Hamburg. Viele spenden Bestecke und andere Dinge, aus denen Abendmahlsgefäße für die Hauptkirche entstehen. Aktion läuft bis 14. April.

Werner Schumacher, Mitglied der Schützengilde von Meiendorf, hat viel erreicht in seinem Leben. Der 80-Jährige trägt gerade 50 silberne Schützenorden bei sich, als er die Englische Planke passiert. Darunter sind einige seines verstorbenen Freundes Fritz Wiese, der ebenfalls Schütze war. Es sind Orden, die herausragende Leistungen als Schützenkönig oder Jahresbester per Edelmetall für die halbe Ewigkeit festhalten wollen.

Der Meiendorfer Werner Schumacher betritt nun das Portal der Hauptkirche St. Michaelis und geht direkt zum Altar­. Dort wartet bereits Hauptpastor Alexander Röder. Wo in der Weihnachtszeit die Krippe mit Ochs und Esel steht, thront in diesen Tagen eine Truhe in der Nähe von Altar und Kanzel. Prall gefüllt ist sie mit Silberlöffeln, Silbermessern, Silberschalen. Werner Schumacher, einst im Obst- und Gemüsegroßhandel tätig, zögert nicht lange und legt die 50 Orden für zielgenaues Schießen auf den Silberberg in Norddeutschlands schönster Barockkirche. „Meine Familie kann die Orden nicht gebrauchen, also trenne ich mich von ihnen, damit sie zu einem Abendmahlskelch werden“, sagt der Pensionär. Und lächelt ein bisschen stolz.

Denn bis zum 1. Advent 2019 wird handwerkliche Kunst den feinen Silberberg in 15 Abendmahlskelche verwandelt haben. Mit der Aktion „Aus Familien­silber werden Michel-Kelche“ will die Stiftung St. Michaelis neue Abendmahlskelche exklusiv anfertigen lassen.

Margarete Oehlschlaeger mit Michael Kutz und einer Kelch-Zeichnung.
Margarete Oehlschlaeger mit Michael Kutz und einer Kelch-Zeichnung.

Traubensaft hat sich ins Silber gefressen

Die bisherigen Stücke stammen aus den 1980er-Jahren und seien stark reparaturbedürftig, sagte Michel-Hauptpastor Alexander Röder. Schließlich sind sie jeden Sonntag in Gebrauch. Pro Jahr feiern 10.000 Menschen das Heilige Abendmahl im Michel, das für die sakrale Gemeinschaft mit Jesus Christus steht und an das Letzte Mahl mit seinen Jüngern vor dem Kreuzestod erinnert.

Vor allem der Traubensaft, seit 30 Jahren als Rotweinersatz in Mode, hat sich ins Metall der Michel-Kelche gefressen. Die Anschaffung von neuem liturgischen Gerät ist unterm Strich preiswerter als eine Restaurierung. Also startete der Michel vor gut einem Monat diese ungewöhnliche Spendenaktion. Am ersten Sammeltag wurden bereits neun Kilogramm Silber gespendet. „Inzwischen sind es 50 Kilogramm hochwertiges 800er Silber und 100 Kilogramm Auflagebesteck“, sagt Michel-Stiftungs-Geschäftsführer Michael Kutz.

Darunter sind Familienstücke wie das Taufbesteck eines verstorbenen Sohnes, alte und löchrige Silberlöffel, die wirklich nur noch eingeschmolzen werden können, und aus brennenden Häusern gerettetes Silber, als angloamerikanische Bomber beim „Feuersturm“ 1943 die Stadt in Schutt und Asche legten. Darunter befinden sich nun auch die Orden des Schützen Schumacher. „Wir sind dem Michel seit Jahrzehnten verbunden. Er ist eine Institution“, sagt er.

Derweil sitzt auf einer Kirchenbank vor dem Silberberg die Lübecker Silberschmiedemeisterin Margarete Oehlschlaeger. Sie hat den Auftrag erhalten, die 15 neuen Kelche für den Hamburger Michel zu schaffen. Die Meisterin hat bereits zahlreiche solcher Kelche, aber auch Hostiendosen und Kreuze angefertigt oder historisch originalgetreu restauriert. Die neuen Michel-Kelche werden 23 Zentimeter hoch sein und beim Trinkgefäß, der Kuppa, Ähnlichkeiten mit der Turmhaube des Kirchengebäudes aufweisen – so viel künstlerische Analogie zum großen Michel sollen die kleinen Abendmahlsgeräte schon aufweisen. Pro Kelch, schätzt Meisterin Oehlschlaeger, werde eine dreiwöchige Arbeitszeit benötigt.

Kleinste Silberscheideanstalt in Deutschland

Bevor ihre Werkstatt das Silber bekommt, muss der Schatz aus der Truhe eingeschmolzen werden. Das übernimmt die kleinste Silberscheideanstalt Deutschlands, Schiefer & Co., in Hamburg. Dort wird der Schatz zu Feinsilber veredelt. Dazu kommt etwas Michel-Kupfer vom alten Dach der Kirche, sodass eine 925er Silberlegierung entsteht – das Material für die Silberschmiedin.

Mit einem Zertifikat garantiert die Silberscheideanstalt, dass dieses Michel-Silber ausschließlich aus gespendetem Familiensilber hergestellt wurde. Die Kosten für die Veredelung und die Fertigung liegen bei rund 6000 Euro pro Kelch, die durch Geldspenden aufgebracht werden sollen, heißt es in der Michelstiftung.

Der Meiendorfer Schütze Werner Schumacher jedenfalls freut sich schon darauf, bei einem Gottesdienst nach dem 1. Advent 2019 einen neuen Kelch in der Hand zu halten. Denn irgendwo stecken da auch seine Orden mit drin.