Hamburg. 3000 Wohnungen und 16.000 Arbeitsplätze entstehen. Doch bevor die Bagger kommen, flammt ein alter Streit wieder auf.

Der Weg zum Ufer führt über dichtes Gestrüpp und überwucherte Hafenbahn-Gleise bis zu einer Hochwasser-Schutzwand, die zweieinhalb Meter aus dem Boden ragt. Ohne Rücksicht auf seinen Anzug klettert Professor Jürgen Bruns-Berentelg eine verrostete Leiter empor, den Blick jenseits der Mauer will er unbedingt präsentieren. Der Fernsehturm glitzert in der Sonne, der Michel zeigt sein schönstes Gesicht, die Elbphilharmonie scheint zum Greifen nah. Bruns-Berentelg schaut amüsiert in das staunende Gesicht des Reporters und lächelt: „Tut mir leid, dass ich Ihnen hier noch keine Wohnung verkaufen kann.“

Der Kontrast könnte in der Tat kaum größer sein. Drüben, auf der anderen Elbseite, ein fast kitschig schönes Hamburg-Panorama, hier eine Industriebrache mit verlassenen Hallen und staubigem Pflaster. Einige Gabelstaplerfahrer entladen zwar noch Container mit Elektrokleingeräten.

Doch weite Teile sind abgesperrt, ein Wachmann warnt eindringlich davor, sich den teils maroden Gebäuden zu dicht zu nähern. Es wäre der perfekte Drehort für einen Gruselfilm. Den Gedanken hatte auch Fatih Akin: Der Hamburger Regisseur drehte in einer der Hallen den Schocker „Der Goldene Handschuh“ über den Frauenmörder Fritz Honka.

Oberbaudirektor schwärmt vom Stadtteil Kleiner Grasbrook

Und doch soll genau hier, auf dem Kleinen Grasbrook, in den nächsten 20 Jahren ein neuer Stadtteil entstehen. Mit 3000 Wohnungen und bis zu 16.000 Arbeitsplätzen. Schon der Plan macht den Kleinen Grasbrook plötzlich erwachsen, er heißt nur noch Grasbrook.

Dorothee Stapelfeldt (SPD), Senatorin für Stadtentwicklung und Wohnen, spricht von einem „Meilenstein für die innere Entwicklung Hamburgs“. Und Oberbaudirektor Franz-Josef Höing schwärmt: „Ich kenne in der ganzen Republik kein anderes Grundstück mit einer derartigen Lagegunst am Wasser.“

Grasbrook-Werkstatt: Oberbaudirektor Höing (links), Senatorin Stapelfeldt (2. v. l.) und HafenCity-Chef Bruns-Berentelg (r.) im Bürgergespräch.
Grasbrook-Werkstatt: Oberbaudirektor Höing (links), Senatorin Stapelfeldt (2. v. l.) und HafenCity-Chef Bruns-Berentelg (r.) im Bürgergespräch. © HA | Marcelo Hernandez

Der Mann, der die Vision in die Realität führen soll, hat reichlich Expertise bei Mammutprojekten: Jürgen Bruns-Berentelg studierte Geografie und Biologie, kümmerte sich dann als Immobilienökonom für Konzerne um große Bauvorhaben in Berlin wie den Hauptbahnhof und das Sony-Center.

Seit 2003 verantwortet der ehemalige Marine-Offizier als Vorsitzender der Geschäftsführung eines der international angesehensten Stadtentwicklungsprojekte: die HafenCity. Und nun also der Grasbrook. Nicht so glamourös wie die HafenCity, aber nicht minder komplex. Denn auch hier geht es darum, auf engem Raum Wohnen und Gewerbe zu versöhnen.

Übersee-Zen­trum verfällt

Um das Versprechen der Senatorin einzulösen („Der Grasbrook wird ein Trittstein beim Sprung über die Elbe“), muss Bruns-Berentelg jedes Detail bedenken. Wie groß die Herausforderung ist, zeigen die großen blauen Container an den Kaimauern. In ihnen verbergen sich Instrumente, die messen, wie stark sich die gegenüberliegende Bananenreiferei hin- und herbewegt – die direkte Lage am Hafenbecken sorgt für hydraulischen Druck des Wassers. Diese stetige Bewegung beschädigt die alten Fundamente mit Holzpfählen und darüber stehenden Mauerwerkspfeilern.

