Hamburg. Was trieb den Modeschöpfer an? In einem Interview mit dem Abendblatt im Jahr 1997 äußerte er sich ungewohnt offen.
Auf der Fotokina erhielten Sie den deutschen Kulturpreis 1996. Was beflügelt Sie, zu fotografieren?
Karl Lagerfeld: Ursprünglich die Mode. Aber anschließend ist es weitergegangen mit Werbung, Presse und Büchern. Aber ich mache nicht Mode als Fotograf, und ich fotografiere auch nicht alle Mode, die ich mache.
Sie fotografieren ja nicht einfach nur, sondern inszenieren eine Story. Was sind das für Geschichten, die Sie erzählen wollen?
Lagerfeld: Das sind beinahe Fotoromane oder Standfotos aus nicht existierenden Filmen. Ich liebe die Atmosphäre des deutschen Stummfilms und des Expressionismus. Ich habe oft Bilder von Stummfilmen gesehen, die fand ich faszinierend, ohne den Film zu kennen. Die erweckten in mir Vorstellungen einer Geschichte. So sind meine Fotos wie eine Romanbeschreibung.
Über Ihren Fotos schwebt oft ein Hauch von Melancholie. Sind Sie ein melancholischer Mensch?
Lagerfeld: Ja und nein. Aber ich hasse nichts mehr als forcierte Lebensfreude und lachende Fotos. Nach acht Tagen kann man sich das Zeug nicht mehr anschauen.
Wollen Sie mit Ihren Bildern im Gegensatz zur Mode etwas Beständiges, Bleibendes schaffen?
Lagerfeld: Es gibt nichts Bleibendes und Beständiges. Vor allem wenn man sich das selber einredet. Dann ist es sicher schon dazu verurteilt, nicht bleibend und beständig zu sein. Nein, mir geht es um die Aktivität. Ich mache etwas, weil es mir Spaß macht. Was ich liebe, ist zeichnen, entwerfen, Kollektionen anzuprobieren. Im Moment, wo ich sie zeige, ist die Sache für mich vorbei. Was ich bei der Fotografie liebe, ist, die Aufnahme zu machen, an der Entwicklung mitzuarbeiten. Aber wenn sie einmal benutzt, gedruckt, in der Zeitung oder auf wunderbarem Papier abgezogen ist, denke ich nur noch an das nächste Foto.
Ist die Fotografie für Sie ein Mittel, Ihre Träume in Bilder umzusetzen?
Lagerfeld: Ja, irgendwie schon. Aber es ist vor allem ein Versuch, die Banalität des täglichen Lebens zu idealisieren.
Wollen Sie damit der Realität entfliehen?
Lagerfeld: Nein, idealisieren. Man soll nicht der Realität entfliehen. Denn unser Leben ist unsere Realität. Man kann der Realität nicht entfliehen. Aber man kann daran arbeiten, diese Realität für sich und seine Umgebung, für die Leute, mit denen man arbeitet, so angenehm wie möglich zu machen.
Was wollen Sie mit der Kamera ausdrücken?
Lagerfeld: Eine Vision. Was nicht unbedingt so aussieht wie das, was ich vor mir habe. Aber wie durch ein Wunder ist das plötzlich auf dem Film, wenn er entwickelt ist. Das, was ich sehen wollte. Nicht das, was ich in der Realität gesehen habe.
Der Modeschöpfer Karl Lagerfeld
Erinnern Sie sich an Ihr erstes Foto? Angefangen haben Sie 1986?
Lagerfeld: An mein erstes Modefoto erinnere ich mich gut. Das war Victoire, damals Starmannequin bei Dior, in einem spanischen Outfit mit einer Mantilla auf dem Kopf. Das habe ich mit einer Minox gemacht.
Sie besitzen mehrere Häuser und Schlösser in diversen Ländern Europas verstreut. Haben Sie sich in einem Ihrer Besitze ein Ideal geschaffen ?
Lagerfeld: Ja, aber ein abstraktes Ideal. Im Grunde bin ich überall zu Hause. Ich kann mir überall mein Universum schaffen. Ich habe ein Ideal-Haus in Hamburg. Das ist wie ein griechischer Tempel. Aber das Leben wird in Berlin vor sich gehen. Hamburg ist eher der Ruhestand.
