Hamburg. Heute wird gegen den “Mietenwahnsinn“ in Hamburg demonstriert. Was davon ist Feindbild – und was Realität?

Die Liste der Unterstützer reicht von Anwohner-Initiativen über Mieter-Organisationen (Mieterverein, Mieter helfen Mietern) und Ver.di bis zu linksextremen Gruppierungen wie der Interventionistischen Linken. Sie alle haben für den kommenden Sonnabend (Start 13 Uhr auf dem Rathausmarkt) zum „MietenMove“ aufgerufen. Im vergangenen Jahr demonstrierten laut Veranstalter 8000 Teilnehmer (laut Polizei 3000) gegen den „Mietenwahnsinn“. Das Abendblatt beantwortet die wichtigsten Fragen zum Streit ums Wohnen.

Wie viele Mietwohnungen gibt es überhaupt in Hamburg?

2017 zählte die Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen 707.000 Mietwohnungen in Hamburg, davon 656.000 Mietwohnungen im klassischen Geschosswohnungsbau. Hier liegt die Mieter-Quote bei 89 Prozent, nur elf Prozent werden von Eigentümern bewohnt.

Wie viele bezahlbare Mietwohnungen gibt es in Hamburg?

Dies hängt davon ab, wie man bezahlbar definiert. Der Senat nennt jede Wohnung, die maximal acht Euro den Qua­dratmeter netto kalt (also ohne Betriebskosten) kostet, bezahlbar – nach dieser Definition wären dies 335.000 Mietwohnungen, also rund die Hälfte aller Mietwohnungen im Geschosswohnungsbau.

Das Netzwerk „Recht auf Stadt“, das seit 2009 für bezahlbaren Wohnraum kämpft, sieht das anders. „Die Zahl der Wohnungen unter sechs Euro den Qua­dratmeter hat in den vergangenen fünf Jahren um zwei Drittel abgenommen“, kritisiert Steffen Jörg, mit Gemeinwesenarbeit (GWA) St. Pauli einer der Organisatoren der Demo. Die „Mieten­Move“-Macher fordern deutlich mehr Sozialwohnungen, auf öffentlichen Grundstücken sollten nur noch öffentlich geförderte Wohnungen entstehen.

Dies lehnt der Senat ab. „Wir wollen gemischte, sozial ausgewogene Quartiere in Hamburg. Aus stadtentwicklungspolitischer Sicht heraus ist es wichtig, in allen Stadtteilen unterschiedliche Wohnungsangebote für unterschiedliche Einkommensgruppen bereitzustellen“, heißt es in einer Antwort der Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen auf eine Abendblatt-Anfrage.

Warum ist die Zahl der Sozialwohnungen so stark gesunken?

Mitte der 1980er-Jahre gab es noch mehr als 350.000 öffentlich geförderte Wohnungen in der Hansestadt. Doch durch den Korruptionsskandal um den gewerkschaftseigenen Konzern Neue Heimat sowie die Entwicklung von Hochhaussiedlungen zu sozialen Brennpunkten wurde der soziale Wohnungsbau immer unattraktiver. Zudem gab es Prognosen, dass sich die Bevölkerung angesichts niedriger Geburtenraten zurückentwickeln würde. Die Folge: Der Senat musste die Bindungsfrist, also die Fristen, in denen eine Wohnung zu besonderen Konditionen vermietet werden muss, verkürzen – häufig auf nur 15 Jahre –, um noch Investoren zu finden.

Da nun entsprechend viele Wohnungen aus den Bindungsfristen fallen, bleibt der Bestand der öffentlich geförderten Wohnungen (derzeit 81.000) bestenfalls konstant, obwohl der Senat inzwischen jährlich 250 Millionen Euro in sein Förderprogramm steckt. „Hamburg ist bei den Pro-Kopf-Vergleichswerten bundesweiter Spitzenreiter im Sozialwohnungsbau. Und hat 2017 – bezogen auf je 100.000 Einwohner – doppelt so viele Wohnungen wie Berlin gefördert“, schreibt die Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen.

Wichtig: Ein Ende der Bindungsfrist bedeutet nicht automatisch einen dramatischen Anstieg der Miete. Saga und Genossenschaften, die rund zwei Drittel aller neuen Sozialwohnungen bauen, erhöhen die Mieten nach Auslaufen der Bindungsfrist in der Regel nur marginal. Inzwischen liegt die Bindungsfrist wieder bei mindestens 20 Jahren.