Der markante Backsteinbau steht unter Denkmalschutz. „Aufgrund des statischen Zustands ist eine Weiternutzung schwierig“, sagt Bruns-Berentelg. Auch das 1967 eröffnete Übersee-Zen­trum verfällt. 2016 machte die Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA) das einst weltgrößte Stückgutverteilzen­trum dicht – es war angesichts des Containerumschlags aus der Zeit gefallen.

Und doch kann Bruns-Berentelg nicht einfach mit der Abrissbirne Grund und Boden für das neue Viertel schaffen, er will es auch gar nicht. Unter Denkmalschutz steht ebenfalls die Lagerhalle G am Dessauer Ufer, hier schufteten Häftlinge in einem 1944 eingerichteten Außenlager des KZ Neuengamme unter unmenschlichen Bedingungen. Die meisten Hallen werden dem Wohnungsbau weichen – bei weniger als 3000 Wohnungen gibt es weder die geplante Grundschule noch einen Supermarkt.

Herausforderung für die Planer

Diese Zahl zu erreichen bleibt die Herausforderung für die Planer, weil der südliche Teil des Grasbrooks dem Hafen vorbehalten bleibt. Zudem liegt das Gebiet direkt an der Bahntrasse, die Hamburg mit dem Süden verbindet, Tag und Nacht rattern hier S-Bahnen, Regional- und Fernzüge vorbei. „Hier entsteht vor allem der Lärm, vom Hafen dagegen hören Sie kaum etwas“, sagt Bruns-Beren­telg. Hohe Gewerbebauten sollen die Wohnungen akustisch abschirmen. „Sie werden den Sommer im Liegestuhl auf dem Balkon genießen können“, verspricht Bruns-Berentelg. Der Manager geht sogar noch einen Schritt weiter: „Wir haben mit der HafenCity einen Standard gesetzt, den auch international zurzeit niemand erreicht. Der Grasbrook wird noch besser werden.“ Schon 2021, sagt Berentelg beim Abschied, könnten hier die ersten Wohnungen entstehen.

Realistisch? Oder doch zu optimistisch? Die Geschichte des Kleinen Grasbrooks mahnt zur Vorsicht. Kein anderer Hamburger Stadtteil diente so oft als Projektionsfläche für kühne Träume wie dieses gerade 4,5 Quadratkilometer große feuchte Areal, im Mittelalter eine Viehweide. Bereits 2012 sollte sich hier die Jugend der Welt messen, doch Hamburgs Bewerbung um die Olympischen Sommerspiele zerschellte 2003 schon im nationalen Vorentscheid an Leipzig.

Wachsender Wohnungsmangel

Fünf Jahre zuvor wollte Stararchitekt Hadi Teherani eine Living Bridge zwischen HafenCity und Grasbrook in die Elbe bauen, eine 700 Meter lange Wohnbrücke mit 1000 Wohnungen. Die Living Bridge kam über den Entwurf nie hinaus. Teherani schäumte: „So etwas zeigt doch, dass man sich in Hamburg nicht engagieren sollte.“ 2010 floppte der vom damaligen schwarz-grünen Senat forcierte Plan, die Universität auf den Kleinen Grasbrook zu verlegen.

In diesen Hallen auf dem Grasbrook werden schon lange keine Güter mehr umgeschlagen, die meisten werden Wohnungen weichen müssen.
In diesen Hallen auf dem Grasbrook werden schon lange keine Güter mehr umgeschlagen, die meisten werden Wohnungen weichen müssen. © HA | Roland Magunia

Am 29. November 2015 scheiterte dann die bislang spektakulärste Grasbrook-Vision. Mit 51,6 Prozent stimmten Hamburgs Bürger bei einer Volksbefragung gegen eine Bewerbung um die Sommerspiele 2024. Statt Schampus flossen im VIP-Bereich der Barclaycard Arena Tränen, Spitzensportler wie Moritz Fürste (Hockey), Eric Johannesen (Rudern) oder Edina Müller (Paralympics), die sich über Monate für die Bewerbung engagiert hatten, reagierten fassungslos. „Ohne Olympische Spiele bleibt der Kleine Grasbrook Hafen“, erklärte Olaf Scholz nach der Niederlage.

Doch im März 2016, offenbar unter dem Eindruck des wachsenden Wohnungsmangels, dachte der damalige Bürgermeister um. In über 100 Verhandlungsrunden zimmerte der Senat mit der Hafenwirtschaft einen Kompromiss: Im Norden entstehen Wohnungen und Gewerbe, der südliche Bereich bleibt in Hafennutzung. Kann nun der neue Anlauf gelingen? Wer nach Antworten auf diese Frage sucht, sollte sich näher mit der Geschichte des Scheiterns auf dem Grasbrook beschäftigen. Und dafür gibt es in Hamburg keinen besseren Gesprächspartner als den Juristen Nikolas Hill.

