Hamburg. Was trieb den Modeschöpfer an? In einem Interview mit dem Abendblatt im Jahr 1997 äußerte er sich ungewohnt offen.

Auf der Fotokina erhielten Sie den deutschen Kulturpreis 1996. Was beflügelt Sie, zu fotografieren?

Karl Lagerfeld: Ursprünglich die Mode. Aber anschließend ist es weitergegangen mit Werbung, Presse und Büchern. Aber ich mache nicht Mode als Fotograf, und ich fotografiere auch nicht alle Mode, die ich mache.

Sie fotografieren ja nicht einfach nur, sondern inszenieren eine Story. Was sind das für Geschichten, die Sie erzählen wollen?

Lagerfeld: Das sind beinahe Fotoromane oder Standfotos aus nicht existierenden Filmen. Ich liebe die Atmosphäre des deutschen Stummfilms und des Expressionismus. Ich habe oft Bilder von Stummfilmen gesehen, die fand ich faszinierend, ohne den Film zu kennen. Die erweckten in mir Vorstellungen einer Geschichte. So sind meine Fotos wie eine Romanbeschreibung.

Über Ihren Fotos schwebt oft ein Hauch von Melancholie. Sind Sie ein melancholischer Mensch?

Lagerfeld: Ja und nein. Aber ich hasse nichts mehr als forcierte Lebensfreude und lachende Fotos. Nach acht Tagen kann man sich das Zeug nicht mehr anschauen.

Wollen Sie mit Ihren Bildern im Gegensatz zur Mode etwas Beständiges, Bleibendes schaffen?

Lagerfeld: Es gibt nichts Bleibendes und Beständiges. Vor allem wenn man sich das selber einredet. Dann ist es sicher schon dazu verurteilt, nicht bleibend und beständig zu sein. Nein, mir geht es um die Aktivität. Ich mache etwas, weil es mir Spaß macht. Was ich liebe, ist zeichnen, entwerfen, Kollektionen anzuprobieren. Im Moment, wo ich sie zeige, ist die Sache für mich vorbei. Was ich bei der Fotografie liebe, ist, die Aufnahme zu machen, an der Entwicklung mitzuarbeiten. Aber wenn sie einmal benutzt, gedruckt, in der Zeitung oder auf wunderbarem Papier abgezogen ist, denke ich nur noch an das nächste Foto.

Bei der Gedenkmesse für Gianni Versace in Mailand traf Lagerfeld auch auf Prinzessin Diana.
Bei der Gedenkmesse für Gianni Versace in Mailand traf Lagerfeld auch auf Prinzessin Diana. ©

Ist die Fotografie für Sie ein Mittel, Ihre Träume in Bilder umzusetzen?

Lagerfeld: Ja, irgendwie schon. Aber es ist vor allem ein Versuch, die Banalität des täglichen Lebens zu idealisieren.

Wollen Sie damit der Realität entfliehen?

Lagerfeld: Nein, idealisieren. Man soll nicht der Realität entfliehen. Denn unser Leben ist unsere Realität. Man kann der Realität nicht entfliehen. Aber man kann daran arbeiten, diese Realität für sich und seine Umgebung, für die Leute, mit denen man arbeitet, so angenehm wie möglich zu machen.

Was wollen Sie mit der Kamera ausdrücken?

Lagerfeld: Eine Vision. Was nicht unbedingt so aussieht wie das, was ich vor mir habe. Aber wie durch ein Wunder ist das plötzlich auf dem Film, wenn er entwickelt ist. Das, was ich sehen wollte. Nicht das, was ich in der Realität gesehen habe.

