Hamburg. Modenschau in der Elbphilharmonie Ende 2017 war für ihn auch ein Bekenntnis zu seiner Heimatstadt. Eines seiner letzten Interviews.

Die tiefschwarze Elbe im Rücken, ein Franzbrötchen auf dem Teller, sitzt Karl Lagerfeld nach seiner Modenschau in einem Konferenzraum der Elbphilharmonie. Sein Look – schwarzer Blazer, weißer Zopf, statt Sonnen- trägt er eine Lesebrille – ist tadellos wie immer. Nur älter als auf den immerfort im Instagram-Kosmos kursierenden Fotos sieht er aus. Kein Wunder, hat man doch die Kunstfigur Lagerfeld im Kopf. Da sitzt er nun, 84-jährig, und ist doch nicht müde zu erzählen.

Die „Vogue“-Chefredakteurin Christiane Arp hat gesagt, dass dies ihre emotionalste Show war. Viele Zuschauer hatten Tränen in den Augen.

Karl Lagerfeld: Mein Gott, was soll ich das nächste Mal bloß machen?

Wie fühlen Sie sich nach einer Show, wenn alles vorbei ist?

Lagerfeld: Das ist immer schnell vorbei. Aber das Gute ist, dass alles ineinander übergeht. Da gibt es keine Grenzen.

Sie haben viel Hamburg in Ihre Kollektion hineingebracht. Ein bisschen Prinz Heinrich, die Herbertstraße war sogar dabei. Und dann kam der romantische Schluss. Dabei sind wir Hamburger ja eher nüchtern ...

Lagerfeld: Na ja, so nüchtern ja nun auch nicht. Man muss das nicht übertreiben. Was man aber der deutschen Presse vorwerfen könnte, ist, dass sie eher die negativen Seiten sieht als die positiven. Das war wie mit der dummen Geschichte über die Araber. Das war eine Metapher, die aber niemand verstanden hat.

Wenn Sie nach Hamburg kommen, kommt dann Nostalgie auf?

Lagerfeld: Na, ich bin ja öfter nach Hamburg gekommen. Die Villa Jako in Blankenese habe ich verkauft, weil ich keine Zeit hatte, sie mit Leben zu füllen. Die Stadt gehört zu meinem persönlichen Background. Sie ist wie eine Tapete in meinem Gehirn.

Die Matrosenmützen, Seesäcke, Seemannspullover: Ihre Kollektion war sehr vom Hafen inspiriert. Ist es das, was Sie an Hamburg lieben?

Lagerfeld: Ja, ich liebe die Idee. Das ist nicht, weil ich da nicht lebe. Ich bin in Deutschland geboren, und ich habe auch immer noch meinen deutschen Pass.

