Hamburg. Vor 125 Jahren wurde er geboren. In seinen Büchern nahm der Politiker mit spitzer Feder Hamburgs Großbürgertum aufs Korn.

Schon der Name schien ihn automatisch für den Kulturbetrieb zu prädestinieren: Ascan Klée Gobert. Manche erinnern sich heute in Hamburg vor allem deshalb an diesen Schriftsteller und Kulturpolitiker, weil er der Vater des langjährigen Intendanten des Thalia Theaters, Boy Gobert, war. Dass Gobert senior, der am 19. März vor 125 Jahren geboren wurde, in der Stadt noch nicht ganz vergessen ist, liegt aber auch an seinem schriftstellerischen Werk. Vor allem seine Trilogie „Kindheit im Zwielicht“, „Zacke und Loch“ und „Der Stundenplan“ liest sich auch noch Jahrzehnte nach ihrem Erscheinen informativ und sehr amüsant.

Viele seiner Beschreibungen hatte man vorher so noch nie gelesen – und danach auch nicht mehr. Entsprechend war Gobert vermutlich der letzte Chronist einer mit der Kaiserzeit untergegangenen mondänen Gesellschaftsschicht, die das Hamburg der Zeit um 1900 ganz entscheidend prägte. Wer seine Schilderungen liest, versteht auch, warum Hamburgs Großbürgertum die krisenhafte Entwicklung vor dem Ersten Weltkrieg kaum wahrnahm und im Sommer 1914 buchstäblich aus allen Wolken fiel. „Die Gesellschaft Hamburgs zu Beginn des 20. Jahrhunderts“ wollte er laut Untertitel abbilden, allerdings liegt der Schwerpunkt naturgemäß auf dem Großbürgertum, dem er selbst entstammte.

Gobert fuhr zweigleisig

Als Gobert 1894 in Pöseldorf geboren wurde, standen in der Nachbarschaft noch Pferdeställe, und am Fährdamm weideten Kühe. Mit dem Umzug in die Fährhausstraße auf der anderen Alsterseite riskierte die Familie „ihre Zugehörigkeit zur Hautevolee“, so Gobert ironisch, zumal am Mühlenkamp „schon fast der Wind von Chikago wehte“.

Wie viele seines Standes besuchte er das Johanneum, studierte Jura und wurde dann selbstständiger Versicherungskaufmann. Das Bemerkenswerte an seiner Vita ist, dass Gobert diesem Pfeffersack-Milieu offensiv entfloh, indem er zweigleisig fuhr: Schon seit Mitte der 1920-Jahre war er freier Mitarbeiter der „Frankfurter Zeitung“ und veröffentlichte landesweit zahlreiche feuilletonistische Texte und Bücher.

Die vielen merkwürdigen Angewohnheiten und Spleens der Hamburger Oberschicht beschreibt er zwar amüsant-liebevoll, es fehlt aber auch nicht an deutlicher Kritik. Wie „hinter einer Glasscheibe“ hätten die oberen Zehntausend vor dem Ersten Weltkrieg gelebt – ohne jegliche Berührung mit anderen Schichten und auch ohne bemerkenswertes Interesse für das Alltagsgeschehen. Wie eine Metapher wirkt da folgende Anekdote aus „Zacke und Loch“: „Es gab damals einen Mann, welcher jahrein, jahraus am Dienstag in Pöseldorf, am Mittwoch auf der Uhlenhorst, und so an allen Wochentagen in einem anderen Wohnviertel die Uhren stellte und aufzog.“

Nach dem Zweiten Weltkrieg Justizsenator

Über das altehrwürdige Johanneum bemerkt er trocken, es sei „blindlings am Jahrhundert des Kindes vorbeigegangen“. Die Lehrer hätten nicht gemerkt, „dass auch humanistische Schüler im 20. Jahrhundert Kinder geblieben waren, mit jugendlichen Wünschen nach Spiel, Sport, Luft und Sonne“. Eine volle 34-Stunden-Woche („ohne Kantine“) mussten die Heranwachsenden bei sturer Paukerei in der Schule verbringen – „zusätzlich 12–15 Arbeitsstunden im Hause, dazu Nachhilfe- und Musikunterricht“. Goberts Bilanz dazu: „Obgleich wir niemals Schwierigkeiten in der Schule hatten, waren wir zeitlebens erleichtert, nie wieder so hoffnungslos intensiv arbeiten zu müssen.“