Der Modeschöpfer Karl Lagerfeld

Karl Lagerfeld galt seit dem Tod von Yves Saint Laurent als Alleinherrscher in der Modewelt. Menschlich blieb er vielen ein Rätsel. Auch um sein Geburtsdatum machte er ein Geheimnis.
Karl Lagerfeld galt seit dem Tod von Yves Saint Laurent als Alleinherrscher in der Modewelt. Menschlich blieb er vielen ein Rätsel. Auch um sein Geburtsdatum machte er ein Geheimnis. © REUTERS | REUTERS / GONZALO FUENTES
Lagerfeld war eine der schillerndsten Figuren der Modewelt. Mit seinem weißen Mozartzopf, der dunklen Sonnenbrille, auffälligem Schmuck und steifem Vatermörderkragen wurde der Designer zur Stilikone. Am 10. September wurde er ungefähr 85 Jahre alt. Bilder des Modedesigners.
Lagerfeld war eine der schillerndsten Figuren der Modewelt. Mit seinem weißen Mozartzopf, der dunklen Sonnenbrille, auffälligem Schmuck und steifem Vatermörderkragen wurde der Designer zur Stilikone. Am 10. September wurde er ungefähr 85 Jahre alt. Bilder des Modedesigners. © Reuters | REUTERS / Philippe Wojazer
Das Multitalent begann seine Laufbahn in der französischen Modewelt Mitte der 1950er Jahre in Paris, wo er bei Balmain, Patou, Chloé und anderen Modefirmen beschäftigt war. Dieses Foto zeigt ihn im Dezember 1954 in Paris während eines Modewettbewerbs – den er gewann.
Das Multitalent begann seine Laufbahn in der französischen Modewelt Mitte der 1950er Jahre in Paris, wo er bei Balmain, Patou, Chloé und anderen Modefirmen beschäftigt war. Dieses Foto zeigt ihn im Dezember 1954 in Paris während eines Modewettbewerbs – den er gewann. © Getty Images | Keystone
Seit 1983 war er Chef-Couturier des französischen Luxusmodehauses Chanel.
Seit 1983 war er Chef-Couturier des französischen Luxusmodehauses Chanel. © Getty Images | Keystone
Er brachte frischen Wind in das müde gewordene Label. Mit einer perfekten Symbiose aus traditionellem Chanel-Stil und trendsetzenden Elementen brachte er den internationalen Modedampfer wieder auf Erfolgskurs.
Er brachte frischen Wind in das müde gewordene Label. Mit einer perfekten Symbiose aus traditionellem Chanel-Stil und trendsetzenden Elementen brachte er den internationalen Modedampfer wieder auf Erfolgskurs. © imago/teutopress | imago stock&people
Kritiker bemängelten allerdings, Lagerfeld habe lediglich die Ideen von Coco Chanel zeitgemäß interpretierte, statt der Marke etwas Eigenes beizusteuern. Seiner Karriere hat das nicht geschadet.
Kritiker bemängelten allerdings, Lagerfeld habe lediglich die Ideen von Coco Chanel zeitgemäß interpretierte, statt der Marke etwas Eigenes beizusteuern. Seiner Karriere hat das nicht geschadet. © imago/teutopress | imago stock&people
Als Sohn aus einer großbürgerlichen Industriellenfamilie wurde er an einem 10. September in Hamburg geboren. Das genaue Jahr ist nicht bekannt. Er selber gab lange Zeit 1938 an, später 1935. Andere Quellen halten 1933 für am glaubwürdigsten.
Als Sohn aus einer großbürgerlichen Industriellenfamilie wurde er an einem 10. September in Hamburg geboren. Das genaue Jahr ist nicht bekannt. Er selber gab lange Zeit 1938 an, später 1935. Andere Quellen halten 1933 für am glaubwürdigsten. © imago/teutopress | imago stock&people
In Hamburg wohnte Lagerfeld schon lange nicht mehr. Er erkor Frankreich zu seiner Wahlheimat aus. Die dortige Presse nannte ihn „König der Maßlosigkeit“ oder „Karl den Großen“ in Anspielung an den gleichnamigen Herrscher, der bis 1814 König von Frankenreich war.
In Hamburg wohnte Lagerfeld schon lange nicht mehr. Er erkor Frankreich zu seiner Wahlheimat aus. Die dortige Presse nannte ihn „König der Maßlosigkeit“ oder „Karl den Großen“ in Anspielung an den gleichnamigen Herrscher, der bis 1814 König von Frankenreich war. © imago/teutopress
Erinnerung aus dem Jahr 1989: Gemeinsam mit zwei Mitarbeiterinnen diskutierte Lagerfeld neue Entwürfe für die Sommerkollektion. Versonnen und am Zeichenutensil kauend, schaute er vor sich auf ein weißes Blatt – als warte er darauf, dass seine Ideen auf diese Art den Weg leichter aufs Papier finden.
Erinnerung aus dem Jahr 1989: Gemeinsam mit zwei Mitarbeiterinnen diskutierte Lagerfeld neue Entwürfe für die Sommerkollektion. Versonnen und am Zeichenutensil kauend, schaute er vor sich auf ein weißes Blatt – als warte er darauf, dass seine Ideen auf diese Art den Weg leichter aufs Papier finden. © WAZ FotoPool | WAZ FotoPool / Ingo Otto
Auch für die italienische Pelz- und Modefirma Fendi entwarf Lagerfeld Mode (5.v.r.).
Auch für die italienische Pelz- und Modefirma Fendi entwarf Lagerfeld Mode (5.v.r.). © imago/Leemage | imago stock&people
Seine Kreativität kannte keine Grenzen. Als Fotograf, Designer, Filmemacher und Verleger schlug er immer wieder neue Wege ein. „Man muss sich für alles interessieren – aber man darf nie nur in eine Richtung gehen, man muss sich alle Türen offen halten. Man darf seine Neugierde nicht verlieren, sonst geht die Energie weg“, sagte er der Wochenzeitung „Die Zeit“.
