Hamburg. Gewerkschaft kritisiert Drogenhandel aus der JVA Glasmoor heraus. Behörde verweist auf scharfe Kontrollen.

Sie waren dem Mann seit Monaten auf der Spur – aber erst am Mittwoch gab es die Gelegenheit für den Zugriff. Als Kwadowo B. (34) zwei Komplizen am Wiedehopfstieg in Bramfeld einen Beutel mit zwei Kilogramm Marihuana übergab, nahmen die Zivilfahnder ihn fest. Der gebürtige Hamburger ist das, was Ermittler einen „Dealer der mittleren Ebene“ nennen – aber für Kripo-Vertreter auch ein besonders alarmierender Fall. Denn Kwawodo B. zog seine illegalen Geschäfte als Insasse im offenen Vollzug der Justizvollzugsanstalt Glasmoor auf.

Dort kam er bereits seit Ende 2017 in den Genuss, ein Freigänger zu sein. Sein Haftende war ursprünglich für 2021 vorgesehen. Für Jan Reinecke, Landesvorsitzender des Bunds Deutscher Kriminalbeamter in Hamburg, ist die Festnahme keine Überraschung. „Dass der offene Vollzug von Drogenhändlern oder Menschen aus dem Rotlichtmilieu ausgenutzt wird, um ihren Geschäften nachzugehen, ist nicht neu“, sagt er. „Mir wurden zahlreiche Fälle zugetragen.“

Kontaktbörse und „Weiterbildungsort“

Nach Abendblatt-Informationen sind Ermittler bei laufenden Drogenermittlungen mehrmals auf Verdächtige gestoßen, die sich bereits im offenen Vollzug der JVA Glasmoor befinden. Ein Sprecher der Justizbehörde sagte, erwiesene Fälle von Missbrauch im offenen Vollzug seien die Ausnahme. Bereits bei der Prüfung der Haftlockerung werde ein „strenger Maßstab“ angelegt. Laut dem Gewerkschafter Reinecke gibt es dagegen ein weit verbreitetes System von Kriminellen, das bereits in der Untersuchungshaftanstalt anfängt.

Das Gefängnis am Holstenglacis fungiere dabei als Kontaktbörse und „Weiterbildungsort“. Die Insassen tauschten untereinander Akten aus, die ihnen ihre Anwälte zugänglich gemacht haben. „Einerseits wird so von anderen geprüft, ob man einen vertrauenswürdigen Mann vor sich hat – da in der Akte vermerkt ist, ob er ausgesagt hat oder nicht. Anderseits werden die Akten genutzt, Fehlerquellen zu analysieren, die zu einer Festnahme geführt haben.“

Behörden sollen getäuscht werden

Ansonsten würden sich diese Täter im Untersuchungsgefängnis und später auch im geschlossenen Vollzug „vorbildlich“ verhalten. „Das Ziel ist es, schnell in den offenen Vollzug zu kommen“, sagt der BDK-Landesvorsitzende. Die Behörden sollen dabei getäuscht werden. Dann, so Reinecke, würden die neuen Kontakte genutzt, die man spätestens in Glasmoor bekomme.

Der jetzt festgenommene 34-Jährige musste knapp zwei Jahre auf die Verlegung in den offenen Vollzug warten. Ende 2015 war er in Haft gekommen. Obwohl er bereits seit 18 Jahren immer wieder bei der Polizei auffällig wurde, bekam er bereits nach Verbüßung von rund einem Drittel der Haftstrafe das Privileg, Freigänger zu sein. Der Sprecher der Justizbehörde betonte, dass der offene Vollzug ein wichtiger Baustein für die Resozialisierung von Kriminellen sei. „Er fördert zugleich die Selbstständigkeit und Eigenverantwortlichkeit der Gefangenen.“ Straftäter, bei denen eine Missbrauchs- oder Fluchtgefahr erkennbar sei, würden aber davon ausgeschlossen.

Täter loben „Hotelqualitäten“ des Gefängnisses

In der Regel brauchen die Gefangenen im offenen Vollzug entweder eine Arbeit oder eine Fortbildung in der Außenwelt, um tagsüber Freigang zu erhalten. „Auch hier gibt es Mittelsmänner, die solche Arbeitsverträge für die Freigänger organisieren. Rund 95 Prozent der Freigänger aus diesem Milieu, die einen Arbeitsvertrag vorweisen, arbeiten in der Praxis kaum oder gar nicht“, sagt der BDK-Landesvorsitzende Reinecke.

Die Justizbehörde verweist dagegen auf eine genaue Prüfung der genannten Arbeitgeber. Kwadowo B. wurde demnach mehr als 16-mal an seinem Arbeitsplatz besucht, es habe keine Beanstandungen gegeben. „Die Kontrollen finden unangekündigt und in unregelmäßigen Abständen statt“, betont der Behördensprecher.

Wer Straftaten begehe, verliere die Privilegien eines Freigängers – auch werde in der JVA Glasmoor energisch gegen den Versuch vorgegangen, etwa Handys in die Zellen zu schmuggeln. Der Gewerkschafter Reinecke kritisiert jedoch, dass sich die Kriminellen auch logistisch innerhalb des Gefängnisses unterstützten. „Kleine Dealer bekommen dort die Kontakte, um große Dealer zu werden“, so Reinecke.

Was dann die Kriminalbeamten im Laufe der Ermittlungen über die Täter erfahren, hat laut Reinecke manchmal einen Anflug von bitterer Komik. So haben sich bereits Insassen darüber erfreut gezeigt, dass sie in Glasmoor endlich mal Ruhe vor ihrer Frau hätten oder der Vollzug „Hotelqualitäten“ habe. Mit Blick auf Justizsenator Till Steffen (Grüne) werde die Justizvollzugsanstalt bereits mitunter „Hotel Steffen“ genannt.

Kontinuierlich am System arbeiten

An eine gelungene Resozialisierung glaubt Reinecke in diesen Fällen nicht. „Dealer ist der Beruf, den sie für sich auserkoren haben.“ Die Justizbehörde betonte, dass verstärkt auf die Umtriebe der Gefangenen geachtet werde. Erst jüngst habe in Glasmoor erneut eine Schulung stattgefunden. „Missbrauch ist nie auszuschließen“, so der Sprecher. Es werde kontinuierlich an dem System gearbeitet.