Was hätte Olympia Hamburg gebracht?

Fünfter Stock eines Bürohauses an den Colonnaden, nur zwei Fußminuten entfernt vom Stephansplatz. Hier residiert die Beratungsgesellschaft von Beust & Coll., die der ehemalige Erste Bürgermeister 2013 gründete. Auf seiner Website verspricht das Unternehmen „maßgeschneiderte, individuelle Strategie-, Wirtschafts- und Kommunikationsberatung“. Von Beust holte mit Hill seinen ehemaligen Leiter des Planungsstabs in sein Team. Hills Expertise wurde so geschätzt, dass Bürgermeister Scholz nach dem Regierungswechsel dem CDU-Mitglied Hill zwei seiner wichtigsten Projekte anvertraute: das Finale der Verhandlungen beim Bau der Elbphilharmonie. Und die Olympiabewerbung.

Der einstige Geschäftsführer der Bewerbungsgesellschaft wirft nur einen kurzen Blick auf die vom Abendblatt-Reporter mitgebrachte Olympia-Broschüre, die der Senat 2015 erstellte, um für die „Spiele der kurzen Wege“ zu trommeln. Hill kennt die Simulationen der „Olympic City“ mit dem Olympiastadion an der Grasbrook-Spitze, das man nach den Spielen zu einer Leichtathletik-Arena mit 400 Terrassenwohnungen umbauen wollte. Das Thema Nachhaltigkeit hatte Hills Crew bis ins letzte Detail vorangetrieben, die Folien des Stadiondachs sollten etwa zu Olympiataschen verarbeitet werden. Stattdessen wurde Hill zum Trümmermann der Ringe. Nach dem gescheiterten Referendum wickelte er die Bewerbungsgesellschaft ab, Pläne und Akten liegen nun im Archiv der Sportbehörde.

Ein neuer Stadtteil für Hamburg: Diese Visualisierung zeigt einen ersten architektonischen Entwurf.
Ein neuer Stadtteil für Hamburg: Diese Visualisierung zeigt einen ersten architektonischen Entwurf. © Hosoya Schaefer Architects

„Am Ende hätten wir nur rund 10.500 Stimmen in die andere Richtung drehen müssen. Dies hätte auch funktioniert, wenn es die erhoffte Finanzzusage des Bundes für die Spiele gegeben hätte“, sagt Hill. Die Entscheidung der Hamburger Bürger gegen eine Bewerbung hält er nach wie vor für falsch: „Wir haben eine große Chance verpasst. Mit Olympischen Spielen hätten wir Hamburg als die Metropole Nordeuropas pushen können.“ Olympia, sagt Hill, hätte schon dank der Impulse für die Infrastruktur über Jahrzehnte Hamburgs Wohlstand gesichert. Den Einwand vieler Experten, Hamburg wäre im Konkurrenzkampf gegen Weltstädte wie London oder Paris eh chancenlos gewesen, lässt Hill nicht gelten: „Viele IOC-Mitglieder wollten neue Spiele ohne Gigantomanie mit kurzen Wegen, wie wir sie geboten hätten.“

Hill entwickelte auch Grasbrook-Plan für Uni

Kaum jemand weiß, dass es Hills zweite Niederlage im Hafengebiet war. Denn der Jurist hatte als Leiter des Planungsstabs zuvor die kühne Idee entwickelt, die Uni auf den Grasbrook zu verlegen. „Statt immer weitere Millionen in die Sanierung maroder Gebäude zu stecken, hätten wir an der Bundesstraße in bester Lage von Eimsbüttel ein attraktives Viertel für familiengerechte Wohnungen schaffen können“, sagt Hill. Auf dem Grasbrook wäre genügend Platz gewesen, um eine „innovative Universität mit internationaler Strahlkraft zu bauen“. Doch die Lobby der Studenten bei den Grünen sowie die innerparteilichen Widerstände der CDU seien zu stark gewesen: „Da haben Mitglieder um das Lebensgefühl im Grindelviertel gefürchtet.“ Auch die Universität habe zu sehr die Risiken und nicht die Chancen gesehen.