Sie haben sich Ihren Jugendtraum, Modeschöpfer zu werden, erfüllt. Ist es denkbar, dass Sie eines Tages keine Mode mehr machen und nur noch fotografieren?
Lagerfeld: Das glaube ich nicht. Für mich gehört das irgendwie zusammen. Ich mache zwar auch Landschaftsaufnahmen und Porträts. Aber hauptsächlich mache ich Modefotografie. Und als Auge für den Zeitgeist halte ich das für etwas sehr Gutes.
Was passiert mit Chloé? Im letzten Herbst ließen Sie durchblicken, Sie würden den Vertrag nicht erneuern?
Lagerfeld: Chloé werde ich wahrscheinlich aufgeben, weil ich zu viel zu tun habe. Chanel ist so groß geworden. Chloé ist für mich keine Genugtuung mehr. Ich arbeite ja für eine gewisse Genugtuung und nicht nur fürs Geld.
Sie erregen Aufsehen, weil Sie plötzlich Mode für Quelle-Kataloge machen. Was interessiert Sie daran?
Lagerfeld: Die Tatsache, dass heute Design gut sein muss, auch wenn es preiswert ist. Das Amüsante ist, dass man das Teuerste machen kann, was es in der Kleidung gibt, nämlich die Haute Couture, und gleichzeitig das Preiswerte. Aber es gibt keine Entschuldigung mehr dafür, dass das Preiswerte nicht gut designed ist.
Wie sehen Sie die Zukunft der Haute Couture?
Lagerfeld: Es wird weiterhin vier, fünf Häuser geben. Die anderen sind dann auch nicht mehr lebenswichtig. Es sind ja nur noch ganz wenige, die modischen Einfluss und Kunden haben. Für das Image der Pariser Mode wäre es sogar besser, wenn sich die Zahl der Couture-Häuser verringert. Denn vieles, was man sieht, hat mit der Moderne nichts mehr zu tun.
Ist Paris überhaupt noch die Modestadt, die sie gerne vorgibt zu sein ?
Lagerfeld: Es ist vielleicht nicht mehr die Stadt, von der ich geträumt habe, als ich ein kleiner Junge in Hamburg war. Paris ist ein guter Showcase. Aber in Bezug auf universelle Projektionsmöglichkeiten sind Mailand und New York vielleicht stärker geworden. Paris ist aber immer noch ein guter Platz, um seine Mode zu zeigen. Nur spielt es heute keine so große Rolle mehr, wo man ist. Es gibt Videos, Fax, Internet. Man kann ja beinahe auf dem Lande arbeiten und dennoch mit der Welt verbunden sein. Früher berichteten ein paar Zeitungen über die Pariser Mode, und der Rest der Welt träumte davon. Heute weiß jeder in der Sekunde, was hier passiert.
Wir sind mitten im Winter, die Frauen tragen wieder Pelze. Sie machen Pelze für Fendi. Wie reagieren Sie auf Pelzgegner?
Lagerfeld: Da reagiere ich überhaupt nicht drauf. Solange wir Fleisch essen – ich esse kein Fleisch und trage kein Leder –, halte ich die Anti-Pelz-Kampagne für eine sehr hypokritische Angelegenheit. Dass die Tiere auf grauenhafte Weise getötet werden, finde ich furchtbar. Dagegen ist etwas zu tun. Aber man sollte sich an die Jäger wenden, nicht an die Verbraucher. Die Modeindustrie kauft, was es gibt. Man soll nichts übertreiben. Sonst ist auch die Hausfrau, die ein Stück Fleisch kauft, Komplizin eines Mörders.
Als Modemacher sind Sie stets von Menschen umgeben, von Frauen umschwärmt, von Fans umjubelt. Dennoch hat man den Eindruck, Sie sind ein einsamer Mensch ...
Lagerfeld: Ja, bin ich auch. Es ist durchaus möglich, dass ich in meinem Beruf Berge von Leuten sehe und andererseits viel alleine bin, um meine Batterien aufzuladen. Ich glaube nicht, dass man mitten auf einem Jahrmarkt kreativ sein kann. Ich habe keinerlei Kontaktprobleme mit Leuten. Aber es ist lebenswichtig für mich, viel allein zu sein.
