Heute erklären Experten, wie Ähnlichkeiten, der Morgen nach dem ersten Mal und der Umgang mit Zahnpastatuben eine Beziehung prägen.

Sex spielt gar keine so große Rolle für eine glückliche Beziehung, eine ähnliche Hautfarbe allerdings schon, und der Spruch „Gegensätze ziehen sich an“ trifft aus soziologischer Sicht überhaupt nicht zu. Weitere ungewöhnliche Erkenntnisse und Tipps für die Partnersuche verraten Luise Heinz und Dr. Peer Briken von der Universität Hamburg.

Hamburger Abendblatt: Wann haben Sie sich zum letzten Mal so richtig verliebt?

Luise Heinz: Oha, das ist schon etwas her.

Wie häufig verliebt sich ein Mensch im Durchschnitt?

Heinz: Im Schnitt hat der Mensch zwei bis drei Partner im Leben, aber verlieben wird er sich sehr wahrscheinlich häufiger.

Dr. Peer Briken: Hinsichtlich der Partnerschaften hat sich das stark geändert. Mit steigender Lebenserwartung haben wir im Laufe des Lebens mehr Partnerschaften als die früheren Generationen, die Bereitschaft, sich illusionär lebenslang auf Partnerschaften einzulassen und auch Zeiten zu durchleben, die unangenehm sind, die ist geringer geworden.

Stellt das Verlieben die Grundlage für das Finden des richtigen Partners da, oder braucht es keine romantischen Gefühle, um den Richtigen an seiner Seite zu wissen?

Heinz: Das Verlieben ist schon der nächste Schritt, die Minimal-Standards setzen früher an. Wir suchen denjenigen, der uns sehr ähnlich ist. Wir suchen eine Person ähnlichen Alters, ähnlichen Aussehens (das betrifft z.B. auch den BMI) mit einem ähnlichen Einkommen, Bildungsgrad und Biografie. Personen mit Kindern suchen beispielsweise eine Person mit Kindern und vermeiden das Gegenteil, Kinderlose vermeiden dieselben. Eine geschiedene Frau sucht eher einen geschiedenen Mann und andersherum. Diese Ähnlichkeitsansprüche an den Partner lassen sich wissenschaftlich ziemlich gut abbilden.

Der Spruch „Gegensätze ziehen sich an“ stimmt also gar nicht.

Heinz: Aus Sicht der Soziologie nicht.

Briken: Bei bestimmten biologischen Parametern sind Gegensätze wahrscheinlich wichtig, weil sich daraus ein evolutionärer Vorteil ergibt. Es macht beispielsweise Sinn, nicht für ähnliche Krankheiten anfällig zu sein.

Heinz: Empirische Studien zeigen jedoch auch: Menschen neigen extrem dazu, innerhalb der eigenen Ethnie zu suchen. Sie sortieren z.B. nach dem Merkmal Hautfarbe vor. Dabei spielt wahrscheinlich auch hier die Erwartung eines ähnlichen Erfahrungshintergrunds eine Rolle: ähnliche Hautfarbe gleich ähnliche Region gleich ähnliche Religion. Letzteres ist mitunter so wichtig, dass es hierfür eigene Dating-Apps gibt. Die meisten Paare sind entsprechend auch in heterogenen Gesellschaften sehr homogen.

Briken: Noch mal zurück zur Frage, ob Verliebtheit eine Grundlage darstellt: Ja, durchaus. Zumindest aus den Erfahrungen, die wir in der Praxis machen. Verliebtheit finden alle zunächst sehr wichtig, sie ist jedoch nur von relativ kurzer Dauer, so sechs Monate bis zwei Jahre vielleicht. Dann entwickelt sich manchmal was, das viele von uns als Liebe bezeichnen. Oder etwas anderes hält, das die Beziehung zusammen hält, was aber nicht unbedingt Liebe sein muss.

Wie nennen sie das dann?

Heinz: Kinder. (beide lachen)

Briken: Zum Beispiel. Kinder stellen viel eher einen Grund dar als ökonomische Abhängigkeiten, die gibt es heute seltener.

Wo lernen sich Paare heutzutage kennen?

Heinz: Mehr als die Hälfte der Singles setzt inzwischen auf das Internet. Das ist lange nicht mehr so schambehaftet, wie es noch vor 15-20 Jahren war.

Gibt es Merkmale, auf die besonders wert gelegt wird?