Der Modeschöpfer Karl Lagerfeld

Karl Lagerfeld galt seit dem Tod von Yves Saint Laurent als Alleinherrscher in der Modewelt. Menschlich blieb er vielen ein Rätsel. Auch um sein Geburtsdatum machte er ein Geheimnis.
Karl Lagerfeld galt seit dem Tod von Yves Saint Laurent als Alleinherrscher in der Modewelt. Menschlich blieb er vielen ein Rätsel. Auch um sein Geburtsdatum machte er ein Geheimnis. © REUTERS | REUTERS / GONZALO FUENTES
Lagerfeld war eine der schillerndsten Figuren der Modewelt. Mit seinem weißen Mozartzopf, der dunklen Sonnenbrille, auffälligem Schmuck und steifem Vatermörderkragen wurde der Designer zur Stilikone. Am 10. September wurde er ungefähr 85 Jahre alt. Bilder des Modedesigners.
Lagerfeld war eine der schillerndsten Figuren der Modewelt. Mit seinem weißen Mozartzopf, der dunklen Sonnenbrille, auffälligem Schmuck und steifem Vatermörderkragen wurde der Designer zur Stilikone. Am 10. September wurde er ungefähr 85 Jahre alt. Bilder des Modedesigners. © Reuters | REUTERS / Philippe Wojazer
Das Multitalent begann seine Laufbahn in der französischen Modewelt Mitte der 1950er Jahre in Paris, wo er bei Balmain, Patou, Chloé und anderen Modefirmen beschäftigt war. Dieses Foto zeigt ihn im Dezember 1954 in Paris während eines Modewettbewerbs – den er gewann.
Das Multitalent begann seine Laufbahn in der französischen Modewelt Mitte der 1950er Jahre in Paris, wo er bei Balmain, Patou, Chloé und anderen Modefirmen beschäftigt war. Dieses Foto zeigt ihn im Dezember 1954 in Paris während eines Modewettbewerbs – den er gewann. © Getty Images | Keystone
Seit 1983 war er Chef-Couturier des französischen Luxusmodehauses Chanel.
Seit 1983 war er Chef-Couturier des französischen Luxusmodehauses Chanel. © Getty Images | Keystone
Er brachte frischen Wind in das müde gewordene Label. Mit einer perfekten Symbiose aus traditionellem Chanel-Stil und trendsetzenden Elementen brachte er den internationalen Modedampfer wieder auf Erfolgskurs.
Er brachte frischen Wind in das müde gewordene Label. Mit einer perfekten Symbiose aus traditionellem Chanel-Stil und trendsetzenden Elementen brachte er den internationalen Modedampfer wieder auf Erfolgskurs. © imago/teutopress | imago stock&people
Kritiker bemängelten allerdings, Lagerfeld habe lediglich die Ideen von Coco Chanel zeitgemäß interpretierte, statt der Marke etwas Eigenes beizusteuern. Seiner Karriere hat das nicht geschadet.
Kritiker bemängelten allerdings, Lagerfeld habe lediglich die Ideen von Coco Chanel zeitgemäß interpretierte, statt der Marke etwas Eigenes beizusteuern. Seiner Karriere hat das nicht geschadet. © imago/teutopress | imago stock&people
Als Sohn aus einer großbürgerlichen Industriellenfamilie wurde er an einem 10. September in Hamburg geboren. Das genaue Jahr ist nicht bekannt. Er selber gab lange Zeit 1938 an, später 1935. Andere Quellen halten 1933 für am glaubwürdigsten.
Als Sohn aus einer großbürgerlichen Industriellenfamilie wurde er an einem 10. September in Hamburg geboren. Das genaue Jahr ist nicht bekannt. Er selber gab lange Zeit 1938 an, später 1935. Andere Quellen halten 1933 für am glaubwürdigsten. © imago/teutopress | imago stock&people
In Hamburg wohnte Lagerfeld schon lange nicht mehr. Er erkor Frankreich zu seiner Wahlheimat aus. Die dortige Presse nannte ihn „König der Maßlosigkeit“ oder „Karl den Großen“ in Anspielung an den gleichnamigen Herrscher, der bis 1814 König von Frankenreich war.
In Hamburg wohnte Lagerfeld schon lange nicht mehr. Er erkor Frankreich zu seiner Wahlheimat aus. Die dortige Presse nannte ihn „König der Maßlosigkeit“ oder „Karl den Großen“ in Anspielung an den gleichnamigen Herrscher, der bis 1814 König von Frankenreich war. © imago/teutopress
Erinnerung aus dem Jahr 1989: Gemeinsam mit zwei Mitarbeiterinnen diskutierte Lagerfeld neue Entwürfe für die Sommerkollektion. Versonnen und am Zeichenutensil kauend, schaute er vor sich auf ein weißes Blatt – als warte er darauf, dass seine Ideen auf diese Art den Weg leichter aufs Papier finden.
Erinnerung aus dem Jahr 1989: Gemeinsam mit zwei Mitarbeiterinnen diskutierte Lagerfeld neue Entwürfe für die Sommerkollektion. Versonnen und am Zeichenutensil kauend, schaute er vor sich auf ein weißes Blatt – als warte er darauf, dass seine Ideen auf diese Art den Weg leichter aufs Papier finden. © WAZ FotoPool | WAZ FotoPool / Ingo Otto
Auch für die italienische Pelz- und Modefirma Fendi entwarf Lagerfeld Mode (5.v.r.).
Auch für die italienische Pelz- und Modefirma Fendi entwarf Lagerfeld Mode (5.v.r.). © imago/Leemage | imago stock&people
Seine Kreativität kannte keine Grenzen. Als Fotograf, Designer, Filmemacher und Verleger schlug er immer wieder neue Wege ein. „Man muss sich für alles interessieren – aber man darf nie nur in eine Richtung gehen, man muss sich alle Türen offen halten. Man darf seine Neugierde nicht verlieren, sonst geht die Energie weg“, sagte er der Wochenzeitung „Die Zeit“.