Seine Kreativität kannte keine Grenzen. Als Fotograf, Designer, Filmemacher und Verleger schlug er immer wieder neue Wege ein. „Man muss sich für alles interessieren – aber man darf nie nur in eine Richtung gehen, man muss sich alle Türen offen halten. Man darf seine Neugierde nicht verlieren, sonst geht die Energie weg“, sagte er der Wochenzeitung „Die Zeit“. © imago/teutopress | imago stock&people
Lagerfeld arbeitete aber nicht nur für andere namhafte Marken. Er kreierte auch sein eigenes Label „Karl Lagerfeld“.
Lagerfeld arbeitete aber nicht nur für andere namhafte Marken. Er kreierte auch sein eigenes Label „Karl Lagerfeld“. © picture alliance/ASSOCIATED PRESS | AP Content
Als Fotograf porträtierte er unter anderem seinen Schützling Claudia Schiffer.
Als Fotograf porträtierte er unter anderem seinen Schützling Claudia Schiffer. © REUTERS /
Umgeben von Topmodels: Lagerfeld zwischen Cindy Crawford (l.), Helena Christensen (2.v.r.) und Claudia Schiffer.
Umgeben von Topmodels: Lagerfeld zwischen Cindy Crawford (l.), Helena Christensen (2.v.r.) und Claudia Schiffer. © REUTERS /
Lagerfeld gilt als Entdecker von Schiffer, die zeitweilig als seine Muse fungierte.
Lagerfeld gilt als Entdecker von Schiffer, die zeitweilig als seine Muse fungierte. © imago/IP3press | imago stock&people
1993 provozierte Schiffer einen Skandal, als sie in einem Mieder auftrat, das Lagerfeld mit Koranversen bestickt hatte.
1993 provozierte Schiffer einen Skandal, als sie in einem Mieder auftrat, das Lagerfeld mit Koranversen bestickt hatte. © imago/teutopress | imago stock&people
Lagerfeld erlaubte sich vieles. So kombinierte er etwa Kleider mit Sportschuhen und peppte klassische Tweetstoff-Jacken mit Bändern und Fransen neu auf.
Lagerfeld erlaubte sich vieles. So kombinierte er etwa Kleider mit Sportschuhen und peppte klassische Tweetstoff-Jacken mit Bändern und Fransen neu auf. © imago/United Archives | United Archives/Impress
Nur mit Jogginghosen konnte er nichts anfangen. Über sie soll er einst gesagt haben: „Wer Jogginghosen trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren.“
Nur mit Jogginghosen konnte er nichts anfangen. Über sie soll er einst gesagt haben: „Wer Jogginghosen trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren.“ © imago/teutopress | imago stock&people
Berühmt-berüchtigt waren seine Ironie und Lästerattacken. Die britische Sängerin Adele finde er zu rundlich, das Model Heidi Klum sei nicht top, er schimpfte über dicke Muttis mit Chipstüte vorm Fernseher und mag das Gesicht von Pippa Middleton nicht. Sie solle sich nur von hinten zeigen, sagte er der Boulevardzeitung „The Sun“.
Berühmt-berüchtigt waren seine Ironie und Lästerattacken. Die britische Sängerin Adele finde er zu rundlich, das Model Heidi Klum sei nicht top, er schimpfte über dicke Muttis mit Chipstüte vorm Fernseher und mag das Gesicht von Pippa Middleton nicht. Sie solle sich nur von hinten zeigen, sagte er der Boulevardzeitung „The Sun“. © Getty Images | Pascal Le Segretain
Ganz vernarrt war er hingegen in seine Katze Choupette, die er auch für Werbeaufnahmen hergab.
Ganz vernarrt war er hingegen in seine Katze Choupette, die er auch für Werbeaufnahmen hergab. © Adam Opel AG | Adam Opel AG
Nicht nur Frauen waren für Lagerfeld Musen, auch zahlreiche männliche Models gehörten dazu. Hier zeigte er sich mit Baptiste Giacobini 2010 auf der amfAR-Gala.
Nicht nur Frauen waren für Lagerfeld Musen, auch zahlreiche männliche Models gehörten dazu. Hier zeigte er sich mit Baptiste Giacobini 2010 auf der amfAR-Gala. © imago/Tinkeres | imago stock&people
Lagerfeld mit Charlotte Casiraghi (l.) und Caroline von Monaco im Dezember 2006 bei einer Chanel-Fashionshow.
Lagerfeld mit Charlotte Casiraghi (l.) und Caroline von Monaco im Dezember 2006 bei einer Chanel-Fashionshow. © Getty Images | Pool
Zusammen mit seinem Neffen Hudson Kroenig zeigte sich Lagerfeld hier 2017 über den Laufsteg in Paris.
Zusammen mit seinem Neffen Hudson Kroenig zeigte sich Lagerfeld hier 2017 über den Laufsteg in Paris. © Getty Images | Pascal Le Segretain
Ausgefallenes Bühnenbild: Lagerfeld nach einer Modenschau für die Wintersaison 2009/2010.
Ausgefallenes Bühnenbild: Lagerfeld nach einer Modenschau für die Wintersaison 2009/2010. © REUTERS | REUTERS / Benoit Tessier
Geht auch selbst als Model durch: Lagerfeld vor einer Auswahl seiner Porträts, die 2012 im Grand Palais in Paris ausgestellt werden.
Geht auch selbst als Model durch: Lagerfeld vor einer Auswahl seiner Porträts, die 2012 im Grand Palais in Paris ausgestellt werden. © REUTERS | REUTERS / BENOIT TESSIER
Sieht aus wie auf dem Mars, ist aber nur Requisite: Lagerfeld auf der Fashion Week in Paris. Die Assoziation jedoch passt – schwebt der Designer mitunter doch in seiner eigenen Sphäre.
Sieht aus wie auf dem Mars, ist aber nur Requisite: Lagerfeld auf der Fashion Week in Paris. Die Assoziation jedoch passt – schwebt der Designer mitunter doch in seiner eigenen Sphäre. © REUTERS | REUTERS / BENOIT TESSIER
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Erinnern Sie sich an Ihr erstes Foto? Angefangen haben Sie 1986?