Was bedeutet der Drittelmix für den Wohnungsbau?

Bei größeren Bauprojekten sind Investoren verpflichtet, ein Drittel Sozialwohnungen, ein Drittel normale Mietwohnungen und ein Drittel Eigentumswohnungen zu bauen. „Recht auf Stadt“ spricht von einer „Fata Morgana“: Nur etwa jede vierte neue Wohnung in Hamburg sei tatsächlich auch eine Sozialwohnung. Im Umkehrschluss könnten sich die meisten Hamburger rund 75 Prozent der neuen Wohnungen nicht leisten!

Der Verband norddeutscher Wohnungsunternehmen (VNW) – hier sind Genossenschaften und Saga organisiert – hält diese Rechnung für falsch: „Die VNW-Unternehmen bieten rund 290.000 Mietwohnungen in Hamburg an. Bei diesen liegt die durchschnittliche Nettokaltmiete pro Quadratmeter bei 6,46 Euro – also gut zwei Euro unter dem Durchschnittswert des Hamburger Mietspiegels. Der größte Teil dieser Wohnungen sind keine Sozialwohnungen, werden also von Menschen mit normalem Einkommen bewohnt“, sagt Verbandsdirektor Andreas Breitner.

Wie beeinflussen private Investoren den Wohnungsmarkt?

Bei einer Aktion auf dem Rathausmarkt versenkten die „MietenMove“-Macher am Donnerstag demonstrativ einen „Miethai“. Der Slogan „Miethaie zu Fischstäbchen“ wird am Sonnabend bei der Demo auf vielen Transparenten zu sehen sein. „Immobiliengesellschaften wie Akelius und andere pressen aus jedem Quadratmeter so viel Profit wie möglich. Wohnen darf keine Ware sein! Der Markt allein löst die Wohnraumkrise nicht, er ist Teil des Problems!“, heißt es im Aufruf der Demo.

Ist dies Pflege eines Feindbilds? Oder Realität? „Viele Außenstehende denken, wir würden uns die Taschen vollmachen“, klagt Peter Jorzick, mit Hamburg Team einer der größten privaten Projektentwickler der Hansestadt. Der ehemalige Chef der Stadterneuerungs- und Stadtentwicklungsgesellschaft Hamburg (Steg) verweist auf enorm gestiegene Baukosten („allein im vergangenen halben Jahr um 25 Prozent“) und Grundstückspreise. Dafür macht Jorzick die Folgen der Niedrigzinsentwicklung verantwortlich: „Es gibt Gesellschaften, die auf einen fahrenden Zug aufspringen, weil sie keine andere Möglichkeit sehen, das Kapital, das sie verwalten, noch renditeträchtig zu investieren. Sie treiben die Preise für Grundstücke in unanständige Höhen.

Es ist wie beim Monopoly, es geht nur noch darum, überhaupt noch eine Rendite auf das eingesetzte Kapital zu bekommen.“ Jorzick ärgert, dass in der aktuellen Diskussion zwischen Investoren, die nur die schnelle Rendite sehen, und Unternehmen wie Hamburg Team mit jahrelanger lokaler Expertise nicht mehr differenziert werde. Auch das Projekt „Wem gehört Hamburg?“ – das Abendblatt und das gemeinnützige Recherchezentrum Correctiv untersuchten 2018 gemeinsam den Mietmarkt – zeigte, dass sich die Beschwerden von Mietern auf große internationale und nationale Wohnungsbaukonzerne konzentrieren. Zu Saga, Genossenschaften und alteingesessene Hamburger Vermieter gab es dagegen kaum negative Resonanz.

Wie ist die Lage für Bürger, die eine Wohnung in Hamburg suchen?

Die Angebotsmieten, also für die in Tageszeitungen oder Internetportalen inserierten Wohnungen, stiegen zwischen 2007 und 2018 im Durchschnitt um rund 46 Prozent auf 11,46 Euro pro Quadratmeter. In deutschen Großstädten gab es nur in Berlin (plus 82 Prozent), München (plus 57 Prozent) und Stuttgart (plus 49 Prozent) noch stärkere Ausschläge.

