die Forderung von Jordan, die auch Bezirksvorsitzende ihrer Partei in Hamburg-Mitte ist: „Wir wollen, dass bei Neubauten wieder die Verpflichtung eingeführt wird, entsprechende Parkplätze mit einzuplanen.“