Lagerfeld: An mein erstes Modefoto erinnere ich mich gut. Das war Victoire, damals Starmannequin bei Dior, in einem spanischen Outfit mit einer Mantilla auf dem Kopf. Das habe ich mit einer Minox gemacht.

Sie besitzen mehrere Häuser und Schlösser in diversen Ländern Europas verstreut. Haben Sie sich in einem Ihrer Besitze ein Ideal geschaffen ?

Lagerfeld: Ja, aber ein abstraktes Ideal. Im Grunde bin ich überall zu Hause. Ich kann mir überall mein Universum schaffen. Ich habe ein Ideal-Haus in Hamburg. Das ist wie ein griechischer Tempel. Aber das Leben wird in Berlin vor sich gehen. Hamburg ist eher der Ruhestand.

Sie haben sich Ihren Jugendtraum, Modeschöpfer zu werden, erfüllt. Ist es denkbar, dass Sie eines Tages keine Mode mehr machen und nur noch fotografieren?

Lagerfeld: Das glaube ich nicht. Für mich gehört das irgendwie zusammen. Ich mache zwar auch Landschaftsaufnahmen und Porträts. Aber hauptsächlich mache ich Modefotografie. Und als Auge für den Zeitgeist halte ich das für etwas sehr Gutes.

Ciao Karl - Fendis letzte Lagerfeld-Kollektion auf dem Laufsteg

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    Was passiert mit Chloé? Im letzten Herbst ließen Sie durchblicken, Sie würden den Vertrag nicht erneuern?