Die Euphorie um die neuen Grasbrook-Pläne mag er nicht teilen. Es sei zwar richtig, dass der Senat „diese Eins-a-Lage“ nutzen will: „Aber ich finde den Ansatz mutlos, es wird ja nur ein kleiner Teil des Grasbrooks umgewandelt.“ Konsequenter wäre es, sagt Hill, das gesamte Quartier zu entwickeln und die Hafenbetriebe umzusiedeln: „Jetzt muss man auf einer kleinen Fläche Wohnen, Gewerbe und Grünflächen unterbringen, also entsprechend dichter bauen, was die Attraktivität mindern wird. Früher und später wird man ohnehin das komplette Areal umwidmen. Jetzt nur den ersten Schritt zu gehen erschwert unnötig die Planungen.“

„Stadt wurde ein Stück weit erpressbar“

Der Senat, so sieht es Hill, habe am Ende zu viele Kompromisse gegenüber der Hafenwirtschaft gemacht – genau wie in der Olympia-Phase: „Die Stadt wurde ein Stück weit erpressbar, bestimmten Lobbyisten der Hafenwirtschaft ging es darum, ein Maximum an Entschädigungsleistungen herauszuholen. Da sollte die städtische Kasse regelrecht geplündert werden.“ Dabei habe der Grasbrook für die Hafenwirtschaft in Wahrheit kaum Relevanz: „Dort verschlingen beispielsweise für den Umschlag nebeneinander geparkte Autos extrem viel Platz in einer so innenstadtnahen Lage. Das ist eine Verschwendung städtischen Vermögens.“

Und auch wenn der Jurist keinen Namen nennt, ist klar, wen er meint, wenn er von der Hafen-Lobby spricht: Gunther Bonz, seit 2011 Präsident des Unternehmensverbands Hafen Hamburg. Zum Abendblatt-Gespräch bittet Bonz in den sechsten Stock der Euro­gate-Holding – der Hafen-Manager arbeitet als Generalbevollmächtigter für Europas größte reedereiunabhängige Containerterminal- und Logistik-Gruppe. Den Blick auf die zwischen Containern wuselnden Hafenarbeiter genießt Bonz jeden Tag: „Hier gibt es keine prekären Jobs, hier wird noch richtig gut bezahlt.“

Bonz: Stadtteil Grasbrook bedeutend als Hafenstandort

Wahrscheinlich macht Bonz genau diese Begeisterung so stark: Im Gegensatz zu den Beratern in Brüssel oder Berlin, die für horrende Stundensätze Lobbyarbeit für Pharmakonzerne oder Automobilunternehmen verrichten, kämpft der ehemalige Staatsrat der Wirtschaftsbehörde im Ehrenamt für den Hafen. Ein früherer leitender Mitarbeiter der Behörde nennt ihn respektvoll „einen Krieger“: „Bonz geht keinem Konflikt aus dem Weg.“

Der Morgen: So könnte der Grasbrook aus westlicher Richtung aussehen (links der geplante Elbtower).
Der Morgen: So könnte der Grasbrook aus westlicher Richtung aussehen (links der geplante Elbtower). © BSW/Hosoya Schaefer Architects

Im Abendblatt-Gespräch will Bonz zunächst mit zwei Vorwürfen aufräumen. Der Hafen, sagt er, habe weder gegen Olympia noch die jetzigen Bebauungspläne votiert, es sei immer nur um die fälligen Ausgleichsflächen gegangen. Und entgegen Hills Auffassung sei der Grasbrook sehr wohl bedeutend als Hafenstandort: „Hier werden keine schrottreifen Autos umgeschlagen, sondern zum Beispiel Mercedes der S-Klasse. Das zeigt unsere Stellung als Universalhafen. Wir können eben mehr als Container oder Rohöl, was auch das Fruchtzentrum zeigt.“

Projekt ist alles andere als ein Selbstläufer

Beim Stichwort Fruchtzentrum schaltet Bonz in den Angriffsmodus – und spätestens jetzt wird klar, dass das Projekt Grasbrook alles andere als ein Selbstläufer ist. Bonz tippt auf § 3 des sogenannten „Letter of Intent“, der Absichtserklärung, mit der sich Senat sowie der Industrieverband Hamburg und eben die Hafenwirtschaft 2017 auf den Grasbrook-Plan verständigten. „Ansässige und zukünftige Unternehmen am Kleinen Grasbrook erhalten eine langfristige Standortperspektive. Die schließt – falls erforderlich – auch Mietverträge und Vertragsverlängerungen mit einer 30-jährigen Laufzeit ein“, heißt es dort.