Heinz: Interessant ist die Einschätzung von Attraktivität. Männer unabhängig welchen Alters schätzen Frauen um die 20 als attraktivsten ein. Bei Frauen wächst das Empfinden mit dem eigenen Alter: Frauen um die 20 finden bewerten also Männer um die 20 mit der höchsten Attraktivität, Frauen um die 40 Männer um die 40. Das widerspricht sich also. Da passen Männer und Frauen eigentlich gar nicht zusammen, finden sich dann aber trotzdem.

Briken: Und was wäre ihre Interpretation davon?

Heinz: Es könnte sein, dass sich da traditionelle Rollenmodelle und medial geprägte Erwartungshaltungen kreuzen, weil der Mann beispielsweise mit Jugend Fruchtbarkeit und Schönheit verbindet oder auch Abhängigkeit. Frauen hingegen bringen hier scheinbar ein praktikableres Bild von sich selbst mit.

Wann entscheidet sich, ob aus einer Begegnung zweier Menschen eine längere oder gar eine lebenslange Beziehung wird?

Heinz: Die Romantiker sagen, schon im ersten Augenblick. Andere mutmaßen in der ersten Liebesnacht. Der französische Soziologe Jean-Claude Kaufmann behauptet jedoch, am Morgen danach. Er hat viele Paare interviewt und festgestellt, dass erst am Morgen die Eigenheiten der anderen Personen wortwörtlich zu Tage treten. Wenn dort eigentlich nichts passiert, wenn es nichts gibt, was einen am anderen stört, dann habe die Paare gute Chancen, die Beziehung fortzusetzen.

Briken: Das erlaubt aber nur eine Vorhersagekraft von einigen Monaten. Ob eine Beziehung viele Jahre bestehen kann, das entscheidet sich nicht an dem einen Morgen nach dem ersten Mal. In dem Prozess des gemeinsamen Wachsens muss man sich ständig neu erfinden und sich dabei gleichzeitig nicht verlieren. Das ist in einer anspruchsvollen Welt, in der alle immer alles machen sollen und wollen, ein schwieriges Unterfangen. Nehmen wir ein Paar mit Kindern, wo beide arbeiten, was da für Anforderungen auf das Paarbeide zukommen. Die meisten Paare haben zu Beginn beabsichtigt, für immer zusammen zu bleiben, doch auch die Bereitschaft, loszulassen, ist heute viel größer als in vorherigen Generationen.

Welche Rolle spielt Sexualität in Partnerschaften, muss es auch im Bett klappen, damit er oder sie als die oder der Richtige gelten darf?

Briken: Nein, muss es nicht. Es gibt Paarkonstellationen, in denen Sexualität gar keine Rolle spielt, das aber für beide in Ordnung ist. Da würde ich als Therapeut nie argumentieren, dass Sex sein muss. Für viele Paare ist sexueller Kontakt aber wichtig. Da wird vieles ausgehandelt, was über die Lust hinaus geht. Bindung herstellen, etwas erreichen wollen von oder mit dem bzw. der anderen.

Wie verändert sich das über die Zeit?

Briken: Das Alter spielt eine große Rolle, die sexuellen Funktionen und das Lustempfinden verändern sich mit den Jahren, doch wenn Paare im Alter neu zusammen kommen, sind sie ähnlich sexuell aktiv wie junge Paare. Die schlafen zwei bis drei Mal pro Woche miteinander, wer länger als drei Jahre zusammen ist, ungefähr noch einmal pro Woche oder alle zwei Wochen. Wenn Kinder kommen gibt das oft einen großen Einschnitt. Der Körper, die fehlende Zeit, der Stress – all diese Faktoren reduzieren die Frequenz sexueller Aktivitäten, verändern aber auch die emotionale Welt. Manche entscheiden sich daraufhin für eine Therapie. Paartherapeuten sind aber keine Liebeskitt-Maschinen. Wir schauen mit den Paaren, ob und wie wo es sich lohnen könnte, neue Erfahrungen zu machen, wenn das gemeinsam noch geht. Doch es kann bei einer Therapie auch heraus kommen, dass ein Paar aus Gründen zusammen gekommen ist, die inzwischen nicht mehr bestehen, dass es nichts zu teilen mehr gibt, und dann kann das Paar darf es sich natürlich auch trennen. Das würde ich dann nicht als erfolglose Therapie bezeichnen, es kann für beide sehr befreiend sein, sich lösen zu dürfen.

Frau Heinz, Sie sagen, Liebe muss erlernt werden, aber es handelt sich dabei doch um keine Sportart?