Ganz anders seine Bewertung der „höheren Töchterschulen“ in der Stadt. „Da die Schulvorsteherinnen und Lehrerinnen sich wenig im Niveau ihrer Schülerinnen unterschieden“, schreibt er sarkastisch, „,wuchsen sich diese Schulen sozusagen zur Fortsetzung des Familienlebens aus, insbesondere, was die stets vorhandene Neugier der meist unverheirateten, bescheidenen Damen am ,High Life‘ der Elternhäuser betraf.“

Fast schon krankhafte Sparsamkeit

Gobert schreibt von der fast schon krankhaften Sparsamkeit in diesen Kreisen, von dem geradezu panischen Festhalten an Althergebrachtem. Das ging so weit, dass die Kaufleute morgens im Laufschritt zur Börse eilten, um nicht die 30 Pfennig „Sperrgeld“ für Zuspätkommen bezahlen zu müssen. Möbel wurden in diesen Kreisen nie ausgemustert, Geschenke stets aufgehoben. Entsprechend waren die Villen bis unters Dach mit Hausrat vollgestopft und dabei auch noch zum Verwechseln eintönig.

Ascan Klée Gobert (1894–1967)
Ascan Klée Gobert (1894–1967) © FHH Staatsarchiv Hamburg

Goberts kunstvoll eingebaute Anekdoten attestieren den reichlich blasierten Reedern, Maklern und sonstigen Nachfahren der Selfmade-Men von einst eine erstaunlich geringe Allgemeinbildung, und statt weltmännischen Wagemuts prägten vielfach Bequemlichkeit, Langeweile und eine kleinbürgerliche Angst vor Veränderungen (und Erkältungen) die Stimmung in den riesigen Villen an Alster und Elbe.

„Wir fragen uns oft, was haben in einem Haushalt von fünf bis sechs Personen eigentlich Köchin, erstes Mädchen, zweites Mädchen, Gouvernante, Kindermädchen den Tag über gearbeitet“, wundert sich Gobert rückblickend, „zumal morgens noch so genannte ,Morgenmänner’‘ für Heizung, Schneeschippen und Stiefelputzen erschienen, außerdem ein Heer von Scheuerfrauen, Aushilfen, Lohndienern und Kochfrauen (...).“

Lebensabend verbrachte er in Volksdorf

Typisch scheint auch diese Geschichte: Täglich ließ sich Goberts millionenschwerer Großvater vom Chauffeur über die Elbchaussee fahren. Dabei passierte das Auto die Villa, die sich der Inhaber eines großen Wäschegeschäfts hatte bauen lassen. Mit einem kleinen Achselzucken habe der Großvater dann jedes Mal wiederholt: „Tüchtiger Mann, aber HIER gehört er nicht her.“

Und ein dazu passendes Gobert-Bonmot aus seiner Zeit als Politiker ist überliefert: „Der Hamburger hat vor drei Dingen Angst: Zugluft, nasse Füße und SPD.“ Auch der ungewöhnliche Buchtitel „Zacke und Loch“ ist eine Reminiszenz an diese Zeit: Er bezieht sich auf ein altmodisches Unterwäsche-Muster, und sarkastisch schreibt Gobert immer wieder von der „Zacke-und-Loch-Epoche“.

Ende 1945 wurde Gobert, der an beiden Weltkriegen als Soldat teilnahm, für kurze Zeit Hamburger Justizsenator (und CDU-Mitglied), ein Amt, bei dem es vor allem darum ging, den schmalen Etat zu verteidigen, wie er später schrieb. Ein Angebot des Ersten Bürgermeisters Max Brauer aus dem Jahr 1950, noch einmal Senator zu werden, lehnte der mittlerweile parteilose Gobert ab. Seinen Lebensabend verbrachte er in Volksdorf. 1967 starb Ascan Klée Gobert in der Stadt, der er einige ungewöhnliche literarische Denkmäler hinterließ.