    Lagerfeld: Chloé werde ich wahrscheinlich aufgeben, weil ich zu viel zu tun habe. Chanel ist so groß geworden. Chloé ist für mich keine Genugtuung mehr. Ich arbeite ja für eine gewisse Genugtuung und nicht nur fürs Geld.

    Sie erregen Aufsehen, weil Sie plötzlich Mode für Quelle-Kataloge machen. Was interessiert Sie daran?

    Lagerfeld: Die Tatsache, dass heute Design gut sein muss, auch wenn es preiswert ist. Das Amüsante ist, dass man das Teuerste machen kann, was es in der Kleidung gibt, nämlich die Haute Couture, und gleichzeitig das Preiswerte. Aber es gibt keine Entschuldigung mehr dafür, dass das Preiswerte nicht gut designed ist.

    Wie sehen Sie die Zukunft der Haute Couture?

    Lagerfeld: Es wird weiterhin vier, fünf Häuser geben. Die anderen sind dann auch nicht mehr lebenswichtig. Es sind ja nur noch ganz wenige, die modischen Einfluss und Kunden haben. Für das Image der Pariser Mode wäre es sogar besser, wenn sich die Zahl der Couture-Häuser verringert. Denn vieles, was man sieht, hat mit der Moderne nichts mehr zu tun.

    Ist Paris überhaupt noch die Modestadt, die sie gerne vorgibt zu sein ?

    Lagerfeld: Es ist vielleicht nicht mehr die Stadt, von der ich geträumt habe, als ich ein kleiner Junge in Hamburg war. Paris ist ein guter Showcase. Aber in Bezug auf universelle Projektionsmöglichkeiten sind Mailand und New York vielleicht stärker geworden. Paris ist aber immer noch ein guter Platz, um seine Mode zu zeigen. Nur spielt es heute keine so große Rolle mehr, wo man ist. Es gibt Videos, Fax, Internet. Man kann ja beinahe auf dem Lande arbeiten und dennoch mit der Welt verbunden sein. Früher berichteten ein paar Zeitungen über die Pariser Mode, und der Rest der Welt träumte davon. Heute weiß jeder in der Sekunde, was hier passiert.

    Wir sind mitten im Winter, die Frauen tragen wieder Pelze. Sie machen Pelze für Fendi. Wie reagieren Sie auf Pelzgegner?

    Lagerfeld: Da reagiere ich überhaupt nicht drauf. Solange wir Fleisch essen – ich esse kein Fleisch und trage kein Leder –, halte ich die Anti-Pelz-Kampagne für eine sehr hypokritische Angelegenheit. Dass die Tiere auf grauenhafte Weise getötet werden, finde ich furchtbar. Dagegen ist etwas zu tun. Aber man sollte sich an die Jäger wenden, nicht an die Verbraucher. Die Modeindustrie kauft, was es gibt. Man soll nichts übertreiben. Sonst ist auch die Hausfrau, die ein Stück Fleisch kauft, Komplizin eines Mörders.

    Als Modemacher sind Sie stets von Menschen umgeben, von Frauen umschwärmt, von Fans umjubelt. Dennoch hat man den Eindruck, Sie sind ein einsamer Mensch ...

    Lagerfeld: Ja, bin ich auch. Es ist durchaus möglich, dass ich in meinem Beruf Berge von Leuten sehe und andererseits viel alleine bin, um meine Batterien aufzuladen. Ich glaube nicht, dass man mitten auf einem Jahrmarkt kreativ sein kann. Ich habe keinerlei Kontaktprobleme mit Leuten. Aber es ist lebenswichtig für mich, viel allein zu sein.

    Der sowjetische Ex-Präsident Gorbatschow überreichte Lagerfeld 2003 in Hamburg den World Fashion Award.
    Der sowjetische Ex-Präsident Gorbatschow überreichte Lagerfeld 2003 in Hamburg den World Fashion Award. © Getty Images

    In Monaco führen Sie das Leben eines Prinzen, Sie sind mit Fürst Rainier befreundet und gehören zum Freundeskreis von Prinzessin Caroline. Aber haben Sie auch wirkliche Freunde, mit denen Sie Kummer und Leid teilen könnten?