Heinz: Für viele Soziologen ist Liebe anders als im Allgemeinverständnis erstmal kein Gefühl, sondern eine Ausdrucksform. Gefühle sind für einen Forscher schwer einsehbar, aber wir können Muster beobachten, Kommunikationen, die mit Aufmerksamkeit zu tun haben. Entscheidungen und Handlungen werden mit dem anderen abgestimmt, man integriert sich in die Welt des anderen. Man nimmt die mögliche Begehrensstruktur des anderen vorweg, wenn man ihm beispielsweise ungefragt seinen Lieblingswein mitbringt. Das ist – da es ja bei weitem nicht nur den Wein betrifft - kognitiv sehr anstrengend! Man hat mit sich selbst schon viel zu tun, und dann zu signalisieren, der andere kommt in meiner Welt mit seinen Ansprüchen auch vor, das ist eine Herausforderung. Zudem weiß niemand intuitiv, wie man jemanden anblickt, sich verhält oder welche Worte man benutzt, wenn man jemanden mag, das ist etwas, das mühsam erlernt wird: Durch die Eltern oder durch Medienvorbilder.

Briken: Mich empathisch auf jemanden einzustellen, mich in die andere Person einzufühlen oder einzudenken, das beginnt mit dem Lesen in den Augen des oder der anderen und endet mit der Entscheidung, die Zahnpastatube einfach zu schließen, die mein Partner meine Partnerin wieder offen hat liegen gelassen, oder mich anstatt dessen dazu zu entschließen, ihn bzw. sie dafür genervt anzufahren.

Was empfiehlt der Paartherapeut in solchen Momenten?

Briken: Bevor man in den Konflikt geht: Erst mal hinschauen, ob wir es uns wirklich leichter machen, oder unsere Beziehung verkomplizieren. Nicht nur uns, auch dem Partner oder der Partnerin sollten wir das Leben einfacher machen. Paare, die sich gegenseitig unterstützen, bei denen beide darauf achten, dem anderen etwas abzunehmen und ihn bzw. sie zu unterstützen, die haben gute Chancen, zusammen zu bleiben. Aber auch keine Angst vor Konflikten, wenn es wirklich etwas miteinander zu klären gibt und nicht nur die eigenen Konflikte ausagiert werden.

Heinz: Beim Zusammenziehen gibt es ja typische Szenen, in denen Erfahrungswelten aufeinanderprallen. Der eine wäscht Wäsche bei 30 Grad, der andere findet, es müssen mindestens 60 sein. Oft sind solche Beispiele wahnsinnig banal, man erkennt daran aber die Kompromissfähigkeit, ohne die keine Beziehung je funktionieren wird.

Briken: Und so banal ist das alles gar nicht. Über Rotwein oder eine Zahnpastatube kann sehr viel ausgehandelt werden. Wenn sie die verschiedenen sozialen Gruppen Schichten untersuchen, kommen sie bis in die tiefsten individuellen und gesellschaftlichen biografischen Aspekte einer Person, da ist manchmal teilweise ein Konfliktpotential verankert, das mit dem Partner an sich kaum etwas gar nichts zu tun hat, das in solchen Momenten aber ausbricht. Wie viel Selbstbestätigung brauche ich? Wie viel Anerkennung brauche ich von dem anderen? Wie viel Kontrolle will ich über den anderen ausüben? Und warum das alles? Das muss nicht jeder verstehen wollen, es kann aber hilfreich sein, um wiederkehrende Konflikte zu vermeiden. Durch die moderne Art des Zusammenlebens, bei der beide Partner gleichberechtigt sind, wird das Zusammensein komplex und immer wieder auf den Kopf gestellt, z.B. wenn das erste Kind kommt. Die Frauen sind immer wieder im Nachteil, denn sie machen oft mehr mit dem Kind und mehr bei der Arbeit, da funktionieren Aushandlungsprozesse nicht so wie zuvor.

Erkennt man erst in schwierigen Momenten, ob man gut zusammen passt?

Briken: Man kann immer nur wieder und wieder erkennen, ob es sich um den oder die Richtige handelt. Wie bei einer Geschichte, die beide erzählen, die jedoch einen offenen Ausgang hat. Alles andere ist eine Illusion. Ich sage nicht, Liebe ist Arbeit, aber sich immer wieder Mühe zu geben, sich zu begegnen, das ist ein komplexer Prozess, für den man offen sein muss und, der viel Einsatz erfordert.

Hmm. Für mich wird der Begriff Liebe hier gerade entzaubert, aber damit muss ich wohl rechnen, wenn Wissenschaftler darüber sprechen.

Briken: Die Entmystifizierung der Liebe und auch des Sexuellen ist vielfach beschrieben, sie gehört nun mal zu unserem Geschäft. Es bleibt genug Rest, der nicht zu erklären ist.

Heinz: Hat das nicht auch etwas Tröstliches?