In Monaco führen Sie das Leben eines Prinzen, Sie sind mit Fürst Rainier befreundet und gehören zum Freundeskreis von Prinzessin Caroline. Aber haben Sie auch wirkliche Freunde, mit denen Sie Kummer und Leid teilen könnten?
Lagerfeld: Ich hasse den Ausdruck, dass Freunde nur dazu da sind in Kummer und Leid zu helfen. Ich spreche nicht gerne über mich. Aber ich bin es gewöhnt und stets bereit, anderer Leute Kummer und Leid anzuhören. Ich habe nicht das Gefühl, dass meine Bekanntschaft mit den Grimaldis nur eine oberflächliche Bekanntschaft für die Medien ist. Ich bin prätentiös genug zu glauben, dass Prinzessin Caroline zu meinem oder ich zu ihrem intimen Freundeskreis gehöre. Gottseidank habe ich wirkliche Freunde.
Sie machen nie Urlaub. Wie tanken Sie Energien auf?
Lagerfeld: Urlaub ist für Leute, die jeden Tag ins selbe Büro müssen. Die ein monotones Leben haben. Mein Leben ist nicht monoton. Mein Luxus ist, einmal 14 Tage in einem meiner Häuser zu verbringen, ohne nach der Uhr zu gucken; zu lesen, zu schlafen, daydreaming machen zu können, ohne durch Faxe und Anrufe belästigt zu werden. Ich verbringe oft Wochenenden, wo ich von Freitagabend bis Montagmorgen kein Wort sage. Danach habe ich das Gefühl, die zweieinhalb Tage dauerten nur fünf Minuten.
Bedauern Sie, keine Familie zu haben?
Lagerfeld: Nein, absolut nicht. Eine Hellseherin hatte mir einmal gesagt, dass ich wählen müsste zwischen Erfolg und einem normalen Familienleben.
Sie haben einmal gesagt, Ihr Zopf, Ihre Brille, Ihr Fächer sind Ihr Schutz. Diese drei Dinge sind Ihre Markenzeichen geworden. Verbirgt sich dahinter ein schüchterner Mensch?
Lagerfeld: Nein, ein reservierter Mensch. Aber es ist ganz gut, diese Markenzeichen zu haben. Man existiert visuell, ohne sich damit preiswert zu verkaufen.
Ihr höchstes Glück?
Lagerfeld: Das Wichtigste ist, dass man gesund ist, dass man machen kann, was man will und wie man will. Das ist schon der beste Ausgangspunkt zum großen Glück. Daran muss man arbeiten.
Für Ihren Vater waren seine Datscha und die Jagd in Sibirien einst das Paradies. Wie sieht Ihr Paradies aus?
Lagerfeld: Da ich nicht jage, könnte die Datscha in Sibirien nicht mein Paradies sein. Aber ein isoliertes Haus mitten im Wald, ein Riesenatelier, eine Riesenbibliothek, ein Fotostudio und Räume für meine Mitarbeiter fände ich eine ideale Welt.
Leben Sie noch immer so gerne in Paris wie in den 60er- und 70er-Jahren ?
Lagerfeld: Nein, ich habe nicht das Gefühl, man versäumt etwas, wenn man heute Paris verlässt. Früher hatte ich immer das Gefühl, ich versäume was. Jetzt bin ich genauso glücklich in Berlin, in Rom – wo immer ich auch bin.
Macht Ihnen die Mode noch Spaß?
Lagerfeld: Mehr denn je komischerweise. Ich interessiere mich für diesen Beruf mehr als vor 20 Jahren. Seitdem ich fotografiere, sehe ich die Mode mit anderen Augen. Und das ist sehr profitabel für die Mode.
Im Jahr 2003 werden Sie 65 Jahre alt. Falls Sie nicht vorher aufhören, haben Sie dann auch 20 Jahre lang die Kollektionen für Chanel entworfen. Ist danach Schluss?
Lagerfeld: Da haben wir noch ein paar Jahre vor uns. Ich mache nie Pläne so weit im Voraus. In der Mode habe ich mich daran gewöhnt, immer nur an die nächsten sechs Monate zu denken. Das halte ich auch für gesund. Denn wenn man für die Zukunft lebt, verdirbt man sich seine Gegenwart.