Das Gestern: So hätte die „Olympic City“ aussehen können. Doch die Bewerbung scheiterte 2015 am Referendum.
Das Gestern: So hätte die „Olympic City“ aussehen können. Doch die Bewerbung scheiterte 2015 am Referendum. © cap/Arup/Vogt/ Kunst+hebe/dpa

Genau diese Passage sieht Bonz akut gefährdet: „Wir hatten klar geregelt, dass der Mietvertrag mit der Firma Unikai verlängert wird. Dies gehörte zu den Gegenleistungen für den Flächenverzicht. Ich bin sehr irritiert, dass dies eineinhalb Jahre später noch immer nicht geschehen ist.“ Dies gefährdet laut Bonz ein Millionenprojekt – das geplante Fruchtzentrum für Nordeuropa, das Edeka als Großkunde der Unikai Lagerei- und Speditionsgesellschaft bauen will. „Ein solches Investment geht niemand ein, wenn es keine langfristigen Mietverträge und damit Investitionssicherheit gibt.“ Und dann sagt er: „Unter hanseatischen Kaufleuten gilt der Handschlag. Hier haben wir sogar eine schriftliche Vereinbarung mit dem Senat. Auf diese müssen wir uns verlassen können.“

Riegelbebauung als Lärmschutz

Und das Fruchtzentrum, das die marode Bananenreiferei ersetzen soll, ist nicht der einzige Zankapfel. Bonz sieht grundsätzlich „die große Kompromissbereitschaft der Hafenwirtschaft, etwa durch spätere Zusagen zur eingeschränkten Gefahrgutlagerung“, seitens des Senats nicht angemessen honoriert. Stattdessen werde wieder über die Frage diskutiert, wer die Infrastrukturkosten zahlen soll, allein für die Beseitigung der Altlasten im Boden könnte laut Bonz ein mittler zweistelliger Millionenbetrag fällig werden.

Und dann geht es auch um die Riegelbebauung als Lärmschutz. Spätestens hier ist für Bonz die rote Linie überschritten: „Es ist ausgeschlossen, dass wir uns jetzt auch noch an diesen Kosten beteiligen. Das ist allein Sache der Stadt. Sollte sich das Projekt auch durch hohe Kosten für Bodensanierung und Kaimauerbauten nun aus Sicht der Stadt betriebswirtschaftlich nicht mehr rechnen, haben wir das nicht zu verantworten. Dann hätten Stadtplaner ihre Hausaufgaben besser machen müssen.“

Bruch der Vereinbarung

Ohnehin hat Bonz zunehmend das Gefühl, „dass Teile des Senats am liebsten doch den gesamten Grasbrook für den Wohnungsbau entwickeln möchten. Doch dies wäre ein klarer Bruch unserer Vereinbarung. Wenn der Senat das Verhandlungspaket noch einmal aufschnüren will, geht das nur gemeinsam. Hanseaten besprechen Probleme offen und versuchen nicht, den Partner an der Nase herumzuführen.“

Der Zufall will es, dass nur 27 Stunden nach dem Termin mit Bonz das vereinbarte Gespräch mit Oberbaudirektor Franz-Josef Höing ansteht. Höing muss nicht groß über den viel zitierten Sprung über die Elbe philosophieren, seine Behörde hat ihn bereits 2013 – weit vor seinem Amtsantritt 2017 – mit dem Umzug nach Wilhelmsburg vollzogen. Für Höing nur konsequent: „Der Beschluss zeigte, dass man das ernst meinte und nicht dachte, dass dies gefälligst die Institutionen machen sollen, die sich Immobilien in anderer Lage nicht leisten können.“

Mit seiner eher bedächtigen Art und dem Idiom seiner münsterländischen Heimat unterschätzt man ihn leicht. Doch ohne Machtbewusstsein wird niemand höchster technischer Beamter einer Millionenmetropole. Als die Stararchitekten von David Chipperfield – der Name hat in der Szene einen Klang wie Ronaldo oder Messi in der Fußballwelt – ihren Entwurf für den Elbtower präsentierten, erklärte Höing trocken: „Elegant gemeint, aber nicht elegant gemacht.“ In Tag- und Nachtschichten besserte die Chipperfield-Crew nach.