Nein. Wird Liebe durch neue Kommunikationsplattformen bedarfsorientierter und damit den Ansprüchen einer immer stärker ausdifferenzierten Gesellschaft gerechter?

Heinz: Es gibt eine Studie, die gezeigt hat: Die Person, die bei der Partnersuche im Netz rauskommt, ist sehr vergleichbar mit der, die man in der Offline-Welt gefunden hätte. Die Auswahl ist ähnlich präzise.

Briken: Mich stört immer die wiederkehrende Panik beim Einfluss der digitalen Medien. Das ist ein bisschen wie mit bei der Erfindung der Eisenbahn oder des Fernsehens.

Und Plattformen wie Tinder? Verändern die unsere Dating-Gewohnheiten oder unsere Ansprüche an einen Partner?

Heinz: Tinder spiegelt das Kennenlernen von jemandem in einer Bar oder im Theater viel eher als es andere klassische Online-Plattformen tun. Bei Tinder hat man nicht so viele Angaben zu sich, es ist sehr bildbasiert. Tinder arbeitete zunächst mit dem Elo-Score, der wurde fürs Schachspiel entwickelt wurde und sollte ermitteln, welche Schachspieler auf einem Niveau spielen, um diese dann in einen Wettbewerb zu bringen. Das funktionierte bei Tinder ganz ähnlich: Meldete man sich bei Tinder in der ersten Woche an, wiurde einem in der ersten Woche erst mal die komplette Bandbreite der Spieler vorgestellt. Je nachdem, wie die Personen auf einen reagierten, wurde der Score festgelegt. Nach einer Woche bekam man dann fast nur noch Personen mit einem ähnlichen Attraktivitätsniveau präsentiert. Nun hat Tinder einen neuen Algorithmus entwickelt. Auch wenn die Details geheim sind, scheint es, als ob das ‚Matching‘ nun etwas dynamischer funktioniert und die Anpassung der Attraktivitäts-Bewertung täglich neu erfolgt.

Beeinflusst Ihre wissenschaftliche Betrachtung das eigene Liebesleben?

Briken: Unsere Forschung hat sicher einen gewissen Einfluss, wer das Gegenteil behauptet, sagt meiner Ansicht nach kaum oder nur die halbe Wahrheit. Zum dauerhaften Forschen gehört zu reflektieren, was das mit einem macht. Und auch wir Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen wollen ja für einen gewissen Bereich Zauber und Geheimnisse erhalten. Ich bin bei der Arbeit viel mit Gewalt in Partnerschaften beschäftigt, da darf ich nicht zu tief in den Abgrund zu schauen.

Heinz: Ein Vor- und Nachteil meines Berufes ist jedenfalls, Ansprechpartner Nr. 1 bei Freunden zu sein, die Beziehungs- oder Findungsprobleme haben. Ich probiere natürlich mein Bestes, aber unsere Forschung ist modellbasiert und für den Einzelfall leider nicht immer hilfreich.

Briken: Ich sage meinen Bekannten gerne: Ich kenne gute Paartherapeuten. Diese Rollentrennung brauche ich, und es wäre auch nicht besonders professionell, meinen besten Freund bei möglichen sexuellen Problemen zu beraten.

Die Experten

Luise Heinz ist Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Allgemeine Soziologie und Soziologische Theorie. Sie arbeitet zu den Themen Liebe, Intimität und Medienwandel. Für das kommende Jahr plant sie mit ihrer Kollegin Vanessa Weber (Helmut-Schmidt-Universität) ein Buch zu den Filtermechanismen im Liebesleben.

Dr. Peer Briken ist Sexualwissenschaftler und Sexualmediziner. Seit 2010 hat er eine Professur für Sexualforschung, Sexualmedizin und Forensische Psychiatrie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf inne und ist Direktor des gleichnamigen Instituts. Gemeinsam mit Kollegen leitet er gegenwärtig die Studie Gesundheit und Sexualität in Deutschland (GeSiD), in der 5000 Deutsche zu Partnerschaft, Sexu­alität und Gesundheit befragt werden.

Die 100 großen Fragen

Jede Woche stellt das Hamburger Abendblatt eine der 100 großen Fragen des Lebens: Was ist Glück? Was ist gerecht? Wie viele Informationen braucht man?

Beantwortet werden diese Fragen im Gespräch mit Professoren und Experten der Universität Hamburg, die in diesem Jahr 100 Jahre alt wird. Die Gespräche werden jeden Sonnabend veröffentlicht. An­hören kann man sie sich zudem in voller Länge im Internet auf: www.abendblatt.de.