    Lagerfeld: Ich hasse den Ausdruck, dass Freunde nur dazu da sind in Kummer und Leid zu helfen. Ich spreche nicht gerne über mich. Aber ich bin es gewöhnt und stets bereit, anderer Leute Kummer und Leid anzuhören. Ich habe nicht das Gefühl, dass meine Bekanntschaft mit den Grimaldis nur eine oberflächliche Bekanntschaft für die Medien ist. Ich bin prätentiös genug zu glauben, dass Prinzessin Caroline zu meinem oder ich zu ihrem intimen Freundeskreis gehöre. Gottseidank habe ich wirkliche Freunde.

    Sie machen nie Urlaub. Wie tanken Sie Energien auf?

    Lagerfeld: Urlaub ist für Leute, die jeden Tag ins selbe Büro müssen. Die ein monotones Leben haben. Mein Leben ist nicht monoton. Mein Luxus ist, einmal 14 Tage in einem meiner Häuser zu verbringen, ohne nach der Uhr zu gucken; zu lesen, zu schlafen, daydreaming machen zu können, ohne durch Faxe und Anrufe belästigt zu werden. Ich verbringe oft Wochenenden, wo ich von Freitagabend bis Montagmorgen kein Wort sage. Danach habe ich das Gefühl, die zweieinhalb Tage dauerten nur fünf Minuten.

    Bedauern Sie, keine Familie zu haben?

    Lagerfeld: Nein, absolut nicht. Eine Hellseherin hatte mir einmal gesagt, dass ich wählen müsste zwischen Erfolg und einem normalen Familienleben.

    Sie haben einmal gesagt, Ihr Zopf, Ihre Brille, Ihr Fächer sind Ihr Schutz. Diese drei Dinge sind Ihre Markenzeichen geworden. Verbirgt sich dahinter ein schüchterner Mensch?

    Lagerfeld: Nein, ein reservierter Mensch. Aber es ist ganz gut, diese Markenzeichen zu haben. Man existiert visuell, ohne sich damit preiswert zu verkaufen.

    Ihr höchstes Glück?

    Lagerfeld: Das Wichtigste ist, dass man gesund ist, dass man machen kann, was man will und wie man will. Das ist schon der beste Ausgangspunkt zum großen Glück. Daran muss man arbeiten.

    Für Ihren Vater waren seine Datscha und die Jagd in Sibirien einst das Paradies. Wie sieht Ihr Paradies aus?

    Lagerfeld: Da ich nicht jage, könnte die Datscha in Sibirien nicht mein Paradies sein. Aber ein isoliertes Haus mitten im Wald, ein Riesenatelier, eine Riesenbibliothek, ein Fotostudio und Räume für meine Mitarbeiter fände ich eine ideale Welt.

    In der Villa Jako in Blankenese stellte Lagerfeld 1997 sein gleichnamiges Herrenparfüm vor. Das Anwesen hatte er in den 80er-Jahren gekauft, restaurieren lassen und kurz nach der Fertigstellung 1997 zum Verkauf angeboten.
    In der Villa Jako in Blankenese stellte Lagerfeld 1997 sein gleichnamiges Herrenparfüm vor. Das Anwesen hatte er in den 80er-Jahren gekauft, restaurieren lassen und kurz nach der Fertigstellung 1997 zum Verkauf angeboten. © picture-alliance / dpa

    Leben Sie noch immer so gerne in Paris wie in den 60er- und 70er-Jahren ?

    Lagerfeld: Nein, ich habe nicht das Gefühl, man versäumt etwas, wenn man heute Paris verlässt. Früher hatte ich immer das Gefühl, ich versäume was. Jetzt bin ich genauso glücklich in Berlin, in Rom – wo immer ich auch bin.

    Macht Ihnen die Mode noch Spaß?

    Lagerfeld: Mehr denn je komischerweise. Ich interessiere mich für diesen Beruf mehr als vor 20 Jahren. Seitdem ich fotografiere, sehe ich die Mode mit anderen Augen. Und das ist sehr profitabel für die Mode.

    Im Jahr 2003 werden Sie 65 Jahre alt. Falls Sie nicht vorher aufhören, haben Sie dann auch 20 Jahre lang die Kollektionen für Chanel entworfen. Ist danach Schluss?

    Lagerfeld: Da haben wir noch ein paar Jahre vor uns. Ich mache nie Pläne so weit im Voraus. In der Mode habe ich mich daran gewöhnt, immer nur an die nächsten sechs Monate zu denken. Das halte ich auch für gesund. Denn wenn man für die Zukunft lebt, verdirbt man sich seine Gegenwart.