Hamburg. Vor 70 Jahren erhob sich das Hospital zum Heiligen Geist aus Kriegstrümmern. Jetzt investiert es 100 Millionen Euro.

Die Lage ist schwierig, der Bau umstritten, der Spardruck enorm: Fließend Warmwasser? Fehlanzeige. Spiegel über den Waschbecken? Zu teuer. Zweibettzimmer? Nein, drei Betten pro Raum müssen es schon sein. Kapelle? Erst mal nicht. Noch nicht einmal ein Saal für Versammlungen ist drin.

Das spartanische Konzept folgt den Forderungen der Zeit: Als das Hospital zum Heiligen Geist vor 70 Jahren aus Deutschlands dunkelsten Stunden wiederersteht, liegt Hamburg noch zum großen Teil in Trümmern. 1949 ist erst ein Fünftel der 43 Millionen Kubikmeter Schutt geräumt. Tausende hausen noch immer in Behelfsunterkünften. Das Hospital ist eine Ruine, die Kasse leer.

Doch der schwierige Wiederaufbau wird zu einem ganz besonderen Beweis der Lebenskraft Hamburgs und seiner ehrwürdigen Institutionen. Zwar müssen die Menschen, die sich darum kümmern, viele Kompromisse machen. An der Idee einer gottgefälligen Einrichtung tätiger Nächstenliebe aber halten sie unerschütterlich fest.

Idee ist sieben Jahrhunderte alt

Die Idee ist damals schon sieben Jahrhunderte alt, und auch sie ist eine Folge kriegerischer Zeiten. Im Jahr 1227 verteidigt Graf Adolf IV. von Schauenburg und Holstein bei Bornhöved 70 Kilometer nördlich von Hamburg die Stadt und sein Land gegen die Dänen. Für den Sieg gelobt er ein Kloster. Vier Jahre später steht es dort, wo heute der Adolphs­platz nach dem Stifter benannt ist. Es ist der hl. Maria Magdalena geweiht.

300 Meter weiter westlich, am Rödingsmarkt, bauen die Bürger des Kirchspiels St. Nicolai 1247 das Hospital zum Heiligen Geist als Herberge für „durchreisende Pilger sowie kranke, alte und arme Menschen“. Als es in der City zu eng wird, müssen die frommen Werke weichen. Das Hospital zieht 1882 an die Eilbeker Richardstraße, das Kloster 1901 in einen Neubau gleich nebenan.

Zum Startschuss des Neubaus kam auch Bürgermeister Peter Tschentscher (r.).
Zum Startschuss des Neubaus kam auch Bürgermeister Peter Tschentscher (r.). © HA | Andreas Laible

Im Feuersturm der „Operation Gomorrha“ vom Juli und August 1943 gehen Altenheim und Nonnenstift gemeinsam unter. Auch das Oberaltenstift am Mühlendamm in Hohenfelde wird völlig zerstört. Autobusse retten Senioren und Pfleger aus der brennenden Stadt. In einem Wehrertüchtigungslager in Heiligenhafen kommen sie erst mal unter. Doch lange dürfen sie dort nicht bleiben.

Ausgebombten müssen 1944 nach Dahme umziehen

Als die Brände gelöscht sind, suchen die Verantwortlichen nach einer dauerhaften Lösung für ihre Schützlinge. „Drei Wochen nach der vierten Bombennacht versammelte sich das Kollegium der Gemeindeältesten zum ersten Mal wieder – oder genauer: wer irgend erreichbar war“, berichtet der Historiker Frank Hatje in seinem Standardwerk „Gott zur Ehre, der Armut zum Besten“. Die Bestandsaufnahme lässt keine Hoffnung: „Alle drei Einrichtungen waren unbrauchbar geworden.“

Schon ist die Rede von einem Notquartier im weit entfernten, aber unzerstörten Bayreuth. Doch die Gemeindeältesten sind sich, wie Hatje aus den alten Protokollen zitiert, sofort einig, „dass man sich schleunigst darum kümmern müsse, die Versorgung der Hospitaliten in die eigenen Hände zu nehmen, damit sie ihnen nicht aus den Händen genommen werde“. Denn noch bestimmen die Nazis, wo was zu geschehen hat.

