Hamburg . Frauen, die sich der Terrormiliz aus religiösem Fanatismus angeschlossen hatten, sind mit ihren Kindern in syrischen Camps gefangen.
Die Diskussion um die Rückführung von Anhängern des Islamischen Staates (IS) aus Syrien erreicht Hamburg. Mehrere Familien aus der Hansestadt fordern die Bundesregierung auf, Angehörige nach Deutschland zurückzubringen. Es geht insbesondere um Frauen aus Hamburg, die einst aus religiösem Fanatismus nach Syrien gereist waren und dort mit IS-Kämpfern lebten.
Allein der Hamburger Anwalt Mahmut Erdem vertritt vier Familien, die das Auswärtige Amt auffordern, ihre Töchter und Enkel aus Gefangenenlagern der von Kurden geführten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) in Nordsyrien wieder in die Hansestadt zu bringen. „Darunter befinden sich sieben Kinder im Alter zwischen zwei und 14 Jahren“, ergänzt Erdem.
Unter den Frauen, die jetzt nach Hamburg zurückkehren wollen, ist eine junge Wilhelmsburgerin, die damals, kurz vor dem Abitur an der Nelson-Mandela-Schule, plötzlich ihr Leben veränderte. Sie knüpfte Kontakte zu Radikalen im Internet, kleidete sich anders. Schließlich bereitete sie ohne das Wissen der Eltern ihre Ausreise vor. Zuhause erzählte sie, es ginge auf einen Schulausflug nach Berlin. Doch die nächste Nachricht der Tochter kam nicht aus der Hauptstadt, sondern aus der Türkei. Später lebte sie in Syrien.
Schülerin heiratete einen IS-Kämpfer
Daheim hatte sie unter dem strengen Vater gelitten. Abends ausgehen, Freunde treffen, ein Leben wie andere Jugendliche in ihrem Alter führten, blieb der Hamburgerin verwehrt. „Sie suchte Halt“, sagt Erdem. Es zog sie zu den Islamisten, auch wenn deren Ideologie Frauen ebenfalls kaum Freiheiten gewährt.
In Syrien heiratete sie einen IS-Kämpfer und bekam zwei Kinder. Ihre Eltern, die jetzt den Anwalt eingeschaltet haben, seien nun vor allem wegen der Enkel in Sorge. Sie sollten ein Leben in Deutschland führen können, wünschen sich die Eheleute mit deutsch-türkischen Wurzeln.
Die Zukunft der Dschihadisten, die aus Europa nach Syrien reisten, beschäftigt die internationale Politik. US-Präsident Donald Trump hatte am Wochenende Länder wie Deutschland, Frankreich und Großbritannien aufgefordert, 800 in Syrien gefangene IS-Kämpfer aus Europa aufzunehmen und vor Gericht zu stellen – andernfalls würden sie freigelassen. Sie sind jedoch nicht in US-Gewahrsam, sondern in der Hand kurdischer Kräfte.
Auswärtiges Amt hat keine diplomatischen Beziehungen zu Syrien
Erdem kümmert sich in Hamburg seit Jahren um Familien, die sich mit Dschihadisten aus ihren eigenen Reihen konfrontiert sehen. In einigen Stadtteilen würden Islamisten wie Streetworker auftreten. Sie verführten die Jugendlichen dazu, im religiösen Extremismus ein neues Zuhause zu sehen. Die Frauen, für deren Rückkehr er sich nun einsetzt, hätten sich vor einigen Monaten aber freiwillig in ein Camp der SDF in Nordsyrien begeben.
„Es besteht ein intensiver Austausch zwischen mir und dem Auswärtigen Amt“, ergänzte Erdem, der für das Bündnis 90/Die Grünen schon in der Bürgerschaft saß. Zwar seien die SDF in Syrien bereit, die gefangenen Hamburgerinnen mit einem Konvoi an die deutschen Behörden oder deren Vertreter im Irak zu übergeben, wenn diplomatischer Kontakt aufgenommen werde.
Jedoch, so beklagt Erdem, antworte das Auswärtige Amt auf die Bitten der Angehörigen in Deutschland, dass es keine Kontakte zu syrischen Kurden und keine diplomatische Beziehung zu Syrien gebe. Auch Außenminister Heiko Maas (SPD) hält Trumps Anliegen für „außerordentlich schwierig zu realisieren“. Eine Rückkehr sei nur möglich, „wenn sichergestellt ist, dass diese Menschen hier sofort einem Verfahren vor Gericht zugeführt werden, wenn sie auch in Untersuchungshaft kommen“, so Maas. Laut Bundesinnenministerium befinden sich noch 270 deutsche Frauen und ihre Kinder im Krisengebiet.
20 Menschen aus Hamburg in Krisengebieten gestorben
Unklar ist, wie viele Frauen aus Hamburg sich derzeit im Irak oder Syrien aufhalten, teilte das Hamburger Landesamt für Verfassungsschutz auf Anfrage mit. Bisher seien 86 Personen aus Hamburg in Richtung Syrien/ Irak ausgereist, darunter 17 Frauen.
„Aufgrund der eingeschränkten Erkenntnisse der Lage vor Ort liegen meist keine detaillierten Informationen über den Verbleib und die Aktivitäten der gereisten Personen vor“, sagte ein Sprecher. Etwa 20 Menschen aus Hamburg seien in den Krisengebieten ums Leben gekommen. 29 Männer und drei Frauen „mit weniger als fünf Kindern“ seien in die Hansestadt zurückgekehrt.
Nur selten wissen die Sicherheitsbehörden, was die Frauen dort gemacht haben, ob sie sich beispielsweise aktiv oder unterstützend an den Gräueltaten der Terrormiliz beteiligt haben. Haben sie „nur“ die Kinder großgezogen, kann ihnen kein strafrechtlicher Vorwurf gemacht werden.
Erdem sieht Risiken in der Rückführung
Risiken sehen die Hamburger Behörden im Zusammenhang mit den Rückkehrer-Kindern in Hinblick auf eine mögliche Kindeswohlgefährdung, aber auch auf ein mögliches Sicherheitsrisiko. „Erfahrungsgemäß leiden Kinder und Jugendliche unter traumatisierenden Erfahren, die sie gegebenenfalls anfällig für eine Radikalisierung werden lassen“, so der Senat in einer Antwort auf eine kleine Anfrage der linken Bürgerschaftsfraktion.
Erdem setzt sich zwar für die Überführung der Hamburgerinnen ein, sieht aber ebenfalls Risiken darin, die Menschen in Deutschland wieder aufzunehmen. „Sie müssen engmaschig beobachtet werden, auch unter Sicherheitsaspekten“, sagt der Anwalt.