Seine Kreativität kannte keine Grenzen. Als Fotograf, Designer, Filmemacher und Verleger schlug er immer wieder neue Wege ein. „Man muss sich für alles interessieren – aber man darf nie nur in eine Richtung gehen, man muss sich alle Türen offen halten. Man darf seine Neugierde nicht verlieren, sonst geht die Energie weg“, sagte er der Wochenzeitung „Die Zeit“. © imago/teutopress | imago stock&people
Lagerfeld arbeitete aber nicht nur für andere namhafte Marken. Er kreierte auch sein eigenes Label „Karl Lagerfeld“.
Lagerfeld arbeitete aber nicht nur für andere namhafte Marken. Er kreierte auch sein eigenes Label „Karl Lagerfeld“. © picture alliance/ASSOCIATED PRESS | AP Content
Als Fotograf porträtierte er unter anderem seinen Schützling Claudia Schiffer.
Als Fotograf porträtierte er unter anderem seinen Schützling Claudia Schiffer. © REUTERS /
Umgeben von Topmodels: Lagerfeld zwischen Cindy Crawford (l.), Helena Christensen (2.v.r.) und Claudia Schiffer.
Umgeben von Topmodels: Lagerfeld zwischen Cindy Crawford (l.), Helena Christensen (2.v.r.) und Claudia Schiffer. © REUTERS /
Lagerfeld gilt als Entdecker von Schiffer, die zeitweilig als seine Muse fungierte.
Lagerfeld gilt als Entdecker von Schiffer, die zeitweilig als seine Muse fungierte. © imago/IP3press | imago stock&people
1993 provozierte Schiffer einen Skandal, als sie in einem Mieder auftrat, das Lagerfeld mit Koranversen bestickt hatte.
1993 provozierte Schiffer einen Skandal, als sie in einem Mieder auftrat, das Lagerfeld mit Koranversen bestickt hatte. © imago/teutopress | imago stock&people
Lagerfeld erlaubte sich vieles. So kombinierte er etwa Kleider mit Sportschuhen und peppte klassische Tweetstoff-Jacken mit Bändern und Fransen neu auf.
Lagerfeld erlaubte sich vieles. So kombinierte er etwa Kleider mit Sportschuhen und peppte klassische Tweetstoff-Jacken mit Bändern und Fransen neu auf. © imago/United Archives | United Archives/Impress
Nur mit Jogginghosen konnte er nichts anfangen. Über sie soll er einst gesagt haben: „Wer Jogginghosen trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren.“
Nur mit Jogginghosen konnte er nichts anfangen. Über sie soll er einst gesagt haben: „Wer Jogginghosen trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren.“ © imago/teutopress | imago stock&people
Berühmt-berüchtigt waren seine Ironie und Lästerattacken. Die britische Sängerin Adele finde er zu rundlich, das Model Heidi Klum sei nicht top, er schimpfte über dicke Muttis mit Chipstüte vorm Fernseher und mag das Gesicht von Pippa Middleton nicht. Sie solle sich nur von hinten zeigen, sagte er der Boulevardzeitung „The Sun“.
Berühmt-berüchtigt waren seine Ironie und Lästerattacken. Die britische Sängerin Adele finde er zu rundlich, das Model Heidi Klum sei nicht top, er schimpfte über dicke Muttis mit Chipstüte vorm Fernseher und mag das Gesicht von Pippa Middleton nicht. Sie solle sich nur von hinten zeigen, sagte er der Boulevardzeitung „The Sun“. © Getty Images | Pascal Le Segretain
Ganz vernarrt war er hingegen in seine Katze Choupette, die er auch für Werbeaufnahmen hergab.
Ganz vernarrt war er hingegen in seine Katze Choupette, die er auch für Werbeaufnahmen hergab. © Adam Opel AG | Adam Opel AG
Nicht nur Frauen waren für Lagerfeld Musen, auch zahlreiche männliche Models gehörten dazu. Hier zeigte er sich mit Baptiste Giacobini 2010 auf der amfAR-Gala.
Nicht nur Frauen waren für Lagerfeld Musen, auch zahlreiche männliche Models gehörten dazu. Hier zeigte er sich mit Baptiste Giacobini 2010 auf der amfAR-Gala. © imago/Tinkeres | imago stock&people
Lagerfeld mit Charlotte Casiraghi (l.) und Caroline von Monaco im Dezember 2006 bei einer Chanel-Fashionshow.
Lagerfeld mit Charlotte Casiraghi (l.) und Caroline von Monaco im Dezember 2006 bei einer Chanel-Fashionshow. © Getty Images | Pool
Zusammen mit seinem Neffen Hudson Kroenig zeigte sich Lagerfeld hier 2017 über den Laufsteg in Paris.
Zusammen mit seinem Neffen Hudson Kroenig zeigte sich Lagerfeld hier 2017 über den Laufsteg in Paris. © Getty Images | Pascal Le Segretain
Ausgefallenes Bühnenbild: Lagerfeld nach einer Modenschau für die Wintersaison 2009/2010.
Ausgefallenes Bühnenbild: Lagerfeld nach einer Modenschau für die Wintersaison 2009/2010. © REUTERS | REUTERS / Benoit Tessier
Geht auch selbst als Model durch: Lagerfeld vor einer Auswahl seiner Porträts, die 2012 im Grand Palais in Paris ausgestellt werden.
Geht auch selbst als Model durch: Lagerfeld vor einer Auswahl seiner Porträts, die 2012 im Grand Palais in Paris ausgestellt werden. © REUTERS | REUTERS / BENOIT TESSIER
Sieht aus wie auf dem Mars, ist aber nur Requisite: Lagerfeld auf der Fashion Week in Paris. Die Assoziation jedoch passt – schwebt der Designer mitunter doch in seiner eigenen Sphäre.
Sieht aus wie auf dem Mars, ist aber nur Requisite: Lagerfeld auf der Fashion Week in Paris. Die Assoziation jedoch passt – schwebt der Designer mitunter doch in seiner eigenen Sphäre. © REUTERS | REUTERS / BENOIT TESSIER
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Und diese Idee haben Sie in Ihrer Show transportiert?