Als schon der Winter vor der Tür steht, findet sich das Erholungsheim Hamburger Haus in Dahme an der Ostsee wenigstens als provisorische Bleibe. Der Ökonom Max Schubert, kurz zuvor noch Buchhalter auf Halbtagsstelle, hat den Silberschatz des Klosters mit dem besonders kostbaren Ilsabeen-Becher aus dem Inferno der Bombennächte gerettet. Jetzt lässt er die noch intakte Heizungsanlage in Eilbek aus- und in Dahme einbauen. Im Januar 1944 ziehen die Ausgebombten um.

Kollegium nicht mehr beschlussfähig

Präses Carl Mathies sucht inzwischen schon nach dem passenden Grundstück für einen Neubau nach dem Krieg. Der Senat bietet im Tausch gegen die Ruinenfelder einen Bauplatz neben dem Amalie-Sieveking-Haus in Volksdorf an. Doch der Gemeindeälteste Wilhelm Nottebohm warnt, damals schon, vor Einsprüchen aus dem Naturschutzamt und schlägt stattdessen einen Standort in Poppenbüttel vor. Schubert wiederum hat einen Bauplatz in Rahlstedt entdeckt. Der Präses möchte einen Makler einschalten, doch das lehnt Nottebohm ab. Daraufhin wirft ein anderes Gemeindemitglied entnervt die Brocken hin: „Wenn derart unproduktiv gearbeitet werde, sei er nicht gewillt, an weiteren Arbeiten teilzunehmen“, vermerkt das Protokoll als Begründung.

Klostergründer Adolf IV. von Schauenburg
Klostergründer Adolf IV. von Schauenburg © Julius Fürst

Nach dem Abgang des Erbosten ist das Kollegium nicht mehr beschlussfähig. Doch das Gewitter reinigt die Atmosphäre. Der Poppenbüttel-Plan setzt sich durch, auch wenn Finanz- und Sozialbehörde knausern. Der Ilsabeen-Becher geht, ein Tropfen auf den heißen Stein, für 17.500 DM an das Museum für Hamburgische Geschichte. Architekt Alfred Meiners plant zwei Häuser für 274 Bewohner, doch auf der Warteliste stehen schon 2000 Bewerber. „Die finanzielle Lage war von Anfang an schwierig“, schildert Abendblatt-Autor Matthias Gretzschel in „Bürgersinn und Nächstenliebe“, „und eine Verbesserung zeichnete sich auch nicht ab.“

Ehemaligem Juden die Aufnahme verweigert

1952 preist Vorsteher Hugo Dölberg zum Richtfest Graf Adolf als „Retter des Deutschtums in der Nordmark“ und beschwört zum Wiederaufbau eine „deutsche Innerlichkeit“. 1955, so Historiker Hatje, verweigern evangelische Kirchenfunktionäre einem Bewerber einen Heimplatz, „obwohl er die jüdische Gemeinde verlassen und begonnen hatte, beim Hospitalseelsorger Religionsunterricht zu nahmen“.

Da hat sich mittlerweile einiges geändert. Auch die finanzielle Lage. In den nächsten Jahren will die Stiftung Hospital zum Heiligen Geist rund 100 Millionen Euro in Neubauten investieren. Zentraler Treffpunkt wird ein Marktplatz mit Geschäften, Bankfiliale, Ärzten und Physiotherapeutenpraxen, Friseur und Restaurant. „Hamburg wird älter“, sagt Bürgermeister Peter Tschentscher, „deshalb ist es gut, wenn Einrichtungen mit dieser Vielfalt und Qualität entstehen.“ Und das dürfte voll im Sinn des alten Grafen Adolf sein.