Den Mieterverein besorgt besonders, dass auch Stadtteile, die noch als erschwinglich gelten, massiv teurer werden. Nach einer Auswertung des Gymnasiums Ohmoor in Niendorf – dort analysieren Oberstufenschüler unter Leitung eines Lehrers seit 1996 den Mietmarkt – stiegen von 2016 bis 2017 die Angebotsmieten in Allermöhe um 26,9 Prozent, in Steilshoop um 24,7 Prozent und in Billstedt um 12,8 Prozent. Mietervereins-Chef Siegmund Chychla warnt vor einem Verdrängungswettbewerb: „Es entsteht ein Konkurrenzkampf zwischen den Menschen, die neu hinziehen, und den Leuten, die dort schon länger leben.“

Die Immobilienbranche sieht die Angebotsmieten als Indikator für den Wohnungsmarkt skeptisch. Zum einen sei nicht sicher, ob der Inserent die Wohnung zum geforderten Preis vermieten könne. Zum anderen würden gerade günstige Wohnungen oft gar nicht inseriert, sondern über Wartelisten oder Mund-zu-Propaganda weitervermietet. Breitner sagt: „Unsere Mitgliedsunternehmen haben eine Fluktuation von rund acht Prozent. Dadurch werden in Hamburg pro Jahr rund 24.000 Wohnungen frei. Für eine Durchschnittsmiete von 6,46 Euro pro Quadratmeter.“

Sind Enteignungen der richtige Weg?

In Berlin sorgt die Bürgerinitiative „Deutsche Wohnen enteignen“ für Schlagzeilen. Sie will mit einem Volksbegehren die Immobilien von Großvermietern in Berlin verstaatlichen. Beim „MietenMove“ gibt es Sympathien für dieses Vorhaben. Im Aufruf heißt es: „Profitorientierte Miethaie sollten wissen, dass die Rechtsordnung der Bundesrepublik die Möglichkeit eröffnet, durch Vergesellschaftung für eine soziale und am Gemeinwohl orientierte Wohnungspolitik zu sorgen.“

Marc Meyer, Jurist der Organisation Mieter helfen Mietern, plädiert für einen Mietendeckel in Hamburg. In München läuft derzeit ein Volksbegehren in diese Richtung. Damit will der dortige Mieterverein erreichen, dass Mieten über einen bestimmten Zeitraum – denkbar wären etwa fünf Jahre – eingefroren werden, selbst Index- und Staffelmieten würden dann auf dem aktuellen Stand bleiben.

Mit dieser Aktion wurde für die Demo geworben.
Mit dieser Aktion wurde für die Demo geworben. © dpa | Georg Wendt

Breitner lehnt Mietendeckel wie Enteignungen als „populistische Kampfbegriffe“ ab. Damit würde „kein einziger Quadratmeter neuer, bezahlbarer Wohnraum entstehen“. Entschädigungen für Enteignungen würden zudem die Finanzkraft der Stadt schwächen: „Das Geld fehlt dann für den Bau neuer bezahlbarer Wohnungen.“

Auch die Hamburger SPD sieht Enteignungen nicht als geeignetes Mittel. „In Hamburg haben wir mit Saga und Genossenschaften zum Glück eine andere Situation und müssen diese drastischen Mittel nicht in Erwägung ziehen“, sagt Fraktionschef Dirk Kienscherf.

Breitner plädiert stattdessen für Baugebote, mit denen eine Kommune Eigentümer verpflichten kann, ihr Grundstück entsprechend dem Bebauungsplan zu bebauen. Auch Senatorin Dorothee Stapelfeldt hält Baugebote für sinnvoll, fordert von der Bundesregierung neue gesetzliche Regelungen. Derzeit seien die juristischen Hürden zu hoch. Stapelfeldt will zudem an der Mietpreisbremse (erlaubt bei Neuvermietungen maximal zehn Prozent mehr Miete) als auch an der sozialen Erhaltungsverordnung, mit der Mieter vor Verdrängung geschützt werden sollen, festhalten. Zudem steigere die Baupolitik des Senats – jedes Jahr sollen in Hamburg 10.000 Wohnungen entstehen – das Angebot an bezahlbarem Wohnraum.