Oberbaudirektor will am Kompromiss festhalten

Der Grasbrook hat selbstredend nicht die architektonische Wucht wie der geplante Gigant im Osten der HafenCity, birgt aber die gleiche Brisanz. Und natürlich hat Höing die Friktionen mit der Hafenwirtschaft registriert, zumal manche Spitzen-Grüne seit Langem das selbstbewusste Auftreten der Hafen-Manager nervt. Und mit seinem Verdacht, dass manche im grünen Umfeld eine Komplettlösung, also einen Stadtteil ganz ohne Hafenbetriebe, favorisieren, liegt Bonz so falsch nicht. Sogar Bürgermeister Peter Tschentscher schaltete sich in den Streit um den geplanten Autoumschlag auf dem Grasbrook ein – manche Entscheider auf Behördenseite halten das geplante Parkhaus für überdimensioniert und falsch platziert.

Höing kann diesen Konflikt nicht gebrauchen, er weiß, dass ein Aufschnüren der Grasbrook-Paketlösung alle Pläne gefährdet. Deshalb will er an dem Kompromiss mit dem Hafen festhalten: „Ich bin sehr froh, dass wir nach der gescheiterten Olympia-Bewerbung auf einem Teil des Grasbrooks ein neues dichtes, gemischtes Stadtquartier in zentralster Lage planen können. Dafür gebührt allen Akteuren Dank. Außerdem haben wir genügend andere Standorte mit Potenzial zum Wohnungsbau. Denken Sie nur an Oberbillwerder oder an die Science City in Bahrenfeld.“

Stadtteil-Projekt nicht überfrachten

Höing warnt davor, das Projekt zu überfrachten: „Wir sind gut beraten, jetzt nicht Versprechungen zu machen, die wir später womöglich als nicht finanzierbar kassieren müssen.“ Wirklich großen Wert legt er auf die Verlängerung der U-Bahn-Linie 4 von der Station Elbbrücken bis zum Grasbrook.

Höing baut mit guten Chancen auf die Kompromissbereitschaft der Widersacher. Denn niemand will derzeit den Grasbrook-Plan grundsätzlich riskieren. Auch nicht die Grünen – schließlich kann es dort aus ökologischer Sicht nur besser werden, auf dem hoch belasteten Indus­triegelände brüten weder seltene Vögel, noch quaken schützenswerte Frösche. Der Naturschutzbund feiert denn auch die „Überwindung der Widerstände gegen eine Umnutzung des Grasbrooks“ als einen guten und wichtigen Schritt in die richtige Richtung. Zudem bietet der Grasbrook eine historische Chance, den Nachbarstadtteil Veddel mit all seinen Problemen aufzuwerten.

Nicht zuletzt erfüllt die Bürgerbeteiligung alle grünen Wünsche in Sachen Basisdemokratie. In vier „Grasbrook-Werkstätten“ diskutierten Senatorin Stapelfeldt, Oberbaudirektor Höing und HafenCity-Chef Bruns-Berentelg mit Interessierten über die Pläne – von der Anbindung zur Veddel über die Flora im Park bis hin zur Müllentsorgung. Mitarbeiter notierten die Ideen, dokumentierten sie für den Auftritt im Internet (www.grasbrook.de).

Alles ist im Fluss, lautet die Botschaft, selbst die Lage des Elbuferparks stehe noch nicht final fest. „Es gibt ein paar Platzhalter-Skizzen, aber keine genauen Pläne“, sagt Höing. Offensichtlich hat der Senat aus Niederlagen der Vergangenheit gelernt, der Grasbrook soll gemeinsam mit den Bürgern entwickelt werden.

Am Ende aber, und das wissen die Beteiligten, wird alles davon abhängen, ob Investoren den Sprung über die Elbe auf ein derart belastetes Gelände wagen, in unmittelbarer Nähe von Bahngleisen, Hafenbetrieben und Elbbrücken die versprochenen 3000 Wohnungen bauen. Wiegt die fantastische Aussicht auf das Hamburg-Panorama das Lärmproblem wirklich auf? Wie attraktiv ist der Stadtteil noch, wenn die geplante U-Bahn-Verlängerung aus Kostengründen vorerst nicht kommen sollte? Vor allem aber: Was passiert, wenn eine von vielen Experten befürchtete Rezession in Deutschland die Nachfrage auf dem Immobilienmarkt dämpft?

Bei diesen Unwägbarkeiten tut es den Grasbrook-Entscheidern gut, wenn sich ein Konzern wie die Saga (132.000 Wohnungen) zu diesem Projekt bekennt. Beim symbolischen Spatenstich für einen Neubau in der HafenCity vis-á-vis dem Grasbrook hinterlegte Vorstandschef Thomas Krebs jüngst seine Bereitschaft: „Wir wären sehr gern dabei.“ Senatorin Dorothee Stapelfeldt vernahm es mit sichtlicher Freude.