Lagerfeld: Das hoffe ich. Das ist ja keine Marketing-Operation.

Sind Sie eigentlich seefest?

Lagerfeld: Ja, Gott, das kommt von der Wasserkante. Als wir die Cruise Collection auf Kuba gemacht haben, habe ich mich dort auch vom Ort inspirieren lassen. Und hier hatten wir das Glück, dass wir dieses tolle Gebäude haben. Sonst hätte ich nicht gewusst, wo ich meine Mode zeigen soll.

Hat sich Hamburg in Ihrem Bewusstsein denn ein bisschen verändert? Man muss eher fragen: Haben sich die Hamburger verändert?

Lagerfeld: Die, die ich kenne, nicht. Aber ich kenne nicht viele. Und viele, die ich kannte, sind tot.

Wann hatten Sie die Idee mit der Elbphilharmonie?

Lagerfeld: Die kam, als ich das Ding das erste Mal gesehen habe. Da habe ich gedacht: Da musst du mal was machen. Die Ausstellung über die Little Black Jacket in Berlin war nicht so ideal. Ich bin auch kein Fan von Berlin. Ich bin eben Hamburger, kein Berliner.

Die Models trugen alle einen Trauerflor über ihren Mützen ... Das hatte so etwas Melancholisches.

Lagerfelds Schau „Métiers d’Art“ im Dezember 2017 präsentierte traditionelles Kunsthandwerk und Mode. Die Modelle zeigten sich dem teils prominenten Publikum auch in den Zuschauerrängen.
Lagerfelds Schau „Métiers d’Art“ im Dezember 2017 präsentierte traditionelles Kunsthandwerk und Mode. Die Modelle zeigten sich dem teils prominenten Publikum auch in den Zuschauerrängen. © HA | Marcelo Hernandez

Lagerfeld: Ja, wie ein Nebel beinahe.

Das, was die männlichen Models zeigten, war eine Ausnahme. Sie entwerfen ja gar keine Mode für Herren. Wissen Sie, wer die Chanel-Männersachen kauft?

Lagerfeld: Das sind Rockstars aus Seoul. Die werden dann anschließend für Frauengrößen produziert. Und alles, was mein kleiner Patensohn trägt, wird ein Bestseller.

Sie haben sich ja über Kinder recht kontrovers geäußert. Die sollen erwachsen werden oder den Mund halten ...

Lagerfeld: Ja, Kinder sind wie meine Katze Choupette. Aber mein Patensohn Hudson ist kess. Im Sommer wollte er unbedingt eine spezielle Designertasche haben. Die gab es aber nicht mehr. Irgendwie hat Bernard Arnault sie aber doch aufgetrieben. In New York war Hudson mit seinem Vater in einem Fahrstuhl, und ein Mann fragte ihn: „Wo hast du die denn her?“ Da hat der Junge geantwortet: „Ich kenne die richtigen Leute.“ Mit neun Jahren! Ich weiß nicht, ob ich mich das getraut hätte.

Wenn Sie zurückdenken an Ihre Zeit in Hamburg: Was ist die stärkste Erinnerung?

Lagerfeld: Schwer zu sagen. Ich will nicht ständig mit Anekdoten analysieren. Meine Vorfahren waren Banker und Händler. Aber ich kann sie verstehen. Im Grunde bin ich auch ein Pfeffersack. Nur bin ich nicht geizig.